Antibiotika-Resistenzen: Neue Strategie gegen tödliche Krankenhauskeime

An resistenten Keimen sterben etwa so viele Menschen wie an HIV und Malaria zusammen. Chemisch zu verhindern, dass sie sich absprechen, könnte ein Ausweg sein.

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(Bild: RusAKphoto / Shutterstock.com)

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Die Zahlen, die eine internationale Expertengruppe Anfang des Jahres über Antibiotika-resistente Bakterien veröffentlicht hat, sind dramatisch: Im Jahr 2019 sind mehr als 1,2 Millionen Menschen an einer Infektion mit so genannten Krankenhauskeimen gestorben und an nahezu fünf Millionen Todesfällen waren solche Keime beteiligt.

Diese Krankenhauskeime sind eigentlich ganz normale Bakterien – erst in der Krankenhausumgebung entwickeln sie sich zu multiresistenten Erregern, die bei den ohnehin geschwächten Patientinnen und Patienten leichtes Spiel haben. Der jahrzehntelange laxe Umgang in Medizin und Landwirtschaft mit der einzig wirksamen Waffe gegen bakterielle Infektionen hat die Keime zu Spezialisten in der Abwehr reifen lassen. Kaum neue Antibiotika sind in der Pharma-Pipeline – zu groß ist das Risiko, dass die kostspielige Entwicklung sich nicht rentiert, weil die Bakteriengemeinschaft zu schnell neue Abwehrmechanismen ausrollt.

Bakteriengemeinschaft ist das Stichwort, bei dem eine neue Strategie gegen resistente Keime die Pharma-Bühne betritt: Gemeinschaft macht Bakterien stark, denn sie sind mitnichten ein unorganisierter Haufen Einzeller. Bakterien organisieren sich, tauschen Informationen aus und passen ihre Strategie darauf an, wie viele sie sind. "Quorum Sensing" nennen Forschende den Bakterienfunk. Sie funken mit chemischen Molekülen – sie geben kleine Eiweißstoffe ab, wenn sie eine attraktive Stelle gefunden haben, an der sie sich niederlassen wollen. Finden sich viele Bakterien an dieser Stelle ein, verstärkt sich das Quorum Sensing-Signal und ab einer bestimmten Funk-Intensität ändert die Gemeinschaft ihr Verhalten.

Der wohl berühmteste Vertreter unter den Krankenhauskeimen ist der MRSA. Die Abkürzung steht für Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus. Er ist gegen nahezu alle verfügbaren Antibiotika resistent und tauscht seine Resistenzen sogar mit anderen Bakterienarten aus. Bei Staph. aureus-Bakterien steuert das Quorum Sensing beispielsweise die Bildung von Bakterienkolonien – so genannten Biofilmen. Sind genügend Bakterien an einem Ort, ändern sie ihre Lebensform und statt frei zu schwimmen, werden sie sesshaft und schließen sich in einer Matrix aus extrazellulären Polymeren ein.

Quorum Sensing steuert jedoch auch bei vielen Bakterien, ob sie einen Wirt angreifen – sie lösen aus, dass die Bakterien so genannte Virulenzfaktoren bilden, die ihnen ermöglichen, sich an die Oberfläche der Wirtszellen anzudocken und in sie einzudringen.

Forschende der University of Wisconsin-Madison haben nun in der Fachzeitschrift Angewandte Chemie ein Molekül vorgestellt, das dieses Quorum Sensing bei Staph. aureus unterbinden kann. Die Idee hinter dieser Strategie ist: Wenn die Bakterien sich nicht mehr miteinander unterhalten können, erfahren sie nicht, dass sie ausreichend viele für eine Infektion ihres Wirtes sind. Sie halten sich weiterhin für Einzelkämpfer und bilden gar nicht erst die nötigen Virulenzfaktoren aus, um ihren Wirt ernsthaft krankzumachen und sich dann explosionsartig zu vermehren.

Diese "Anti-Virulenz"-Strategie setzt darauf, dass die Bakterien – da sie nicht wie von Antibiotika getötet werden – keine Ausweichmechanismen entwickeln. Die Infektionen verlaufen nicht so schwer und das Immunsystem hat eine gute Chance, die Infektion selbstständig zu bekämpfen.

Der Bakterienfunk-Blocker der Forschenden ist ein künstliches Peptid, welches das "Accessory Gene Regulator-System" (agr-System) blockiert. Das agr-System ist der genetische Regelkreis, der das Quorum Sensing steuert. Eingebaut in bioabbaubare Polymer-Mikropartikel, kann das Peptid langsam freigesetzt werden. Bei Hautabszessen von Mäusen hat es bereits funktioniert: In den Infektionsherd gespritzt, hat es die Infektion anschließend fast vollständig blockiert, so dass der Abszess ausheilen konnte.

Aber nicht nur für akute Erkrankungen könnte sich ein Quorum Sensing-Blocker eigenen – bei chronischen Infektionen könnte er die gut eingespielte Kommunikation der Bakterien stören und damit die Infektion unterbrechen. Und integriert in Beschichtungen für Implantate könnte er dafür sorgen, dass sich Implantate gar nicht erst schwer mit Krankenhauskeimen infizieren – Biofilme aus antibiotikaresistenten Keimen sind eines der häufigsten Probleme, die neue Hüften, Knie oder Zähne bereiten. Wohlgemerkt: könnte. Von einem geheilten Mäuseabszess zu einem Medikament ist es noch ein weiter Weg.

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(jsc)