Missing Link: Die digitale Revolution erfordert ein Umdenken in der Schule!

Die Technik ist in vielen Schulen angekommen. Jetzt ist die Frage, wie die digitalen Geräte im Unterricht genutzt werden sollen, erklärt Hans-Jakob Erchinger.

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(Bild: Gorodenkoff/ Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hans-Jakob Erchinger
Inhaltsverzeichnis

Oft nutzen Kinder KI-Tools, ohne sich dessen richtig bewusst zu sein. Auf Snapchat ist beispielsweise ChatGPT mit "My AI" in den Messenger eingebaut. Auf die Frage nach den wichtigsten digitalen Kompetenzen in der Schule antwortet dieses im Chat:

"Hey, gute Frage! Digitale Kompetenzen sind heute super wichtig. Hier sind die wichtigsten: 1. Verstehen, wie man Medien sicher und verantwortungsbewusst nutzt. 2. Die Fähigkeit, Informationen zu finden, zu bewerten und kritisch zu hinterfragen. 3. Wissen, wie man persönliche Daten schützt und online sicher bleibt. 4. Verständnis für die Gefahren von Online-Bedrohungen und wie man sich dagegen schützt. 5. Die Fähigkeit, digitale Tools kreativ zu nutzen und Probleme zu lösen."

Hervorragend, möchte man meinen, hier werden die Ziele der Strategie "Bildung in der digitalen Welt" der Kultusministerkonferenz von 2016 in einfacher Sprache den Jugendlichen vermittelt. Allerdings gibt es zwei Probleme:

  1. Kein Jugendlicher stellt auf Snapchat diese Frage!
  2. Selbst vielen Erwachsenen fehlt hier Wissen, welches dazu permanent aktualisiert werden müsste.
Hans-Jakob Erchinger

(Bild: 

NLQ, Medienberatung Niedersachsen

)

Hans-Jakob, kurz Jako, Erchinger ist beim Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) im Fachbereich Medienbildung tätig. Dort ist er für den Bereich Journalismus und Schule zuständig. Als Lehrer für die Fächer Geschichte, Politik, Erdkunde und Religion lässt er journalistische Projekte in den Unterricht einfließen. In mittlerweile 53 Folgen werden im Podcast "Schule Macht Medien" Akteure aus Schule, Medien und Hochschulen zur Medienbildung befragt. Gemeinsam mit Sylke Wilde von Heise Medien ist er in der Jury zum JuniorenPressePreis tätig.

Der DigitalPakt von 2019 hat nun zwar Technik in die Schulen gebracht und dafür musste auch stets ein Konzept vorgelegt werden, allerdings zeigt sich in der Praxis, dass hier nachgeschärft werden muss. Zentral ist die Erkenntnis, dass Lehrende neben dem fachlichen und pädagogischen Wissen in Zukunft über mediales und technologisches Wissen verfügen müssen (TPACK-Modell).

Die Abkürzung TPACK steht für "Technological Pedagogical and Content Knowledge" und bezieht sich auf eine sinnvolle Verknüpfung der Bereiche für den Unterricht. Auch das niedersächsische Konzept der Medienbildung basiert auf der sogenannten "Dagstuhl-Erklärung: Bildung in der digitalen Welt", die von Experten aus der Schulpraxis gemeinsam mit Medienpädagogen und Vertretern der Informatik und Wirtschaft verfasst haben. Folgende drei Fragen sollten, so die Expertinnen und Experten, immer zusammen betrachtet werden:

  • Wie funktioniert das?
  • Wie nutze ich das?
  • Wie wirkt das (auf den Menschen)?

Dies ist auch an der Schule hilfreich, um einen selbstbewussten und kritischen Einsatz mit digitalen Medien in der Schule zu fördern.

In Tablet-Klassen mit 1:1-Ausstattung wird dies besonders deutlich. Auch an meiner eigenen Schule, in der in den Klassen 7 bis 9 iPads eingeführt sind, ist die zentrale Frage momentan: Wie gehe ich mit dem Mobile Device Management (MDM) um? Sperre ich die Schüler mit Classroom in Apps ein? Kontrolliere ich die Nutzung parallel auf einem Zweitgerät? Mache ich einen Nutzungsvertrag, der sanktioniert wird? Oder bleibt das iPad einfach besser in der Tasche?

