Wo laufen sie denn?

Freunde des bissigen Humors sind nicht länger aufs Fernsehen oder Theater angewiesen, um über die Scherze ihrer Lieblingskomiker lachen zu können. Auch die Satire macht vor dem Internet nicht halt.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Ute Roos
  • Dr. Susanne Schwonbeck
  • Kersten Auel

Ja, wo laufen sie denn?’ fragte der Komiker Wilhelm Bendow vor über 80 Jahren. Diese Frage ließe sich heute kinderleicht beantworten: Natürlich im Internet. Denn heute läuft praktisch alles auch im Internet. Hätte es diese überaus effiziente Möglichkeit der Informationsverbreitung schon zu Bendows Zeiten gegeben, wüssten jetzt garantiert alle Leser, von wem wir hier reden - Hand aufs Herz, den Dialog ‘Auf der Rennbahn’ kennen doch alle nur von Loriots Knödelnasen-Männchen, oder? Nun ändern sich ja Gott sei Dank die Zeiten in regelmäßigen Abständen, und so finden heute Bendows Nachfolger, die Berufshumoristen, immer häufiger den Weg ins Netz.

Auch Vertreter der betagteren Generationen wie Loriot freunden sich mit der virtuellen Welt an. Liebhaber von Loriot-Devotionalien kommen im E-Shop ‘Wuppertaler Herrenboutique’ auf ihre Kosten. Für heimelige Winterabende empfehlen wir die Lichterkette aus den Köpfen der Herren Müller-Lüdenscheid und Dr. Klöbener (‘Die Ente bleibt draußen!’). Wer noch Anregungen für den weihnachtlichen Gabentisch sucht, wird in Loriots Werkverzeichnis fündig. Unser Favorit: Ein bebildertes Lehrbuch mit dem Titel ‘Wie wird man reich, schlank, prominent’. Die komplette Site ist liebevoll in gewohnter Loriot-Knollennasen-Optik, mit vielen Cartoons, aber ohne technischen Schnickschnack gestaltet. Im Mittelpunkt steht jedoch eindeutig der kommerzielle Aspekt.

Generationen entfernt von Loriots gediegenem Webauftritt ist die Site von Stand-Up-Comedian Michael Mittermaier, der als zappender TV-Junkie die Herzen der Fernsehnation eroberte. Ohne Shockwave und Flash geht hier gar nichts. Sind diese technischen Voraussetzungen jedoch vorhanden, wird die Surferin mit netten Spielchen (‘Michl impossible’) und Animationen (sich umblätternde Bücher) überrascht. Neben erquicklichen Kolumnen zu Film, Fernsehen und Werbung wird der ‘Mittermaier des Monats’ präsentiert. Etwa die Diplomsozialpädagogin Astrid Hildegard (Michi mit entzückendem Kunsthaar), die Ausdruckstanzen liebt und sich Frieden wünscht. Eine Suchmaschine für Tourdaten in den verschiedenen Städten und ein Shop ergänzen die Site. Ganz im Trend der Zeit gibt es hier T-Shirts mit der Aufschrift ‘Turnbeutelvergesser’ zu erwerben.

Apropos T-Shirt: Bis heute unvergessen ist das legendäre ‘Titten-T-Shirt’ des Frauen-Kabarettduos Missfits, das im E-Shop der beiden Powerfrauen erhältlich ist und hier aus Gründen der Seriosität nicht weiter beschrieben werden soll ;-). Nur so viel sei verraten: Es hat etwas mit der Schwerkraft zu tun ... Überhaupt, die Missfits. Kennt etwa jemand nicht die beiden ‘alten’ Damen Matta und Lisbet, die im Ruhrpott alles andere als dahinvegetieren und noch im hohen Alter über einen erstaunlichen sexuellen Appetit verfügen? ‘Wenn Matta mal ein Zivi kriegt, der wird sich nachem Kriegsdienst sehnen’, lässt Lisbet auf der gemeinsamen Seite verlauten. Außer der rüschigen Poesie-Album-Optik mit rankenden Rosen und kleinen Hundchen ist hier nichts ‘damenhaft’. Nicht ganz jugendfreie Schüttelreime sowie Kostproben aus dem neuen Programm und ein ‘Schätt’ mit den Damen laden zum Verweilen ein.

Lisbet ist auch die Regisseurin der beiden Newcomerinnen Queen Bee, die mit ihrem Musikkabarett derzeit die Bühnen der Republik erobern. Noch ist der Webauftritt der beiden klein, mit lediglich einigen biographischen Informationen und Tourdaten, die Gestaltung ist jedoch ganz allerliebst. Niedliche Engelchen versprühen hier auf goldgerahmten Seiten ihren Charme - im Volksmund wird diese Stilrichtung auch gelegentlich Gelsenkirchener Barock genannt.

