OOP 2020: Aufbruch ins Unbekannte

In doppelter Hinsicht richtete die "Konferenz für Softwarearchitektur" Anfang Februar den Blick nach vorn.

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OOP 2020: Aufbruch ins Unbekannte

(Bild: OOP)

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Inhaltsverzeichnis

Die OOP gehört zu den alteingesessenen Konferenzen für Softwarearchitekten und -entwickler in Deutschland: Dieses Jahr fand sie vom 3. bis 7. Februar bereits zum 29. Mal statt. Die Tradition ist Segen und Fluch zugleich: Mit OOP verbinden jüngere Besucher kaum mehr die objektorientierte Programmierung, die in den Anfangszeiten der OOP in den neunziger Jahren voll im Trend lag.

Daher haben die Veranstalter in den letzten Jahren begonnen, dem Programm neben den traditionellen Inhalten frische Themen beizumischen.

Jutta Eckstein, die inzwischen zum neunten Mal als Program Chair für das inhaltliche Programm hauptverantwortlich war, erklärte das diesjährige Motto "Into the Unknown" im Gespräch mit iX damit, dass "die letzten Jahre mehr vom Bewahren wie Resilienz und Umgang mit Legacy geprägt waren. Jetzt müssen wir uns wieder öffnen für das, was auf uns zukommt, also nicht nur zusammenhalten, sondern bereit sein für Neues und Unbekanntes."

Das Konferenzprogramm setzte sich aus insgesamt 13 Tracks zusammen, die ein breites Themenspektrum abdeckten. 2020 gab es neben dem jährlich wechselnden Signature Track zum Konferenzmotto gleich drei Neuzugänge: "Agile Going Enterprise Architecture? Or Vice Versa?", "Architecting Web Apps For Humans" und "DevOps & Continuous Everything".

Die Veranstalter der OOP meldeten für das aktuelle Jahr erneut einen wachsenden Zulauf: Insgesamt kamen 2400 Teilnehmer und Gäste nach gut 2300 in den letzten beiden Jahren. Die Zahl schließt jedoch neben den Konferenzteilnehmern die Besucher der Ausstellung mit ein.

Konferenzteilnehmer hatten wie üblich die schwere Qual der Wahl, die passende aus jeweils neun parallelen Sessions auszuwählen. Die Teilnehmer standen häufig vor der Frage, ob sie einen Talk zu ihrem Kerngebiet hören sollten oder getreu dem aktuellen Motto "Into the Unknown" den Weg in den Raum mit etwas Unbekanntem wagen sollten. Unbekannt waren für Stammgäste weitgehend lediglich die Inhalte. Der Großteil der 200 Referenten hat sich seit Jahren nicht nur auf der OOP, sondern auch auf Konferenzen von iX und heise Developer bewährt.

Das Graphical Recording ist inzwischen fester Bestandteil der OOP.

(Bild: OOP)

Aus reiner Softwareentwicklersicht verdient der Track "Modern Programming" seit jeher erhöhte Aufmerksamkeit. Dieses Jahr hat der verantwortliche Track Chair Nicolai Josuttis sein Steckenpferd C++ in den Namen und damit mehr Vorträge zu der Programmiersprache in den Track aufgenommen.

Josuttis ließ es sich nicht nehmen, den Vortrag über C++20 selbst zu halten. Daneben bot der Track spannende Vorträge zu weiteren Programmiersprachen wie Kotlin und Rust. Letzteres explizit nicht aus Sicht eines Experten, sondern von einem Sprachneuling für diejenigen, die sich für die Konzepte der von Mozilla initiierten Programmiersprache interessieren.

Daher warf der Vortrag ein erfreulich realistisches Bild auf Rust. Neben deutlichem Lob für die Klarheit und Sicherheit vor allem bezüglich der Speicherverwaltung stellte er klar, dass C-Entwickler sich trotz vieler Parallelen umstellen müssen. Gerade die klaren Vorgaben erfordern ein Umdenken, aber als Trost für die zu erwartenden Fehlermeldungen beim Entwickeln durften die Zuhörer mitnehmen: Bei Rust zeigt der Compiler viele Fehler auf, die in anderen Sprachen erst zur Laufzeit auftreten.

Ebenfalls einen Blick über den – weitgehend objektorientierten – Tellerrand bot ein Vortrag zu funktionaler Programmierung in Kotlin und Scala. Das Sprecherduo spielte sich dabei gekonnt den Ball zwischen den beiden Programmiersprachen zu. Wie der Talk zu Rust richtete sich der Vortrag vor allem an diejenigen, die mit funktionaler Programmierung nicht vertraut sind, aber den Schritt erwägen. Die Schlussfolgerung war ebenfalls ähnlich: Für die richtigen Einsatzzwecke lohnt sich der Umstieg, erfordert aber ein grundsätzliches Umdenken, um sich auf neue Konzepte wie Immutables und weitgehend zustandslose Programmierung einzulassen.

Ähnliches gilt für den Talk über Koroutinen in Kotlin, der den Komfort des verwalteten Multithreadings gegenüber den herkömmlichen, manuell zu steuernden Threads in Java beleuchtete. Für Entwickler haben Koroutinen, die freilich nicht nur in Kotlin existieren, zahlreiche Vorteile, erfordern aber eine andere Herangehensweise. Unter anderem durch das kooperative Konzept: Koroutinen müssen sicherstellen, dass sie unterbrochen werden können, da sie sonst ewig laufen.

