xQc: Was wirklich hinter dem 100 Millionen Dollar-Deal von Kick steckt

Der Streamer xQc wechselt für 100 Millionen Dollar von Twitch zu Kick. Was wirklich hinter dem Deal steckt, hat heise online mit Staiy besprochen.

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Kick buhlt um die großen Influencer von Twitch – xQc bekam für den Wechsel 100 Millionen Dollar.

(Bild: AdriaVidal/Shutterstock.com)

Lesezeit: 14 Min.
Inhaltsverzeichnis

In der vergangenen Woche sorgte der 100 Millionen Dollar-Deal des Streamers xQc weltweit für Schlagzeilen. Für eine Summe, die bislang eher aus dem Profi-Sport bekannt ist, wechselte der kanadische Influencer Félix Lengyel von der zu Amazon gehörenden Streaming-Plattform Twitch zu dem kürzlich gestarteten Live-Streaming-Dienst Kick – der mit riesigen Summen und besseren Konditionen um die großen Influencer buhlt.

Staiy – einer der größten deutschen Streamer auf Twitch

(Bild: Reach Out Angency)

Was an dem 100 Millionen Dollar-Deal so besonders ist und welche Hintergründe dabei eine wesentliche Rolle spielen, erklärt der deutsche Twitch-Streamer Staiy gegenüber heise online. Staiy streamt seit Jahren hauptberuflich auf Twitch, probiert regelmäßig neue Techniken und Plattformen aus und gilt in der Branche im deutschsprachigen Raum als Experte – kürzlich hat er den Interessenverband DACH Streamer Kollektiv (DSK) gegründet.

Unter den Agentur- und Marketing-Experten sowie unbestätigten Insider-Reports zufolge herrscht Konsens, dieser Deal diente lediglich einer einzigen Sache – eine weltweite (unbezahlte) Schlagzeile zu generieren, erklärt Staiy. Das hat funktioniert, sämtliche in- und ausländische Medien waren voll von dem millionenschweren Wechsel – inklusive der Summe in der Schlagzeile: Auch heise online titelte "Twitch: Top-Streamer xQc wechselt für 100 Millionen Dollar zur Konkurrenz Kick" am vergangenen Wochenende zum Wechsel Lengyels von Twitch zu Kick.

Staiy geht jedoch davon aus, dass die gigantische Summe nicht in Gänze ausgezahlt wird. Vermutlich werde ein Teil der Summe als Fixum ausgezahlt und der Rest als "Stundenlohn" und Boni verrechnet. Ähnliche Angebote hätten viele der Streamer-Kollegen ebenfalls bekommen – allerdings nicht in der Höhe. Staiy selbst hat vor etwa zwei Wochen ein Angebot von 750 Dollar pro Stunde bei 100 Stunden garantierte Präsenz pro Monat auf Kick über seine Agentur bekommen und stehe derzeit weiterhin in Verhandlungen.

Im Gegensatz zu dem Deal, der 2019 zwischen Microsofts mittlerweile eingestellten Streaming-Plattform Mixer und Ninja geschlossen wurde, unterliegen die Kick-Verträge keiner Plattform-Exklusivität. Während Ninja damals nur auf Mixer live übertragen durfte, steht es xQc und Amouranth – die ebenfalls für etwa 40 Millionen Dollar zu Kick gewechselt ist – frei, weiterhin auf anderen Plattformen zu streamen.

Die Kick-Deals seien dementsprechend anders und extrem schlau: Die Streamer werden seitens Kick nicht ausgeschlossen von den etablierten Plattformen, sondern starten ihren Stream etwa auf Twitch – der bisher genutzten und Community bekannten Plattform – und nehmen die Zuschauer nach einer gewissen Zeit mit zu Kick. Kick selbst empfiehlt sogar diese Vorgehensweise, um die Zuschauer auf die eigene Plattform mitzunehmen, so Staiy. In der Vergangenheit sei genau das der Fehler an den Exklusivverträgen gewesen. Hinzu kommt, dass die Deals durch eine vorab festgelegte Stundenanzahl zur Live-Übertragung gebunden sind. Kick geht dadurch nicht mal ein Risiko ein – und man kann die Vereinbarungen eher als "Absichtserklärung" einordnen.