In unserem 7. Jahrgang erproben wir momentan die strenge Kontroll-Variante: Auf den Geräten ist die Installation von privaten Apps aktuell im MDM nicht möglich. Wie aber Medienmündigkeit bei jungen Schülerinnen und Schülern erreicht werden kann, muss im Kollegium weiter besprochen werden. Denn pädagogisch-technischen Konzepte aus dem DigitalPakt müssen dazu noch geschärft werden. Doch klar ist, auch im Unterricht ohne Tablets muss technologisches Wissen und Medienkompetenz immer mitgedacht werden. Dies erfordert eine neue Unterrichtsplanung, die den Einsatz digitaler Medien mitdenkt.

Digitales Unterrichten erfordert neben neuen Aufgabenformaten auch eine andere Leistungsbewertung – angepasst an die digitalen Herausforderungen. Das vermitteln mir meine Erfahrungen in der Praxis. Die Kultusministerien haben das auch erkannt. Zur KMK-Strategie "Bildung in der digitalen Welt" wurden ergänzende Empfehlungen herausgegeben. Auch hier wird eine neue Aufgabenkultur gefordert: Durch das Lehren und Lernen in der digitalen Welt "ergeben sich Möglichkeiten zu kreativen und produktorientierten Aufgaben".

Blicke ich auf meine Fächerkombination und meinen Unterricht, dann bietet sich das Erstellen von Podcasts und Videos, Bildverarbeitung, Gestaltung von Websites und Onlinejournalen an. Für mich sind das ideale Methoden, um mediale Kompetenzen zu vermitteln.

Nimmt man sich meine Erfahrungen zum Vorbild, bedeutet das aber auch, dass Lehrkräfte besonders gefordert werden, denn im Präsenzunterricht muss der kommunikative Umgang mit diesen neuen Lehr- und Lernmitteln gezeigt und vermittelt werden. Eine kritische, nachfragende Haltung, die Schülerinnen und Schüler befähigt, Informationen zu bewerten, muss permanent geübt und schlussendlich auch bei der Bewertung der Leistungen berücksichtigt werden. Dazu fordert die KMK von Schulen: "Zukünftige Prüfungsformate beziehen daher auch verstärkt Kreativität, Kollaboration, kritisches Denken und Kommunikation ein." (KMK 2021, S. 13)

Auch schulische Abläufe müssen dafür komplett hinterfragt werden: Es müssen Hausaufgaben und Klassenarbeiten an die Anforderungen der digitalen Revolution angepasst werden. Das Konzept des umgedrehten Unterrichts (inverted classroom, flipped classroom) basiert auf einer medialen Stoffaneignung als "Hausaufgabe". Anschließend muss der Inhalt immer im Unterricht besprochen werden. Hier muss die Lehrkraft erklären, korrigieren und einordnen.

Im konkreten schulischen Alltag kann journalistisches Arbeiten sofort mit kleinen Schritten umgesetzt werden: Das Smartphone oder das Tablet eignen sich für Podcasts, Videoproduktionen, Recherchen zu aktuellen Themen, journalistische Textproduktionen oder Fotodokumentationen – immer mit der Prämisse der Wahrhaftigkeit und der kritischen Quellenprüfung. Dies setzt ein hohes Maß an Medienkompetenz der Lehrkraft voraus. In der Unterrichtsstunde selbst können die Tablets dann auch in der Tasche bleiben. Bis auf die Gruppe, die ihre digitalen Produkte präsentiert.

Dennoch bleibt an den Schulen noch viel zu tun. Beim Einsatz digitaler Technik befinden wir uns für die Unterrichtsgestaltung und Medienbildung in einem "Work in Progress". Denn die Entwicklungen insbesondere in Bezug auf Künstliche Intelligenz sind so rasant, dass jedes Konzept flexibel angepasst werden muss.

Lehrkräfte können sich beispielsweise mit Mikrofortbildungen gegenseitig im Umgang mit digitaler Technik unterstützen. Damit hat mein Kollegium gute Erfahrungen gemacht. Lehrkräfte müssen aber auch darüber hinaus Zeit und Mittel erhalten, um mit den Entwicklungen Schritt halten zu können.

Auch die Kultusministerien bemühen sich um eine fortlaufende Integration neuer Tools in den Schulalltag. Lehrkräfte müssen also nicht jedes frisch auf den Markt gekommene Tool privat prüfen oder abonnieren (einige Lehrkräfte tun dies dennoch auf eigene Kosten und mit viel Engagement).

Seit Anfang 2023 stellt das Land Niedersachsen den Schulen 11 Lern- und Diagnosetools kostenlos zur Verfügung. Die webbasierte Anwendung Claastime ist ein Beispiel. Mit dem Tool können digitale Lernkontrollen, Übungen und Korrekturen durchgeführt werden. Diese Unterstützungsangebote werden die digitalen Kompetenzen der Lehrkräfte verbessern.

(kbe)