Keine Panik wegen der Vogelgrippe – noch nicht

Das Virus ist eine Gefahr für Vögel und greift zunehmend auf Säugetiere über. Aber das Risiko der Ausbreitung auf den Menschen hat sich nicht verändert.

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Tierarzt mit an Vogelgrippe verendeten Tieren

Tierarzt mit an Vogelgrippe verendeten Tieren.

(Bild: Shutterstock / Pordee_Aomboon)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Jessica Hamzelou
Inhaltsverzeichnis

Die Coronapandemie ist noch nicht überwunden, schon warnen manche Expertinnen und Experten vor der nächsten Gefahr: Die Vogelgrippe könnte die nächste tödliche Pandemie mit sich bringen, sollte das Virus auf Säugetiere und schließlich Menschen überspringen. Aber wie hoch ist das Risiko wirklich?

Es ist unbestritten, dass Ausbrüche der Vogelgrippe in den vergangenen Monaten enorme Auswirkungen auf Vögel hatten und dass der aktuelle Ausbruch schlimmer ist als frühere Fälle. Die Vogelgrippe wurde nämlich mittlerweile bei einer Reihe von Säugetieren festgestellt, darunter Katzen, Füchse, Otter, Robben und Seelöwen, und scheint sich in einer Nerzfarm in Spanien ausgebreitet zu haben. Auch eine kleine Anzahl von Fällen bei Menschen gibt es inzwischen.

Das ist zweifellos besorgniserregend, aber noch kein Grund zur Panik. Tödliche Ausbrüche der Vogelgrippe sind, zumindest bis zu einem gewissen Grad, von Menschen gemacht und lassen sich kontrollieren. Die ersten Ausbrüche ereigneten sich in Geflügelfarmen, wo die beengten Verhältnisse in Ställen oder Käfigen einen idealen Nährboden für Viren bieten. "Die Stämme der Vogelgrippe, die heute dominierend sind, sind vermutlich bei der Geflügelproduktion entstanden", sagt Alastair Ward, Wildtierbiologe an der Universität von Leeds in England.

Weniger klar ist, wie sich das Virus zwischen Wild- und Zuchtvögeln hin- und herbewegt. Bislang ließ sich die Übertragung jedes Jahr vor allem dann beobachten, wenn Zugvögel auf ihrer Wanderung unterwegs sind und die Viren von einer Region der Welt in eine andere und wieder zurück bringen. Nicht so vergangenes Jahr: Anstelle von saisonalen Ausbrüchen des Virus gab es lang anhaltende Ausbrüche, sagt Ward. Das Virus scheint sich also dauerhaft gehalten zu haben – entweder in der Umwelt oder in den Vögeln selbst.

Millionen von Vögeln sind dadurch verendet. In den USA befiel das Virus seit Anfang letzten Jahres über 58 Millionen Vögel. Bei der überwiegenden Mehrheit handelt es sich um kommerziell gezüchtetes Geflügel, aber auch Wildvögel wurden schwer getroffen, zum Beispiel der vom Aussterben bedrohte Krauskopfpelikan. Im Jahr 2022 löschte das Virus geschätzt 10 Prozent der weltweiten Population dieser Vögel aus.

Das Virus scheint bereits eine Art Mutation durchlaufen zu haben, die es ihm ermöglicht, mehr Vögel zu infizieren, sagt Ward. Was spricht also dagegen, dass sich ein künftiger Stamm von Mensch zu Mensch ausbreiten könnte?

Die Ausbreitung des Virus zwischen anderen Säugetieren könnte tatsächlich ein Zwischenschritt zwischen der Übertragung von Vögeln auf Vögel und von Menschen auf Menschen sein. Deshalb hat der Bericht über einen Ausbruch in einer Nerzfarm in Spanien im vergangenen Monat die Alarmglocken läuten lassen.

Es gebe zwei Möglichkeiten, wie Viren von einer Art zur anderen "springen" können, sagt Ward. Erstens könnten die in den jüngsten Berichten erwähnten Säugetiere das Virus von infizierten Vogelkadavern aufgenommen haben. Die Kadaver einer Gruppe von Vögeln, die an der Vogelgrippe gestorben sind, würden vor Viren "nur so strotzen", so der Experte. Würde etwa ein Fuchs die infizierten Kadaver fressen, könnte sein Immunsystem mit dem Virus überfordert sein. Das könnte für den Fuchs tödlich sein, aber er wäre deshalb nicht unbedingt in der Lage, das Virus an einen anderen Fuchs weiterzugeben.

Die zweite Art der Ansteckung wäre besorgniserregender. Bislang befällt die Vogelgrippe nur selten Menschen. Aber Viren können schnell mutieren. Verschiedene Stämme können genetische Sequenzen voneinander übernehmen, die ihnen helfen könnten, zu überleben oder sich zu verbreiten. Wenn eine neue Variante besser in der Lage wäre, Säugetiere – einschließlich Menschen – zu infizieren, könnte sie sich auch zwischen ihnen ausbreiten und schnell von einer Art zur anderen springen. Das könnte durchaus der Beginn einer weiteren Pandemie sein. Noch gibt es aber keine schlüssigen Beweise dafür, dass dieser Sprung stattgefunden hat.

Auf der spanischen Nerzfarm lebten 52.000 Tiere in Metallkäfigen. Wildvögel in der Region waren kürzlich an dem Virus gestorben. Es ist unklar, wie das Virus in den Betrieb gelangt ist oder wie es sich unter den Tieren verbreitet hat. Inzwischen wurden vorsichtshalber alle Tiere getötet, was Erinnerungen an das Jahr 2020 weckt, als Millionen von Nerzen getötet wurden, nachdem Wissenschaftler herausgefunden hatten, dass sich eine Variante von SARS-CoV-2 zwischen den Tieren ausgebreitet und auf Menschen übertragen hatte.

Im aktuellen Fall der Vogelgrippe scheint das glücklicherweise noch nicht passiert zu sein. Keiner der Menschen, die auf der spanischen Nerzfarm arbeiteten, schien sich mit dem Virus anzustecken. Nur eine Person bekam einen Schnupfen und der Test auf Vogelgrippe war negativ.

Das heißt aber nicht, dass Menschen nicht an der Vogelgrippe erkranken können. In den Neunzigerjahren gab es einen Ausbruch in Hongkong, bei dem Hunderte von Menschen starben. Und im vergangenen Jahr wurden einzelne Menschen positiv auf das Virus getestet, darunter ein Mann in England, der 20 Enten in seinem Haus hielt, und eine Person in den USA, die am industriellen Kükenschreddern beteiligt war.

Aber zumindest was die Menschen betrifft, hat sich im vergangenen Jahr nicht viel geändert. Es gibt keine neuen, überzeugenden Beweise dafür, dass die Vogelgrippe jetzt mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Pandemie beim Menschen auslösen wird als in den vergangenen Jahren. Grund zur Panik ist somit nicht angebracht. Noch nicht.

(jle)