"Der Vertrag von xQc könnte theoretisch an eine kleinere siebenstellige Garantiesumme gebunden sein, sofern man bei siebenstellig von 'klein' reden darf. Der Rest könnte in einem Stundenlohn von etwa 10.000 Dollar ausgezahlt werden. Die restlichen 30 Millionen, die in dem Zusammenhang medienweit erwähnt wurden und als Anreiz hinterlegt sind, sprechen für Glücksspiel-Placements, die als Bonus noch obendrauf kommen", vermutet Staiy.

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Kick wurde Berichten zufolge von dem australischen Milliardär Edward (Ed/Eddie) Craven mitbegründet. Craven ist Eigentümer des Online-Krypto-Kasinos Stake, das ihn mit 27 Jahren zum jüngsten Milliardär Australiens machte. In einem Interview erklärte er, dass seine Motivation zu einer weiteren Plattform die geringe Beteiligung der Urheber gewesen sei. Im Gegensatz zu Amazon (zwischen 50 und 70 Prozent) zahle Kick 95 Prozent (sogar bis zu 100 Prozent) der Einnahmen an die Content-Creator aus. Kick ist im Dezember 2022 online gegangen – zwei Monate, nachdem Twitch die Übertragung von Glücksspielen eingeschränkt hatte.

Ohne Amazon geht allerdings scheinbar nichts. So wurde etwa auf Reddit behauptet, dass Kick als Grundlage für seinen Streaming-Dienst IVS nutzt. IVS steht für Interactive Live Stream und ist der Amazon Interactive Video Service von AWS. So verdient Amazon an Kick mit – und das nicht zu knapp, erklärt Staiy. Die zur Verfügung gestellte Infrastruktur ist vermutlich auch der Grund für das nahezu identische Aussehen verglichen mit Twitch – neben Kick gilt das beispielsweise auch für Trovo und die Besucher finden sich sofort zurecht.

Die Ausgaben rechnen sich Staiy zufolge für Kick finanziell nicht in der Form, dass ein einzelner Streamer eine Investition von 100 Millionen Dollar wieder einspielen könnte. Zumal Kick lediglich 5 Prozent der über die Plattform generierten Einnahmen beim sogenannten Abonnenten-Split behalte – die restlichen 95 Prozent aus den Abo-Gebühren gingen schließlich an den Streamer. Dank der Schlagzeile würden sich nun aber viele Menschen Kick anschauen. Gleich zu Beginn auf Kick streamte xQc den Batman-Film "The Dark Night", musste diesen aber einstellen, weil er damit gegen den DMCA verstoßen hatte.

Die Aufmerksamkeit, die der 100 Millionen-Deal mit sich gebracht hat, lasse sich analog – die Analogie stammt nicht von Staiy – mit "dem Auge Saurons aus der Unterhaltungsindustrie" vergleichen, das jetzt auf Kick schaut. In der Vergangenheit richteten sich viele Copyright-Anzeigen gegen Stream-Aufzeichnungen und Twitch-Streamer wurden mit sogenannten DMCA-Claims überzogen, so dass Twitch ein Tool einführte, um das Entfernen der Videos auf Abruf (VOD) zu erleichtern. Auch xQc hat nach Aufforderung eines Kick-Mitarbeiters das Video umgehend löschen müssen, erklärt Staiy. Anschließend habe es im Internet Diskussionen gegeben, dass Kick genau wie Twitch sei und ebenfalls die Meinungsfreiheit einschränke...

Das Fundament von Kick besteht Staiy zufolge aus vielen Streamern, die auf Twitch und anderen Live-Plattformen in der Vergangenheit gesperrt wurden. "Ohne eine entsprechende Inhaltemoderation besteht allerdings eine große Gefahr, dass Kick sich eine Klientel ins Haus holt, die unaussprechliche Dinge veranstalteten." So soll es angeblich einen Vorfall gegeben haben, dass der Missbrauch Minderjähriger live übertragen wurde. Der auf Twitch gebannte Streamer Adin Ross habe auf Kick kürzlich zu Gewalt gegen Transgender aufgerufen – scheinbar ohne Konsequenzen.

