Elektroautos laden mit Autocharge: Bequemlichkeit sticht

Das technisch und sozial komplexe Plug & Charge kommt nur schwer in die Pötte. Deshalb fährt das einfachere "Autocharge" gerade rechts vorbei.

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Elektroauto Ladesäule

(Bild: Endre Dulic / EnBW)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Clemens Gleich
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Bequemlichkeit ist der größte Fortschrittstreiber überhaupt. Deshalb löste Tesla den Ladevorgang von Anfang an so, dass Autos beim Anstecken über eine jeweils eindeutige Nummer identifiziert wurden. Mittlerweile gibt es mit "Plug & Charge" (PnC) nach ISO 15118 ein System in einigen Neuwagen und Ladesäulen, das die gleiche Funktion mit verschlüsselter Authentifizierung anbietet. Das wäre eine gute Nachricht, wenn nicht die Hakeleien zwischen Autoherstellern, Ladetarifanbietern und Infrastrukturbetreibern für erhebliche Startschwierigkeiten sorgten. Es gibt noch wenige PnC-fähige Autos, selbst bei den Neuwagen sind es weniger als die Hälfte. Gleichzeitig nutzen die Autohersteller ihre Position, um ihren eigenen Ladetarif vorzuinstallieren und sich den Aufwand, Zertifikate anderer Anbieter in die Steuergeräte zu lassen, zu sparen.

"Wenn wir einen diskriminierungsfreien und wettbewerbsrechtlich einwandfreien Zugriff kriegen, sind wir sofort bei PnC dabei", sagt Stefan Scheubner, Produktmanager Schnellladeinfrastruktur bei der EnBW. "Aber der Roll-Out von PnC dauert uns insgesamt zu lange." In der frustrierenden Situation, mit einer möglichst bequemen Methode das Laden zusätzlich zu vereinfachen, kam ein Vorstoß des niederländischen Ladenetzbetreibers Fastned sehr gelegen: Machen wir es erst einmal einfach wie Tesla.

Fastned nahm den ersten Teil des Lade-Handshakes, der sowieso schon lange spezifiziert ist und sich für die ISO 15118 auch nicht ändert: Der Wagen übermittelt nach dem Anstecken eine Nummer, die der Kunde per App in seine Abrechnung übertragen kann, um fürderhin darüber abrechnen zu können. Das war bald mit der App "EnBW mobility+" genauso möglich, und es ist sogar möglich, den EnBW-Vertrag im Autocharge-Verfahren von Fastned zu verwenden, nämlich über die Vertragsauswahl in der Fastned-App. Wie bei den Ladekarten ist längerfristig also auch Roaming denkbar. Weiterer Vorteil so einer einfachen Lösung: Die Implementierung des Features ging entsprechend schnell und kosteneffizient. "Zusätzlich ist der Standard hier klar definiert, fair für alle Marktrollen und es bedarf keiner jahrelangen Abstimmungsrunden der involvierten Parteien", ergänzt Benedikt Kriewitz, Head of Data Chapter eMobility bei der EnBW. "Theoretisch kann jedes heute im Markt befindliche Fahrzeug Autocharge unterstützen, wenn der Hersteller es nicht aktiv unterbindet. Wir setzen uns dafür ein, dass dies eine Entscheidung des Fahrers sein sollte und nicht des Herstellers."

Der niederländische Anbieter Fastned preschte als Erstes vor mit der Idee des einfachen Autocharge.

(Bild: Clemens Gleich)

Nutzer von Autocharge müssen zunächst ihr Fahrzeug nach Modell in der App EnBW mobility+ auswählen. Die EnBW-Datenbank teilt dabei mit, welche Modelle so laden können. Damit Autocharge funktioniert, muss die ID-Nummer einzigartig sein. Manche Autos verwenden aber eine herstellerübergreifende ID für alle Autos, ein alternierendes Set verschiedener Nummern oder gar eine Zufallszahl. So ein Verhalten findet sich vor allem bei Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns, die Gründe sind unbekannt. [Update:] Volkswagen und Co. tun das aus Best Practices für den Datenschutz heraus. Die Mehrzahl der E-Autos am Markt sendet eine eindeutige ID, mit der Autocharge klappt. Mit einem passenden Auto, das in der App für Autocharge markiert wurde, fahren User dann zu einer Autocharge-fähigen Ladesäule. Das sind bei der EnBW alle Schnelllader mit mindestens 75 kW Leistung. Einen dieser Ladepunkte schalten User per App frei, stecken das Kabel an, das Auto schickt seine ID et voilà: Das Backend kann die ID einem Vertrag zuordnen. Ab jetzt in allen folgenden Vorgängen bis auf Widerruf identifiziert sich das Auto selbst über die Datenleitungen des CCS-Steckers und der Ladevorgang startet automatisch. User müssen nur noch anstecken.

Mit den meisten E-Autos klappt Autocharge gut. Ob Ihres dabei ist, verrät die App EnBW mobility+.

