Gewerbedächer: Verschenkter Platz für Photovoltaik

Auf den riesigen Dächern von Lagerhallen und Logistikzentren gibt es reichlich Platz für Solarmodule. Trotzdem sind nur die wenigsten damit bestückt. Warum?

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Sehen Sie? Sie sehen nichts. Zentral im Bild ist das Gelände der Messe Hannover, darum herum Gewerbegebiete. Lediglich das Arvato-Logistikzentrum oben ist komplett mit Solarmodulen (rot markiert) bestückt. Ansonsten finden sich nur kleinere Anlagen (oben links). Ein typisches Bild in Gewerbegebieten.

(Bild: Screenshot: MIT Technology Review)

Lesezeit: 4 Min.
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Aus Satellitenbilden findet man, wohin man auch blickt, hektarweise ungenutzte Flachdächer. Und das in einem Land, das seine Photovoltaikleistung bis 2030 mehr als verdreifachen will. Dabei wären Gewerbedächer in vielerlei Hinsicht der ideale Standort für Solaranlagen, wie das Magazin MIT Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 4/2023 berichtet (jetzt im gut sortierten Zeitschriftenhandel). Oft bieten sie mehrere Tausend Quadratmeter Platz. Das macht die Installation pro Kilowatt deutlich günstiger als bei kleinen, zerstückelten Privatdächern. Und anders als bei Freiflächenanlagen müssen keine neuen Areale erschlossen werden.

Ein Problem: "Ungefähr die Hälfte der Hallen haben nicht die technischen Voraussetzungen", sagt Christian Helbig, Head of Real Estate & Facility Management beim Logistikunternehmen Hermes Germany. Meist reiche die zulässige Dachlast nicht aus.

Zudem gibt es für eine Einspeisung deutlich weniger Geld, als sich durch den Eigenverbrauch sparen lässt. Deshalb werden die Anlagen größtenteils auf den Eigenverbrauch ausgelegt und nicht auf die optimale Ausnutzung der Dachfläche. "Einspeisen möchten wir eigentlich nicht. Das ist für uns nicht sinnvoll", sagt Andreas Maak, Technical Energy Manager bei Hermes Germany. Aus Sicht der Betreiber ist der Fokus auf den Eigenverbrauch verständlich – aus volkswirtschaftlicher Sicht aber verhängnisvoll: Relativ einfach und günstig zu erschließende Stromquellen gehen verloren.

Einiges spricht dafür, dass langsam Bewegung in die Sache kommt, etwa durch die jüngste Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). "Mit dem EEG 2023 wurden einige wichtige Hemmnisse für Gewerbedächer abgeschafft", lobt der Branchenverband BSW Solar. Eine Studie des Branchenverbands BDEW schlägt noch einen anderen Weg vor, Dachanlagen attraktiver zu machen: Den Verbrauch erhöhen, etwa durch Ladesäulen oder Wärmeerzeugung.

MIT Technology Review 4/2023

In der Praxis plagt die PV-Verantwortlichen noch eine ganz andere Sorge: "Netzbetreiber, Netzbetreiber, Netzbetreiber. Ohne die geht nichts, die sind das Nadelöhr", sagt Tristan Sieg, Gruppenleiter PV bei Edeka Minden-Hannover. Damit eine PV-Anlage bei einer drohenden Überlastung des Stromnetzes abgeregelt werden kann, brauchen die Netzbetreiber unter anderem einen Fernzugriff. Zudem benötigen alle Anlagen ab 135 Kilowatt eine Zertifizierung durch einen unabhängigen Prüfer. "Es gibt unendlich viele Netzbetreiber, und die wollen es alle anders haben", sagt Sieg. "Es gibt keinen übergreifenden Standard." Andreas Maak von Hermes Germany bestätigt: "Das ist ein Grauen. Wir müssen mit jedem einzelnen Netzbetreiber kämpfen."

Konkret sehe das etwa so aus, erzählt Maak: "Wenn wir eine Anlage nach DIN-Norm bauen und die Norm ändert sich zwischenzeitlich, müssen wir mit dem Netzbetreiber erst einmal ausfechten, was denn nun die maßgebliche Norm ist. Dann brauchen wir Spezialfirmen für die Zertifizierung, da muss man erst einmal eine Firma mit verfügbaren Ressourcen finden. Dann hat jeder Netzbetreiber eigene Regularien für den Fernzugriff. Dann müssen sie einen Lieferanten finden, der genau das Modul hat, das der Netzbetreiber fordert. Dann muss das programmiert werden. Dann muss ein Termin mit dem Netzbetreiber gefunden werden, um zu überprüfen, ob alles eichrechtskonform ist. Das ist eine Arie, die sich an einem Standort nun schon zwei Jahre hinzieht." Ihm sei "schleierhaft", wie man bei den ganzen Regularien eine Energiewende schaffen wolle.

Das Wirtschaftsministerium kennt dieses Problem. Nun will es den Anschluss beschleunigen, unter anderem durch eine "flächendeckende Standardisierung und Digitalisierung von Prozessen" sowie "verbindliche Fristen für den Netzanschluss". Die Details soll jetzt ein vom Ministerium ins Leben gerufener "Branchendialog" ausarbeiten.

Auch die Bundesnetzagentur (BNetzA) soll sich nach dem Willen des BMWI stärker einmischen: "Netzbetreiber fordern zum Beispiel bestimmte Produktmarken oder Gerätetypen, obwohl vergleichbare Produkte vorliegen. Die BNetzA wird diese Anforderungen bei Beschwerden weiterhin auf Missbräuchlichkeit überprüfen."

Der Zertifizierungsstau wird sich so bald wohl nicht auflösen. Denn während der Bund noch am rechtlichen Rahmen feilt, setzten die Länder auf harte Ordnungspolitik: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein haben bereits eine Photovoltaik-Pflicht für neue Nicht-Wohngebäude erlassen.

(grh)