Bei Twitch ist mittlerweile allerdings auch nicht mehr alles Gold, was glänzt. In der jüngsten Vergangenheit wurden die Nutzungs- und Rahmenbedingungen (Terms of Service – TOS) sehr häufig geändert – teilweise täglich. Derzeit liegt der Abonnenten-Split bei 50/50, mit unterschiedlichen Partnerschaften (etwa Partner Plus) auch bei 70/30. Die Regelungen sind mit den Jahren immer komplizierter geworden und die Möglichkeiten umfangreicher. Zur Unterstützung der Streamer und Influencer gibt es aber noch weitere Möglichkeiten und Plattformen: Patreon, Onlyfans oder Ko-fi sowie viele weitere.

Staiy fordert seine Zuschauer mittlerweile auf, ihn nicht mehr über die Abonnements von Twitch/Amazon zu unterstützen. Ausschlaggebend dafür war auch die Frequenz der TOS-Änderungen seitens Twitch und die damit verbundenen (Un-)Sicherheiten. "Ich will mich um meinen Stream kümmern. Muss ich mir jetzt auch noch Gedanken machen, ob die Plattform völlig den Verstand verliert?", erklärt Staiy. Anscheinend muss er das aber und deshalb hat er sich zu diesem Schritt entschieden. Den Abo-Button auf Twitch kann er nicht einfach ausblenden, weil dieser fester Bestandteil seiner aktuell noch laufenden Partnerschaft ist.

Staiy kann seine Zuschauer zwar nicht dazu zwingen, ihn nicht zu abonnieren, aber er bittet sie darum, weil Twitch den Anteil der Gebühren nicht verdiene. Die Plattform handelt ihm zufolge schon seit längerer Zeit nicht mehr im Interesse der Content-Creatoren und die Entscheidungen sind teilweise so extrem, dass sie ein Gefühl "Limit-Testing" vermitteln – wie viel Druck kann Amazon ausüben, bis die Streamer sich wehren. Der Verzicht auf die Abos ist seine persönliche Entscheidung und kein Aufruf zum Boykott, stellt Staiy klar. Eine Mitgliedschaft auf YouTube ist für ihn die bessere Alternative. Google ist zwar auch nicht die "heilige Instanz", aber zumindest so beständig, dass man sich bislang darauf verlassen kann.

Mehr über die Verdienstmöglichkeiten lesen Sie in diesem Missing Link: Internetstars – Von Influencern, YouTubern und Twitchstreamern. Die Bedingungen und Konditionen entsprechen nicht mehr in allen Bereichen den aktuellen Möglichkeiten – die grundsätzlichen Erklärungen der Einnahmemöglichkeiten sind in großen Teilen aber bis heute gültig.

In einer der unzähligen Änderungen wollte Twitch etwa auch die Partnerschaften mit Werbetreibenden regulieren und sogar unterbinden. Diese Partnerschaften werden regelmäßig oder dauerhaft (je nach Anzahl der Partner) etwa per Marken-Logo eingeblendet oder in Form von Werbevideos – ohne finanzielle Twitch-Beteiligung – ausgespielt. Das Einblenden von Werbepartnern sollte zwar nicht vollständig untersagt werden, die Fläche der Logos durfte allerdings maximal drei Prozent in den Übertragungen einnehmen. Werbevideos hingegen waren komplett untersagt. Diese drastische Maßnahme hat Twitch innerhalb von zwei Tagen wieder zurückgezogen, da viele große Streamer darauf angewiesen sind und mit einem nötigen Rückzug von der Plattform reagierten. Unbestätigten Gerüchten zufolge, sollen ziemlich genau zu dem Zeitpunkt 1,2 Millionen neue Benutzeraccounts auf Kick erstellt worden sein. Hinter vielen großen Influencern stecken Unternehmen mit Angestellten und sozialen Verpflichtungen.

Zusätzlich hätte dieser Einschnitt auch Werbeagenturen und Mittelsmänner getroffen – etwa direkte Werbepartner für die Finanzierung von Events, bei denen sich Twitch in der Vergangenheit unzureichend oder gar nicht beteiligt habe. Zu den Events zählen beispielsweise Fußballevents oder das Angelcamp bis hin zu E-Sport-Veranstaltungen. Aufgrund des scheinbar mangelnden Interesses seitens Twitch finden diese Events in Deutschland mittlerweile größtenteils auf Joyn, dem Streaming-Angebot von ProSiebenSat.1 Media, statt. Gerüchte, dass Joyn mit seinen guten Kontakten zu den Influencern ebenfalls eine Streaming-Plattform plant, machen bereits seit geraumer Zeit die Runde, erklärt Staiy.