Gerade für Entwickler, die sich jenseits ihrer gewohnten Komfortzone mit dem Unbekannten beschäftigen möchten, wurde die OOP 2020 ihrem Motto in vielen ansprechende Vorträge gerecht.

Ein Blick auf die letzten 28 Jahre OOP zeigt neben dem Wandel viele Konstanten. Die personifizierte Konstante heißt Michael Stal, der seit der ersten Konferenz dabei ist und nur eine OOP aus gesundheitlichen Gründen verpasst hat. Er ist inhaltlich für den Track "Software Architecture Maintenance & Evolution" zuständig und war als Sprecher vor Ort mit einem unterhaltsamen Talk darüber, wie Architekturfehler Wartung und Erweiterungen erschweren.

Sein Track wagte ebenfalls den Spagat zwischen alt und neu und behandelte das Thema Integration von Legacy-Software ebenso wie ein Vortrag, der dem Motto mit "Eine Balance von Features, Aufwänden und Qualität auf dem Weg ins Unbekannte" gerecht wurde. Den gesamten zeitlichen Bogen deckte Carola Lilienthal mit ihrem Vortrag "Langlebige Softwarearchitekturen – ohne Schulden, die Jahrzehnte überdauern" ab.

Der Signature Track bot eine bunte Mischung von Trend-Themen. Dave Farley sprach über Reactive Systems, und ein Vortrag stellte den Einsatz von VR und AR in industriellen Systemen vor. Einen Vergleich zwischen dem Erstellen von AI-Bots zu Frankensteins Projekt gab es in "Ask Our Live AI Bot Hologram How It Feels in Any Language".

Die sieben Keynotes widmeten sich ebenfalls überwiegend zukunftsweisenden Themen. Am ersten Konferenztag sprach in Gestalt von Anita Sengupta eine Professorin mit reichlich Erfahrung in Transportmitteln, die noch Zukunftsmusik sind. Sie bezeichnet sich als Science-Fiction-Fan und konnte in ihrer Keynote überzeugend die Freude vermitteln, die ihr das Gestalten der Zukunft bereitet. Sie war an einem Hyperloop-Projekt in Las Vegas beteiligt und leitet nun ein Unternehmen, das Lufttaxis entwickelt.

Anita Sengupta betrachtete in ihrer Keynote die Zukunft und unseren Platz im Universum.

Ebenfalls mit Blick nach vorn, aber eher mit einem kritischen Blick, betrachtete Tanja Lange die Entwicklung Quantencomputer. Die niederländische Professorin ist Expertin für Kryptografie und beschäftigte sich in ihrer Keynote mit der Post-Quantum-Kryptografie. Dabei warnte sie, dass viele das Thema noch nicht ernst genug nehmen, zumal anzunehmen sei, dass Geheimdienste weniger über den Stand ihrer Entwicklung nach draußen geben als Google und IBM.

Die Mathematikprofessorin Hanna Fry aus London beschäftigte sich mit der Frage, wie weit man Algorithmen trauen soll oder darf. Sie warb für mehr Ethik in der Forschung und dafür, dass Mathematiker, Informatiker und IT-Ingenieure eine Art hippokratischen Eid ähnlich wie Ärzte ablegen sollten, um beim Einsatz von Technik das Wohl der Allgemeinheit in den Vordergrund zu stellen, statt stets das technisch Machbare anzustreben.

Ein alljährliches Highlight jeder OOP ist "Der ultimative IT-Stammtisch", der einen unterhaltsamen Rückblick auf die IT- und sonstigen Themen des vergangenen Jahres wirft. Bewährter Moderator ist Nico Josuttis als "Oliver Welke der IT-Unterhaltung", wie ihn einer seiner OOP-Kollegen vor Ort nannte. Vor allem beim Get-together am ersten Konferenztag gab es darüber hinaus reichlich Gelegenheit sich auszutauschen, aber auch zwischen den Vorträgen waren die Kaffeepausen (und die Schlangen beim Espresso-Stand) lang genug für intensive Gespräche.

Blick in die Kristallkugel mit dem "Ultimativen IT-Stammtisch"

Trotz ihrer Größe hat die OOP erfreulicherweise etwas von einem Klassentreffen, bei dem man auf viele alte Bekannte trifft. Schließlich gehört das Netzwerken nach wie vor zu den wichtigsten und angenehmsten Zutaten von Konferenzen.

Die 2018 eingeführten Code Days fanden dieses Jahr bereits zum dritten Mal an drei Tagen während der OOP statt. Sie sind für die Teilnehmer kostenlos und bieten Vorträge von Ausstellern, wobei ein Review-Prozess Marketingvorträge verhindern soll.

Zielgruppe sind vor allem Studenten und junge IT-Experten, die sich langfristig für die OOP interessieren sollen. Die 800 Teilnehmer der Code Days, die in der Gesamtzahl der 2400 Besucher eingerechnet sind, bedeuten ein Wachstum um 20 Prozent gegenüber 2019. Damit sind sie laut Beate Friedrichs vom Veranstalter SIGS Datacom gesetzter Bestandteil der Veranstaltung: "Bei uns im Rheinland heißt es: Was dreimal stattfindet, gilt als Tradition".

Apropos Tradition: Die OOP feiert nächstes Jahr die dreißigste Auflage. Konkrete Pläne oder ein Motto konnten die Veranstalter noch nicht nennen, aber sie haben bereits die erste Keynote angekündigt: In Gestalt von Dr. Katharina Zweig wird eine der bekanntesten IT-Expertinnen Deutschlands auf der OOP 2021 sprechen, die nächstes Jahr vom 8. bis 12. Februar stattfinden wird. (rme)