Waldschutz: Freiwilliger CO2-Zertifikatehandel verspricht mehr als er hält

Mit der Aufforstung von Wäldern will man dem Klima Gutes tun. Waldschutz wird gleichzeitig über CO2-Zertifikate vermarktet. Doch bringen diese wirklich etwas?

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(Bild: adamikarl/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert

Wälder sollen nicht nur die Biodiversität bewahren, sondern auch noch einen Teil des Kohlendioxids speichern, das die Menschheit in der Atmosphäre ablagert. Jährlich werden davon weltweit knapp 8 Gigatonnen CO₂-Äquivalent im Holz abgelagert. Doch allein die Waldbrände in Kanada emittierten laut dem Copernicus Atmospheric Monitoring Service in diesem Jahr den Rekordwert von 290 Megatonnen Kohlenstoff (Stand: Anfang August). Und im vorigen Jahr schrumpften die Tropenwälder um 4,1 Millionen Hektar, was CO₂-Emissionen von 2,7 Gigatonnen bedeutet, so viel wie der jährliche Ausstoß Indiens aus fossilen Brennstoffen.

Seit nun schon fast zwei Jahrzehnten diskutieren Verhandler der internationalen Klimarahmenkonvention (UNFCCC) ein Konzept unter dem Namen REDD+, um den Schutz von Wäldern als Kohlenstoffspeicher finanziell attraktiv zu machen. Obwohl die genauen Vorschriften immer noch nicht stehen, boomt inzwischen eine Klimaschutzindustrie, die weltweit viele eigenständige, freiwillige REDD+-Projekte ins Leben rief (nicht zu verwechseln mit dem verpflichtenden CO₂-Emissionshandel, etwa beim Europäischem Emissionshandel EU-ETS).

Finanziert werden die meisten der freiwilligen Projekte über den Verkauf von Klima-Gutschriften, mit denen Einzelpersonen und Unternehmen ihre CO₂-Emissionen zur Imagepflege kompensieren können. Im Jahr 2021 kursierten solche Emissionszertifikate für 227,7 Millionen Tonnen CO₂, von denen zwei Drittel mit einem Gesamtwert von 1,3 Milliarden US-Dollar auf Kohlenstoffmärkten gehandelt wurden.

Kohlenstoffmärkte basieren auf der Annahme, dass CO₂ eine gleichförmige Ware darstellt, egal ob aus einem Kohlekraftwerk oder aus einem verbrannten Baum stammt. Der Schutz von Wäldern, so die Idee, könnte also die fossilen Emissionen eines Kraftwerks neutralisieren. "Hier werden aus meiner Sicht jedoch Äpfel mit Birnen verglichen", meint Jonas Hein vom Deutschen Institut für Entwicklung und Nachhaltigkeit (IDOS) in Bonn. "Die Emissionen eines Kohlekraftwerks entstammen der Verbrennung von Millionen Jahre alter, hochkonzentrierter und festgebundener Biomasse. Diese Emissionen würden ohne den Menschen nicht in die Atmosphäre gelangen." Wälder hingegeben würden CO₂ für deutlich kürzere Zeiträume binden, wobei die einmal gebundenen Emissionen durch politische Entscheidungen, wie die Umwandlung in Plantagen, oder durch Feuer unmittelbar wieder in die Atmosphäre entweichen. Vielleicht hätte aber auch ein neues Gesetz die Abholzung sowieso verboten, womit der Zusatznutzen eines Schutzprojekts infrage stände.

Auch Sven Günter vom Institut für Waldwirtschaft des Johann-Heinrich-von-Thünen-Instituts in Hamburg ist skeptisch: "Diese Zertifikate sind keine Gewähr für Erfolg, sondern eine bescheinigte Experten-Einschätzung für wahrscheinlichen Erfolg. Überspitzt formuliert sind Zertifikate im Waldbereich Wetten in die Zukunft – sowohl hinsichtlich vermiedener Entwaldung als auch hinsichtlich Aufforstung. Diese Wetten haben sehr unterschiedliche Gewinnchancen."

Zertifikate für den Waldschutz stehen aber auch deshalb in der Kritik, weil sie Emissionseinsparungen oft stark überschätzen. Das bestätigten jüngst Untersuchungen von Forschern aus den Niederlanden, Spanien, USA, Deutschland, Australien und England um den Umweltgeografen Thales A.P. West.

Das Team untersuchte 26 Waldschutzprojekte in Südamerika, Afrika und Asien, die es mit ähnlichen Kontrollflächen verglichen, die aber nicht unter Schutz stehen.

Das ist ein neues, durchaus auch aufwendiges Verfahren. "Der Mehrwert der Studie liegt in der feinen räumlichen Auflösung auf Projektebene sowie dem Vergleich mit der Entwaldungshistorie auf den Referenzflächen", findet Günter, der nicht an der Studie beteiligt war. Die Anzahl der untersuchten Projekte sei zwar nicht besonders hoch, aber: "Für die quantitative Wirkungsanalyse von Klimaprojekten im tropischen Landnutzungssektor ist das jedoch eine beeindruckend hohe Zahl."

Von den 26 untersuchten Schutzprojekten war nur bei acht die Abholzungsrate geringer als auf den Kontrollflächen. Doch selbst die erfolgreichen Projekte vermieden weniger Emissionen als angegeben – mit einer Ausnahme. Unterm Strich generierten die Projekte also zu viele handelbare Zertifikate.

Hein ist überzeugt: "Einnahmen aus dem Verkauf freiwilliger Emissionszertifikate lösen nicht die Ursachen von Entwaldung." Die Entwaldung erfolge heute vor allem für die Ausweitung von agroindustriellen Flächen und – insbesondere in Kolumbien und Peru – für die Ausweitung der Weideviehhaltung. "Diese Entwaldungstreiber sind unmittelbar mit unserem Wirtschaftsmodell und unseren Konsummustern verknüpft."

Die Studie zeige aber auch, dass Waldschutzprojekte des freiwilligen Kohlenstoffmarktes durchaus zum Schutz von Wäldern beitragen könnten, wenn es allgemein verbindliche und transparente Kriterien geben würde, die sich auch kontrollieren ließen. "In vielen Fällen werden Entwaldungsprozesse dann allerdings nur lokal begrenzt, während in Nachbarregionen oder Ländern zusätzlich entwaldet wird", gibt Hein zu bedenken.

Natürlich wehrten sich Zertifizierer gegen die Kritik, allen voran Verra, die weltweit größte Organisation für Waldschutzgütesiegel, aber auch ClimatePartner aus Deutschland. Bereits im Frühjahr, als das Pre-Print veröffentlicht war, bemängelten sie vor allem die Methode mit den Vergleichsflächen. Dennoch versprachen sie, ihre eigenen Beurteilungskriterien zu überarbeiten.

Vielleicht als Konsequenz zog der deutsche Zertifizierer ClimatePartner im April dann sein Label "Carbon Neutral" zurück und ersetzt es durch das Label "ClimatePartner certified", das nach eigenen Aussagen "den gestiegenen Anforderungen an ein umfassendes Klimaschutzkonzept" angepasst sei.

Und Verras Gründungsgeschäftsführer, David Antonioli, trat im Juni zurück. Zuvor hatte sein Unternehmen Pläne für eine neue konsolidierte REDD-Methode und einen neuen Rahmen für Naturgutschriften angekündigt.

(bsc)