Neben den Entscheidungen von Twitch besteht zusätzlich das Problem, dass viele Content-Creatoren sich wenig bis gar nicht austauschen. Mit dem Interessenverband "DACH Streamer Kollektiv (DSK)", den Staiy kürzlich gegründet hat, will er seine Kollegen zu einem Austausch untereinander ermutigen. "Das DSK ist nicht meins, ich stelle lediglich die Plattform (einen Discord-Channel mit offenem und geschlossenem Bereich) zur Verfügung", erklärt er gegenüber heise online. In welche Richtung sich das entwickelt, wird die Zeit zeigen.

Staiys Ziel ist im ersten Schritt, die Meinungen und Auffassungen unterschiedlicher Streamer zu gewissen Punkten und Vorgaben zusammenzutragen und anhand von Abstimmungen sichtbar zu machen. Es geht nicht darum, Druck auf Plattformen auszuüben und Forderungen zu stellen, sondern eine Position des Verbunds zu bestimmten Themen herauszuarbeiten. Die Ergebnisse kann man anschließend öffentlichen kommunizieren und "jeder kann mit diesen Informationen anstellen, was er will". Staiy findet die Analogie zu dem "Continental" aus dem Actionfilm "John Wick" passend, die einer der Mitglieder aufgestellt hat – dort gibt es keine Reibereien und der "neutrale Boden" soll gewahrt werden im Rahmen des höheren Interesses.

So kann etwa eine Positionierung zu dem 100 Millionen Dollar-Deal mit Kick oder dem Verbot von Multicasting (auf mehreren Plattformen zeitgleich streamen) sowie der mangelnden Transparenz für Banne auf Twitch im Kollektiv erörtert werden, erklärt Staiy. Ob die Idee dahinter erfolgreich wird oder das Kollektiv dauerhaft besteht, bleibt abzuwarten. Inzwischen hat das junge Vorhaben bereits über 3000 Discord- und davon über 150 Kollektiv-Mitglieder, die aus Streamern bestehen. Staiy selbst ist ebenfalls nur ein Mitglied.

Auch wenn Staiy auf Multicasting für seine Zukunft gesetzt hatte und das Projekt mit dem Verbot seitens Twitch vorerst auf Eis liegt, hält er auf Nachfrage das Eingreifen der Politik und Politikern aufgrund der Relevanz für zu weit hergeholt. Die Rahmenbedingungen, die der existierende Medienstaatsvertrag schafft, seien völlig ausreichend und die "Involvierung der Politiker kann es nur schlechter machen". Staiy ist allerdings davon überzeugt, "dass mittlerweile jeder Content-Creator und jeder Streamer und jede Streamerin darüber nachdenkt, dass sich zu organisieren durchaus Sinn macht, weil die Einschränkungen durch Plattformen exzessiv sein können". Zudem hat es den Anschein, dass diese an den Anbietern abprallt, egal, wer aus der User-Base Kritik ausübt.

Alle Interessierten und Live-Streamer sind herzlich eingeladen, dem DSK-Discord-Channel über diesen Einladungslink beizutreten.

Konkurrenz belebt zweifelsohne das Geschäft und neue Plattformen sorgen zuweilen vielleicht für bessere Konditionen der Nutzenden. Bereits Trovo diente zu Beginn als Auffangbecken für gestrandete Streamer, die zeitweise oder dauerhaft auf Twitch oder YouTube gesperrt waren beziehungsweise noch sind. Ob Kick neben xQs und Amouranth (etwa mit Adin Ross) zukünftig mit größeren Problemen durch seine Nutzer konfrontiert wird und ob eine Präsenz auf Kick für Werbepartner interessant sein wird, bleibt abzuwarten.

Bei einem 100 Millionen Dollar-Deal ist fraglich, ob man überhaupt noch weitere Werbedeals eingehen muss – vermutlich nicht. Das "Auge Saurons" wird seinen Blick von Kick in naher Zukunft kaum abwenden und die Zeit wird zeigen, welche Gemeinschaften sich zu wem bekennen oder ob Ed Craven den Ring des Gambling doch eines Tages ins Feuer werfen wird – im Schicksalsberg auf Kick.

(bme)