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Eigenliebe

Fahrbericht: Ford Expedition 2018

Fahrberichte Wolfgang Gomoll
Ford Expedition

In den USA herrschen, was die richtige Fahrzeuggröße angeht, vielfach andere Vorstellungen als in Europa. Ein Ausflug mit dem für europäische Verhältnisse riesigen, auf dem US-Markt recht populären Ford Expedition 2018 zeigt dies eindrücklich

Die USA sind ein Land voller Widersprüche. Dort wurde der Betrug von Volkswagen aufgedeckt. In Kalifornien gilt eines der strengsten Abgasgesetze der Welt. Andererseits haben sie einen Präsidenten, der den Unterschied zwischen Wetter und Klima nicht zu kennen scheint. In den USA herrschen zudem, was die richtige Fahrzeuggröße angeht, vielfach andere Vorstellungen als in Europa. Ein Ausflug mit dem auf dem US-Markt recht populären Ford Expedition 2018 zeigt dies eindrücklich.

Nicht groß, sondern riesig

Jeder Mensch mag das anders empfinden, aber wenn ich vor einem Land Rover Range Rover [1], einem Audi Q7 oder einem Mercedes GLS [2] stehe, kommen mir diese Modelle unglaublich wuchtig vor. Verglichen mit einem Ford Expedition wirken sie allerdings geradezu sozialverträglich, wobei der mit einer Länge von 5,33 Metern für ein amerikanisches SUV gerade einmal guter Durchschnitt ist. Das Platzangebot ist erwartungsgemäß gigantisch. Auch in der dritten Reihe haben selbst große Erwachsene viel Beinfreiheit – mehr als in vielen europäischen Vans. Selbst bei voller Bestuhlung bleiben mindestens 592 Liter Kofferraum übrig. Wer also richtig viel Platz braucht, einen Bus vom Schlage einer Mercedes V-Klasse [3] aber ablehnt, könnte hier seinen Traumpartner finden. Die dritte Reihe kann elektrisch versenkt werden, die zweite Reihe klappt mechanisch um. Dort ist ein Federpaket eingebaut, das beim Lösen die Sitze umlegt. Ausklappen muss man sie dann von Hand.

Platz gibt es also reichlich, doch der Komfort ist trotzdem eher bescheiden. Ford hat die Hinterachse ziemlich stramm gedämpft, was auf den in den USA oftmals schlechten Straßen schnell auffällt. Ein solch detaillierter Zustandsbericht müsste es wirklich nicht sein, zumal damit keineswegs auch nur etwas ähnliches wie Handlichkeit oder wahrnehmbare Fahrdynamik entsteht. Der Expedition ist ein riesiger, schwerer Brocken und lässt daran keinen Augenblick auch nur ansatzweise einen Zweifel zu.

400 HP

Daran ändert auch der kraftvolle Motor nichts. Der 3,5 Liter-V6-Ecoboost-Motor leistet 400 HP [4], was 395 PS entspricht. Das maximale Drehmoment wird mit 480 ft lb, also 651 Nm, die bei 3500/min anliegen. Das klingt üppig, doch hier soll auch eine Masse von rund 2,6 Tonnen bewegt werden – leer, versteht sich. Ford verspricht eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in unter 7 Sekunden, Schluss soll erst bei knapp 200 km/h sein – was in den USA weitgehend irrelevant ist. Längs geht es gefühlt mehr als ausreichend voran, in Kurven fühlt sich das SUV handlich wie ein Tanker an. Zum flotten Fahren reizt hier wirklich gar nichts.

Zumal die Rechnung "Koloss plus knapp 400 PS" natürlich eine Schlusskomponente hat. Ford nennt 19 mpg im kombinierten Verbrauch für den Expedition mit Allradantrieb, was 12,4 Liter auf 100 km entspricht. Ein Vergleich mit den Werten europäischer Hersteller verbietet sich, denn die werden in einem anderen Messzyklus ermittelt. Wer den Expedition in der Praxis wesentlich unter 14 Liter/100 km bekommen möchte, muss es schon darauf anlegen. In die andere Richtung geht es sehr viel einfacher: Mehr als 17 Liter sind locker möglich, ohne es übertrieben zu haben. Ein Verbrauch, der nicht nur aus Umweltgesichtspunkten höchst bedenklich stimmt. Selbst bei den Spritpreisen in den USA sind solche Werte finanziell nicht ganz ohne.

Leise

Mit einem Drehrad lassen sich verschiedene Fahrprogramme einstellen. Die Bandbreite reicht von Asphalt über Schotter und Schlamm bis hin zu Schnee. Das gemütliche Gleiten auf dem Highway ist die Stärke des neuen Ford Expedition. Da fällt es nicht groß ins Gewicht, dass die Lenkung nicht gerade ein Muster an Direktheit ist. Die geschmeidig agierende Zehngang-Wandlerautomatik passt gut zu dem V6-Motor und daher ist das Geräuschniveau im Innenraum sehr gering. Verschiedene Assistenzsysteme, wie ein Toter-Winkel-Warner, der auch den Anhänger und den Querverkehr überwacht, sind beim Jonglieren mit dem Riesen sehr hilfreich.

Heimat-Orientierung

Typisch amerikanisch ist auch der Innenraum eingerichtet. Wer Freude an edlen Materialien und feiner Haptik hat, ist hier falsch. Die Verarbeitung ist insgesamt recht ordentlich, die Auswahl der Materialien aber je nach Sichtweise pragmatisch bis rustikal – nichts für Leute, die ständig mit Freude ihr Cockpit befummeln. Das Infotainmentsystem bietet eine klangstarke Musikabteilung, Bedienung und Funktionsumfang können aber mit dem, was andere in dieser Preisklasse bieten, nicht mithalten. Dafür ist schon die Basisversion üppig ausstaffiert und der Wagen günstiger als viele Importfahrzeuge. Mit Autos dieses Schlags kann man in Europa kaum den Massenmarkt erreichen. In den USA dagegen sind ein günstiger Preis, reichlich Leistung und gigantische Dimensionen genau die Zutaten, aus denen Bestseller gemacht sind.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-aus-dem-Range-Rover-3-0L-SDV6-Diesel-Hybrid-2064218.html
[2] https://www.heise.de/autos/artikel/Duenensurfen-im-Luftfederbett-Fahrbericht-Mercedes-GLS-500-3029595.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Mercedes-V250d-im-Test-Der-Raum-Traum-3199356.html
[4] https://www.ford.com/suvs/expedition/models/expedition-xlt/