Computational Photography wird massentauglich

Bisher war das nachträgliche Fokussieren von Bildern eine technische Spielerei ohne großen fotografischen Wert. Der Pionier der kommerziellen Lichtfeldfotografie Lytro stellt nun eine Kamera vor, die wirklich die Tür in ein neues Zeitalter aufstoßen könnte.

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Von
  • Martin Kölling

Bisher war das nachträgliche Fokussieren von Bildern eine technische Spielerei ohne großen fotografischen Wert. Der Pionier der kommerziellen Lichtfeldfotografie Lytro stellt nun eine Kamera vor, die wirklich die Tür in ein neues Zeitalter aufstoßen könnte.

Schon heute sind schön gerechnete Bilder aus der Fotoindustrie nicht mehr wegzudenken. Komplexe Algorithmen rechnen nicht nur Bildrauschen aus den Datensätzen und korrigieren automatisch Belichtung und Farben. Die wachsende Kraft der Bildprozessoren erlaubt es den Herstellern auch, kostengünstiger Objektive mit guter Abbildungsleistung herzustellen, weil Verkrümmungen und Farbverschiebungen mit Software billiger korrigiert werden können als bislang mit hochpräzisen Glaslinsen.

Doch nun öffnet der kleine Start-up Lytro die Tür in eine weitere Realisierungsstufe der sogenannten Computational Photography: Der Pionier der kommerziellen Lichtfeldfotografie stellte am Dienstag seine neue Kamera Illum vor.

Unter Lichtfeldfotografie versteht man eine Technik, die nicht nur Helligkeit und Farben, sondern auch die Richtung der Lichtstrahlen in Bilddateien einfängt. Dies ermöglicht es, mit nur einem Objektiv den Abstand von Objekten zu kalkulieren und Bilder nachträglich auf nahezu jedes gewünschte Motiv zu fokussieren. Lytros erstes Produkt war mit seinem Handy-Kamerasensor und niedriger Auflösung eher noch eine Spielerei. Aber das zweite Modell ist ausdrücklich auch für Profi-Fotografen entwickelt worden.

Das Kernstück ist ein Sensor mit 40 Millionen Pixeln, die in der Lytro-Sprache 40 Millionen "Lichtstrahlen" einfangen sollen. Ein Großteil der Pixel ist nicht für die zweidimensionale Auflösung des dreidimensional eingefangenen Bildes zuständig, sondern für die räumlichen Informationen. Dies reduziert bei einem gedruckten Bild die Auflösung auf fünf Megapixel. Verglichen mit anderen Kameras und Smartphones mag das mickrig erscheinen. In vielen Foren mokieren sich viele Fotofans über diesen vermeintlichen Rückschritt. Dabei ist dies ein Durchbruch für die Lichtfeldfotografie.

Fünf Megapixel reichen im Magazinprint schon mal für eine Seite. Dies macht die Kamera auch für Profis als zusätzliches Instrument interessant. Denn sie können nicht nur nachträglich mit dem Fokus und teilweise mit dem Blickpunkt spielen und so das Bild beweglich machen, sondern auch die Betrachter der Bilder dies tun lassen – im Web.

Interessant und potenziell gefährlich für Objektivhersteller ist das fest an der Kamera befestigte Zoomobjektiv, das von Weitwinkel bis mittelstarkem Tele reicht. Mit einer größten Blende von durchgehend 1:2,0 ist es für einen Zoom nicht nur sehr lichtstark, sondern kommt auch mit weniger Glaselementen aus als handelsübliche Konkurrenten. Denn durch die Lichtfeldfotografie kann die Kamera Bildfehler noch besser herausrechnen. Das Risiko für die großen Kamerahersteller: Software ist billiger als die Entwicklung hochpräziser Objektive, mit denen sie vor allem ihr Geld verdienen und sich gegen Neulinge abgrenzen. Sie könnten damit noch stärker unter Druck geraten, frei nach dem Motto: Da kann ja jeder kommen.

Lytros neue Kamera schlägt zwar preislich mit 1600 Dollar und vom Gewicht her mit 940 Gramm schwer zu Buche. Aber inzwischen gibt es die Idee auch billiger, wenn auch nicht so gut. Nokia und HTC versprechen ähnliche Funktionen für ihre neuesten Spitzenhandys. Toshiba geht gerade mit einem Kameramodul für Smartphones hausieren, das dank seiner dreidimensionalen Bildaufnahme leichter Personen aus dem Foto herausrechnen kann.

Auch die anderen Kamerahersteller nutzen in Chips eingebaute Werkzeuge der Computational Photography schon, allerdings vor allem, um schneller fokussieren zu können. Für mich ist eines klar: Man mag es mögen oder nicht – aber für Fotografen werden die Manipulationsmöglichkeiten von Bildern in den kommenden Jahren immer größer. "Frevel" schreien die einen. Aber ich persönlich begrüße, dass man mehr handwerkliche und künstlerische Freiheit besitzen wird. (bsc)