Weniger barock, dafür mit orientalischem Charme, tritt der niederbayrische Türke Django Asül auf. Schon die Einstiegsseite ist eine Gaumenfreude für die Augen. Mit Unschuldsblick und 3-Tage-Bart prangt der Kabarettist inmitten kreisförmig angeordneter URLs. Bei jedem Mouse Over folgen Augen und Kopf dem entsprechenden Link mit stets wechselnder Mimik. Das verführt zu rekordverdächtigen Mausbewegungen und ergibt sensationelle optische Effekte. Filmische Kostproben bietet die Site zwar nicht, dafür etliche Hörbeispiele sowie wunderbare Kolumnen, die der auf der Bühne wahlweise deftig bajuwarisch oder gebrochen türkischdeutsch parlierende Komödiant regelmäßig in der Münchner Abendzeitung veröffentlicht. Eine witzige Biographie, ein Tourenkalender und ein Shop (‘Ja, ich möchte diese wunderbare CD bestellen!’) runden das Angebot ab.

Weniger lustig, dafür technisch ungleich aufwändiger ist die Seite der ebenfalls aus der Weißwurst-Metropole stammenden Komödiantin Lisa Fitz. Wer noch Anregungen für animierte Effekte sucht, wird auf diesem modern durchgestylten Site fündig. Sensiblen Gemütern ist von einem Besuch jedoch abzuraten. Die wild rotierende Anfangsgrafik nach Anklicken eines Links löst hier möglicherweise einen epileptischen Anfall aus. Robustere Naturen verfallen lediglich in eine Art hypnotische Starre. Das rechtzeitige Abschließen eines Flatrate-Vertrages ist daher unbedingt zu empfehlen. Inhaltlich ist dieser Webauftritt eher als belanglos einzustufen (Lisas unzählige Autos, Lisas Tagebuch und ähnlich prickelnde Dinge), was angesichts des kabarettistischen Talentes von Lisa Fitz sehr bedauerlich ist.

Schnitt. Scheinwerfer an, tosender Applaus! Hier kommt die Super-Hightech- aber auch superfiese Seite des Enfant terrible der deutschen Comedy, Ingo Appelt. Die virtuelle Showbühne ist wie in der Fernseh-Show gestaltet: Vorn im Rampenlicht Ingo, der dämonisch grinsende Comedian mit der Gabriele-Krone-Schmalz-Frisur, im Publikum links die Damen, rechts die Herren. Der erste Klick führt zu Ingos Biographie, die gleich die Lachmuskeln des Surfers strapaziert. Über Geschmack lässt sich streiten, nicht jedoch über die Tatsache, dass auch Ingo Appelt sich mit brennenden Themen auseinander setzt. Sein Beitrag zum Thema Rechtsextremismus: Die Umerziehung von ‘kleinen Glatzenkindern’ mit Hilfe von Elektroschocks und der Erwerb eines ‘Skinhead-Trainerscheins’ nach Absolvierung der Kurse ‘Neger küssen’ und ‘Türken lieb haben’. Die Beurteilung, ob es sich hier lediglich um schlechte Witze, effektvolle Provokation oder doppelbödige Gesellschaftskritik handelt, bleibt jeder selbst überlassen. Weitere Textbeiträge und viele Videoclips bieten die Gelegenheit, mehr über Ingos Humor herauszufinden. Aber Achtung: betagteren Computermodellen droht hier massive Absturzgefahr.

Tauglich für die Rentner unter den Computern ist dagegen die Homepage der vier Schweizer Musik-Kabarettistinnen Acapickels. Ohne Shockwave und Flash gelingt es den auf ältere Hausfrauen getrimmten jungen Damen, sich unterhaltsam zu präsentieren. Als Highlights seien hier nur die Biographien von Juliette Blamage, Helga Schneider und ihren zwei Mitstreiterinnen genannt, sowie der Videoclip einer Imitation jenes männlichen Rituals, das gemeinhin im Stehen stattfindet.

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere ist Dieter Nuhr, der trotz seines fortgeschrittenen Alters - das heißt heutzutage Mitte bis Ende dreißig - technisch eine Vorreiterstellung einnimmt. Als einziger seiner Zunft tritt er ungeniert werbend in einem schlichten T-Shirt mit der Aufschrift ‘www.nuhr.de’ auf, und dürfte damit Zugriffsraten erreichen, die so manchen Marketing-Strategen vor Neid erbleichen lassen. Die schnörkellose, übersichtliche Site ist einen Besuch wert. Beim Klick auf ‘Nuhr so’ kann man sich an Nuhrs gesammelten Internet-Kolumnen ergötzen. Und gäbe es einen Oskar für die autobiographische Darstellung, wäre Dieter Nuhr unser absoluter Favorit: Nach seinem kometenhaften Aufstieg in den Kabaretthimmel wickelt er seine Tournee 2004 nur noch per Webcam ab. Dummerweise verirrt er sich im Cyberspace, verwandelt sich in eine formlose Datenmenge und stirbt, nach vielen Irrungen, Wirrungen, Virenattacken und Backups, 2056 ‘unbemerkt und zurückgezogen in einem alten Atarirechner und wird als Diskette entsorgt’. Ein wahrhaft würdiges Ende. (ka)