(Bild: Clemens Gleich)

Eine Identifizierung per App oder per Ladekarte ist weiterhin möglich. Das System verwendet immer den ersten angestoßenen Authentifizierungsweg. Beispiel: Ein Autocharge-aktiviertes Auto können Sie trotzdem per Ladekarte (z. B. eines anderen Anbieters) abrechnen, denn nachdem die Karte gelesen ist, wird dieser Weg gewählt statt die Autocharge-Nummer. Hierzu muss nur die Ladekarte vor dem Anstecken genutzt werden. Das Gleiche gilt für die Freischaltung per App. Außer Bequemlichkeit hat Autocharge noch den Vorteil geringerer Fehlerraten. Die 45 bis 60 Sekunden, innerhalb derer nach Freischaltung per Karte oder App das Auto angesteckt werden muss, können User oft nicht einhalten. Klappe geht nicht auf, Auto mag nicht, Zeit abgelaufen, von vorne. Das kann mit Autocharge nicht passieren. Aus all diesen Gründen liegt die Akzeptanz des Systems hoch: Unter den Autocharge-fähigen Autos an Autocharge-fähigen Schnellladern liegt der Anteil dieser Abrechnungsart schon jetzt etwa gleichauf mit den anderen Anmeldungen Karte und App, also grob ein Drittel.

Die EnBW-Lade-App "mobility+" führt durch die Autocharge-Aktivierung.

(Bild: EnBW)

Wie bei der RFID-Ladekarte gibt es also eine einfache Identifizierung ohne verschlüsselte Authentifizierung. Anders als bei der Ladekarte liegen jedoch die Hürden höher, diesen Umstand betrügerisch auszunutzen. Es ist bei der Ladekarten-Nummer trivial, beliebig viele gültige zu lesen oder zu raten, zu speichern und der Station abzuspielen. Dann kann ich jedes Auto laden. Ich habe meine eigene Ladekarte schon allein deshalb kopiert, um ein billiges Backup zu haben (weitere Ladekarten vom Anbieter kosten meistens um die 10 Euro). Um bei Autocharge die Fahrzeug-ID zu lesen, müsste ich jedoch aufs Kabel kommen, das Protokoll kopieren, mir eine Art Zwischenstecker konstruieren, der die hohen Stromleistungen und die entsprechenden Prüfungen der Elektrik mitmacht. So ein Gerät zu bauen, ist natürlich möglich, aber angesichts der geringen damit zu erbeutbaren Beträge eher als Hacking interessant denn zu Einkünften aus Betrug. Zur elektrischen Hürde kommt, dass die App bei jedem beginnenden Ladevorgang eine Benachrichtigung wirft und man Autocharge jederzeit entfernen kann. So können User im Zweifel einfach die Polizei informieren – inklusive exakter Standortdaten des laufenden Betrugs.

Aufladen von Elektroautos

Der häufigste Fehler bei Autocharge passiert im Mietwageneinsatz: Das System ist offenbar so beliebt, dass User es selbst bei gemieteten Autos verwenden. Dann kann es passieren, dass sie nach Rückgabe vergessen, Autocharge wieder in der App zu deaktivieren und das erst bemerken, wenn der nächste Mieter ansteckt. Wenn man den Vorgang nicht gleich bemerkt und Beträge anfallen, wenden sich diese User dann gelegentlich an die Rechnungsabteilung für ein Storno. "Das Sicherheitsrisiko von Autocharge insgesamt ist sehr gering. Uns ist bislang kein Betrugsfall bekannt", argumentiert Stefan Scheubner.

Ich war auch Autocharge-skeptisch. Aber PnC hat gezeigt, dass die zunächst erfreuliche Sicherheit mit erheblichen Kosten beim Roll-Out kommt, in Form von Geld, Zeit und Reibereien zwischen den Parteien. Für User ist es zudem egal, wie die Technik im Hintergrund funktioniert, solange keine Nachteile daraus entstehen. Eine einfachere Lösung läuft potenziell zuverlässiger, weil es weniger Fehlermöglichkeiten gibt. Den (eher virtuellen) Vorteil eines verschlüsselten Auth können Sie ja einmal selber gegen die Vorteile bei Bequemlichkeit, Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit bei der einfachen Identifizierung bei Autocharge halten. Wenn man an der Ladestation steht, will man eben meistens einfach schnell Strom und weiter. Bei den Ladekarten dachte ich mir damals auch "mmh, ob das schlau war, das so über Europa auszurollen?". Heute sehen wir im Rückspiegel: Die Nonexistenz eines sicheren Auths war recht egal – trotz niedriger Schwellen für Missbrauch.

Die Zukunft soll bequemer werden für möglichst alle Kunden. "Wir wollen, dass Anmeldung über Stecker für alle Autos funktioniert, bei allen Ladenetzbetreibern und mit allen Tarifen", sagt Benedikt Kriewitz. Ob das in 20 Jahren im jeweiligen Auto dann über Autocharge, PnC oder mächtige (aber zuverlässige) Zaubersprüche funktioniert, wird den allermeisten Kunden, Ladenetzbetreibern und Tarifanbietern einerlei sein – solange der Strom kräftig fließt.

(cgl)