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Audis Fünfzylinder im Längsbaukasten: Auf dem Weg nach oben

Clemens Gleich

(Bild: Audi)

Audi kam in nüchternen Überlegungen zum Reihenfünfzylinder. Doch die ungewöhnliche Zündfolge 1-2-4-5-3 fraß sich durch den Gehörgang in die Emotionszentren.

Audi-Fans verbinden viel Emotionales mit dem Reihenfünfzylinder-Motor. Doch seine Entstehung und Wiederkehr hatten beide wie so oft hauptsächlich technische Gründe. Springen wir in die 1970er-Jahre. Audi wollte damals höher greifen, in Richtung Mercedes, BMW. Das bedingte damals zwecks Prestige und Druck einen Mehr-als-Vierzylindermotor. BMW etwa bot Reihensechszylinder an, die mit ihrer Laufkultur punkteten. Dagegen sprach bei Audi jedoch die Grundkonstruktion. BMW und Mercedes bauten den Standardantrieb: Motor vorne, dahinter das Getriebe, dann eine Kardanwelle zur angetriebenen Hinterachse. Vorteile sind eine von Antriebskräften entkoppelte Lenkung, mehr Lenkeinschlag, besseres Beschleunigungsverhalten, aber die Bauart kostet mehr und das hintere Achsdifferenzial klaut etwas Kofferraum.

Audi baute Motoren ebenfalls längs ein (die Kurbelwelle liegt parallel zur Fahrtrichtung), das jedoch mit Frontantrieb. In dieser Konfiguration musste das Getriebe deutlich weiter vorn montiert werden und vorne zudem noch ein Differenzial hinpassen. Diese Audis waren frontlastig: Längsbaukasten-Audis haben lange Nasen, in denen fahrdynamisch ungünstig viel Gewicht sitzt.

Das war damals akzentuierter als heute, weil die Autos erstens mit der Zeit tendenziell schwerer und größer wurden und zweitens tüftelten Ingolstadts Ingenieure über die Jahrzehnte immer mehr Platz heraus, um den Motor und Getriebe nach hinten geschoben werden konnten. Der Mittelweg zwischen "wir brauchen mehr Zylinder" und "aber: Frontlast!" landete in den Siebzigern schließlich beim Fünfzylinder, der den zusätzlichen Vorteil hatte, dass man ihn gut von einem Vierzylinderblock ableiten konnte.

Im März 1977 erschien dann der Audi 100 5E. Er sollte als Spitze der renovierten 100er-Linie Premiumkunden anziehen. Außer dem Fünfzylinder mit 136 PS und einer ganz eigenen Klangkulisse aus der Zündfolge 1-2-4-5-3 setzte Audi auf eine üppige Ausstattung: Einspritzanlage, Leichtmetallfelgen, vier Kopfstützen, vier elektrische Fensterheber, Servolenkung, Scheinwerferwaschanlage, Nebelleuchten und für die Siebziger typische Sofa-artige Veloursbezüge. Das Grundrezept blieb erhalten für den Audi 200 von 1979, der mit Abgasturbolader aus dem Fünfzylinder 170 PS blies (der Saugmotor im 5E leistete 136 PS).

Audi 200 1981 (0 Bilder) [1]

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Dieses Auto konnte ich fahren, und es half dem Vergangenheitserlebnis, dass der Testwagen von 1981 aussah wie ein Vorführer, den jemand durch ein Wurmloch ins Jahr 2021 gefahren hat: wie neu, geleckt sauber. Die Rückbank in Velours mit den Sofakissen, die Audi damals in der Aufpreisliste anbot. Die vorderen Sitze selbst auf der untersten Stellung höher als so mancher heutige SUV. Soll noch mal einer sagen, man brauche eine bestimmte Karosserieform für eine alterstaugliche Sitzhöhe!

Sofa-mäßig dann auch das Fahrerleben: Die Dreigang-Automatik schaltet butterweich, aber ohne Hektik. Die großzügigen Federwege dämpfen alles weg, in den Kurven neigt sich die Fuhre entsprechend. Audis 200 ist selbst nach heutigen Maßstäben ein wunderbares Weitfahr-Auto. Doch ganz ehrlich: Eingehüllt in den Komfort-Kokon merkst du ohne direkten Vergleich kaum etwas vom eigenwilligen, eigenständigen Motorklang des Fünfzylinders. Der Motor diente dem Audi 200 nur dazu, die seinen Ambitionen entsprechende Leistung zu generieren – und natürlich eine Zahl größer Vier auf dem Prospekt bei der Zylinderzahl.

