Gerechtere Steuerpolitik durch millionenfache KI-Simulation

Tiefen-Verstärkungslernen hat KI bisher darauf trainiert, Menschen bei komplexen Spielen wie Go zu schlagen. Könnte es auch das Steuersystem verbessern?

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Gerechtere Steuerpolitik durch millionenfache KI-Simulation

(Bild: Tony Webster / Flickr)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Will Douglas Heaven

Die Einkommensschere ist ein allumfassendes Wirtschaftsproblem. Zu den wirksamsten politischen Instrumenten zu ihrer Bekämpfung gehört die Besteuerung: Regierungen sammeln Geld von Menschen je nach ihrer Einkommenshöhe ein und verteilen es entweder direkt über Wohlfahrtssysteme oder indirekt durch Investitionen in öffentliche Projekte. Obwohl mehr Steuern zu mehr Gleichheit führen können, kann eine zu hohe Besteuerung Menschen auch vom Arbeiten abhalten oder sie dazu motivieren, Steuern zu umgehen. Beides verringert den Inhalt des Gesamtsteuertopfs.

Das richtige Gleichgewicht zu finden ist allerdings nicht einfach. Ökonomen stützen sich normalerweise auf schwer zu validierende Annahmen. Denn das wirtschaftliche Verhalten der Menschen ist komplex und es ist schwierig, Daten darüber zu sammeln. Obwohl die Wirtschaftsforschung seit Jahrzehnten mit der Frage ringt, wie die beste Steuerpolitik aussieht, hat sie immer keine Lösung dafür gefunden.

Wissenschaftler des US-Unternehmens Salesforce glauben, dass Künstliche Intelligenz (KI) dabei helfen kann. Unter der Leitung von Richard Socher hat das Team ein System namens „AI Economist“ (KI-Ökonom) entwickelt, das mit dem sogenannten Verstärkungslernen dieselbe Technik wie DeepMinds AlphaGo und AlphaZero verwendet, um optimale Steuerrichtlinien für eine simulierte Wirtschaft zu ermitteln. Das Tool ist noch relativ einfach, und kann bei weitem nicht alle Komplexitäten der realen Welt oder des menschlichen Verhaltens miterfassen. Trotzdem bildet es einen vielversprechenden ersten Schritt, um Richtlinien auf völlig neue Weise zu bewerten. „Es wäre großartig, die Steuerpolitik weniger politisch und dafür datenorientierter zu gestalten“, sagt Teammitglied Alex Trott.

Tatsächlich fand die KI bei ihren Berechnungen zum Beispiel ein Steuersystem, das im Hinblick auf die Maximierung von Produktivität und Einkommensgleichheit 16 Prozent fairer war als ein von Wirtschaftswissenschaftlern untersuchter progressiver Steuerrahmen. Die Verbesserung gegenüber der aktuellen US-Politik war noch größer. „Ich denke, es ist eine sehr interessante Idee“, sagt Blake LeBaron von der Brandeis University in Waltham im US-Bundesstaat Massachusetts, der neuronale Netze zur Modellierung der Finanzmärkte entwickelt.

In der Simulation wurden vier KI-Mitarbeiter jeweils von einem eigenen, auf Verstärkungslernen beruhenden Modell gesteuert. Sie interagierten mit einer zweidimensionalen Welt, in der sie Holz und Steine sammelten. Diese Rohstoffe tauschten sie mit anderen oder bauten aus ihnen Häuser für andere, um Geld zu verdienen. Die Arbeiter hatten dabei unterschiedliche Fähigkeiten und spezialisieren sich auf verschiedene Aufgaben. Geringer qualifizierte Arbeitskräfte lernten, dass sie weiter kommen, wenn sie Rohstoffe sammeln. Höherqualifizierte wiederum lernten, dass es besser für sie läuft, wenn sie Rohstoffe kaufen, um Häuser zu bauen.

Am Ende jedes simulierten Jahres wurden alle Arbeitnehmer mit einem Steuersatz besteuert, den ein von der KI – ebenfalls mit Verstärkungslernen-Algorithmen – simulierter politischer Entscheidungsträger festlegte. Sein Ziel ist die Steigerung der Produktivität und des Einkommens aller Arbeitnehmer. Das KI-System näherte sich dem optimalen Verhalten an, indem es die Simulation millionenfach wiederholte. Beide Modelle begannen dabei ohne Vorkenntnisse in der Wirtschaftstheorie, und lernen, wie man durch Versuch und Irrtum handelt.

Könne man aber von lediglich vier KI-simulierten Arbeitern viel lernen? Theoretisch ja, denn einfache Interaktionen zwischen einer Handvoll Agenten führen schon bald zu sehr komplexen Verhaltensweisen. Trotzdem sind sich alle Projektbeteiligten einig, dass ein höhere Mitarbeiterzahl für die Simulation von entscheidender Bedeutung ist, wenn das Werkzeug realistische Szenarien modellieren soll.

Tatsächlich kritisiert LeBaron die geringe Anzahl von Agenten, auf die das Tool bisher beschränkt ist. „Es gibt Leute, die argumentieren, dass man mit nur wenigen Agenten tiefe intellektuelle Einsichten gewinnen kann“, sagt er. „Ich bin keiner von ihnen.“ Er würde gerne die Simulation mit rund 100 Mitarbeiter sehen, die das Salesforce-Team als nächstes anstrebt.

LeBaron glaubt jedoch trotzdem, dass das Werkzeug bereits jetzt zur Überprüfung bestehender Wirtschaftsmodelle verwendet werden könnte: „Wenn ich ein politischer Entscheidungsträger wäre, würde ich dieses Ding starten, um zu sehen, was es sagt.“ Wenn der KI-Ökonom von anderen Modellen abweicht, könnte dies ein Zeichen dafür sein, dass diesen anderen Modellen etwas fehlte.

(vsz)