Audi quattro 1988 (0 Bilder) [3]

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Sportliche Audis haben Allradantrieb. Ingolstadt bietet diesen heute in 16 Baureihen an. Das liegt daran, dass Audis Sportgeschichte untrennbar mit ihm verbunden bleibt. Das "quattro" getaufte System änderte nicht nur für Audi alles und seine Entstehungsemotionen hallen bis heute nach in den Köpfen der Kunden. Während die ersten Serien-Fünfzylinder durch die Gegend fuhren, fanden im Hintergrund Audis erschöpfend erzählte Allrad-Demonstrationen auf Schnee und nassen Wiesen statt.

Diese (wir wissen es alle) führten zum Entschluss, den Allradantrieb in Serie zu bringen. Audi nahm das Audi Coupé, änderte daran gestalterisch einige Pinselstriche, pflanzte den Turbo-Fünfzylinder mit 200 PS und Allradantrieb ein und schickte das Auto unter dem schlichten Namen "Audi quattro" an den Start. Um den Impact dieses Autos zu verstehen, muss man die damalige Antriebswelt kennen. Es gab fast keine Allrad-Straßen-PKW. Man hielt den Aufwand damals schlicht für unnötig im PKW. Dass es selbst ohne Not einen Markt geben kann, wenn Leute etwas WOLLEN, zeigte der quattro. Das Auto kam mit manuellen Sperren für Mittel- und Hinterachsdifferenzial, wie es heute noch oft in Allrad-NFZ vorkommt (ab 1982 mit Taster statt per Seilzug). Es kam außerdem nur mit Turbo-Fünfzylinder. Und wie.

Wenn heute Autofans vom Röhren des Fünfenders schwärmen, dann meinen sie oft genau dieses Auto. Audi hat vielleicht selbst gemerkt, dass in der Kabine des 200 wenig Reihenfünfer-Eigenheiten ankommen. Im quattro sind sie stets präsent. Der Motor lässt trotz der schalldämpfenden Eigenschaften des Abgasturboladers ein Röhren hören, das das Herz wärmt. Ganz anders als in der Komfortkutsche Audi 200 geht es im Museums-quattro von 1988 (einer der letzten mit Zweiventilkopf) straff gefedert durch die Kurven, in denen die Nase irgendwann untersteuernd nach außen zieht. Der Allradantrieb bügelt das dann meistens glatt.

Nun muss ich wohl niemandem einen quattro schönschreiben, denn er gehört zu den umschwärmtesten Oldtimern, von Legenden umwoben. Doch wenn Ihnen jemand wie mir eine Fahrt anbieten sollte: zusagen. Es ist in vielerlei Hinsicht ein höchst interessantes Auto, aufgrund seiner Audi-Eigenheiten nicht zuletzt fahrerisch. Vom quattro aus stieg Audi erfolgreich in den Rallyesport ein, für den es später den berühmt-berüchtigten Sport quattro als Homologationsmodell baute.

Die Motorgehäuse in diesem verkürzten Coupé bestanden aus Aluminium, um vorne (Frontlastproblem) 23 kg Gewicht gegenüber Grauguss zu sparen. Interessanterweise verbaute Audi auch in anderen Modellen ohne Kundenwissen Alumotoren, um deren Alltagshaltbarkeit im Feld zu testen – zum Beispiel im Audi 200 oder im Audi 100. Dem Sport-quattro-Motor merkte man konstruktionstechnisch seine Rennsportrichtung an. Beim Aufwärmen nach sehr kaltem Stand konnte er sich verziehen, weil die Stahlteile sich anders ausdehnten als die Aluteile. Wer seinen Motor schützen wollte, baute ihm daher manchmal sogar eine Standheizung ein. Wenn Audi nämlich auf Kulanz oder Garantie den Motor tauschte, dann immer gegen den schwereren Graugussblock.

Audi Sport quattro Rallye (6 Bilder) [5]

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Aus dem Racing-Fünfzylinder pressten die Ingenieure bis über 700 PS. Dieser Motor soll demnächst wieder auf Oldtimer-Showläufen einen historischen Audi-Rennwagen antreiben.
(Bild: Clemens Gleich)

Auf der Straße bot Audi 306 PS an, im Rennsport liefen die Motoren mit 530 PS. Walter Röhrls Rekordfahrt am Pikes Peak sowie Einsätze im Rallyecross fanden mit Leistungen teils weit jenseits der 600 PS statt. Audi restauriert gerade die Speerspitze, den 720-PS-Fünfzylinder, für Oldtimer-Demofahrten. Der kurze Radstand, die Traktion des Allradantriebs, die hohe Leistung und das nasenlastige Einlenkverhalten führten zu einer eigenwilligen Fahrdynamik. Audi-Rallyefahrer Stig Blomqvist sagte: "Es ist ein bisschen wie Tanzen. Ich will schon führen. Aber wenn du es zwingst, wirst du es bereuen."

Im 1984er Sport quattro Rallye (RS-01) nehme ich neben Stig Platz. Es riecht nach Benzin und altem Auto. Dann geht es über einen gesperrten Rallyeabschnitt nahe San Remo. Stig kennt diese Strecken auswendig. Er kennt das Auto auswendig, mit dem er Rallye-Weltmeister wurde. Wie im Schlaf fährt er jeden Bremspunkt passgenau an, selbst mit dem historischen Fahrzeug in einer flotten Pace. Wahrscheinlich kann er kaum anders. Wie ein Maschinengewehr ballert der Abgastrakt beim Bremsen. Dann stellte das Steuergerät die Zündung auf spät und spritzte im Schiebebetrieb Benzin nach, um den Turbolader auf Drehzahl und damit den Ladedruck zu halten.

Stig bremst trotzdem zusätzlich mit dem linken Fuß und hält den Turbo rechts mit dem Gaspedal bei Laune. Die Mitfahrt vermittelt ein herrliches Gefühl davon, wie das damals wohl war – bis auf die fehlenden verrückten Zuschauer: "Früher versuchten die Leute, die mit über 150 km/h an ihnen vorbeikrachenden Fahrzeuge anzufassen!", sagt Blomqvist.

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1989 erhielt der Grauguss-Motor im Audi quattro 20V einen Vierventil-Zylinderkopf, mit dem Ingolstadt die Nennleistung auf 220 PS steigerte. Diesen Motor setzte Audi im offiziellen Nachfolger des quattro ein, dem Audi S2 Coupé (oder auch "Coupé S2"), der ab Ende 1990 zum Verkauf stand. Dieses Angebot nahmen nur wenige Kunden an. Das S2 Coupé wurde daher bis 1995 nur 7370-mal gebaut. Die Karosserievarianten Kombi ("S2 Avant" / "Avant S2") und Limousine des S2 verkauften sich sogar noch deutlich seltener: 1812 beziehungsweise 307 Stück waren es zum Ende der Produktion.

Das Audi S2 Coupé war der offizielle Nachfolger des quattro. Trotz guten Handlings konnte er nicht richtig an die Ikone quattro anknüpfen. Vielleicht fehlte ein passender Name? "Audi quattro 2"?

(Bild: Audi)

Auf dem Fahrersitz des 1991er-S2 zeigt sich die Mitarbeit der Motorsportexperten rund um Konrad Schmidt aus Cadolzburg, früher "Schmidt Motorsport" oder kurz "sms". Die sprachen bei der Entwicklung ein paar Worte mit. Der S2 lenkt sich im Vergleich zum quattro spielerisch leicht, fast schon ein bisschen zu wenig Lenkkraft lässt die Servounterstützung dem Fahrer übrig. Das Spielerische macht richtig Freude, und der S2 gehört zu den Autos, die man ohne Angst selbst Anfängern geben könnte, weil er keine Bösartigkeit kennt. Ideal also als Motorsport-Basis.

Im Straßenbetrieb dagegen fällt das auf, was bei Fahrzeugen der Neunziger im Vergleich zu vorigen und folgenden Jahrzehnten immer auffällt: Nur unter Last sehr leise macht sich der Motor überhaupt bemerkbar. Wenn neben dir an der Ampel ein älteres Auto oder ein moderner Krawallo steht, weißt du ohne Blick auf die Drehzahluhr manchmal nicht einmal, ob dein Motor noch läuft.

Der S2 Coupé erhielt 1992 noch ein kleines Upgrade mit erhöhtem Ladedruck: 230 PS und 350 Nm sprangen heraus, im Vergleich zu 220 PS und 309 Nm vorher. Kurzzeitig ("Overboost") drückte der Motor sogar bis zu 380 Nm. Doch die Zeit der Fünfzylinder ging in den Neunzigern zu Ende. Die kürzeren V6-Motoren lösten sie ab. Nicht einmal Audis herziger V8 war so lang. Der Fünfzylinder röhrte von 1994 bis 1996 den Audi-Porsche RS 2 in die Geschichte. Im Audi A6 lief der letzte Fünfzylinder-Turbodiesel 1997 aus, zusammen mit dem Benziner 2.3 Turbo im Audi S6, der mit seinen 230 PS nur noch für die Basisversion der sportlichen A6 reichte. Danach wurde es über zehn Jahre lang still um Audis Reihenfünfzylinder.

Fortsetzung folgt ...

(cgl [8])


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