Kommentar @Regierung: Zu tweeten heißt nicht, gut zu regieren

Einen Montag lang hieß es, dass die E-Auto-Kaufprämie erhöht wird – bis auf Twitter das Dementi folgte. Das ist nicht okay, meint Andreas Wilkens.

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So ungefähr präsentiert sich der Bundesverkehrsminister auf Twitter.

(Bild: @Wissing auf Twitter, abgewandelt von heise online)

Lesezeit: 5 Min.
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Montag, am Morgen des 9. Mai 2022. Das Handelsblatt berichtet, der Bundesverkehrsminister Volker Wissing wolle die Kaufprämie für Elektroautos massiv erhöhen. Schnell entzündet sich ein Lauffeuer, auf dessen Zugbahn das Boulevardblatt "Bild" einen "E-Auto-Hammer" fallen lässt und sich die SPD, Umweltverbände, Kfz-Gewerbetreibende und Denktanker wie die "Agora Verkehrswende" zur Kritik aufwallen. Manch Zeitung schreibt gar von einem "Koalitionskrach", im Netz wird von einem "bedingungslosen Grundauto" gewitzelt – bis Wissing mit einem kurzen Tweet die Diskussion erübrigt. Ein Vorgang, der in der modernen Erregungskultur normal erscheint, aber nicht normal erscheinen sollte.

Bis zu Wissings Dementi waren vom Newsroom von heise online längst per E-Mail und Telefon Anfragen an das Bundesverkehrsministerium ergangen. Die E-Auto-Kaufprämie entgegen den Plänen des grünen Wirtschaftsministeriums angeblich zu verlängern und gar fast zu verdoppeln war gewiss fürs Handelsblatt ein gefundenes Fressen, ein Scoop; für unsereins aber zu unrealistisch, um die Exklusivmeldung einfach weiterzuventilieren.

Andreas Wilkens

kommt aus den Kulturwissenschaften, wurde frühzeitig in seinem Studium mit Computern konfrontiert – als Arbeitsmittel und Verdienstmöglichkeit. Er kümmert sich im Newsroom von heise online um die Nachrichten aus der IT-Welt.

Erst viel später erging aus dem Verkehrsministerium ein Dementi, aber nicht während eines weiteren Telefongesprächs mit dessen Presseabteilung. Von dort hieß es lediglich, die Antwort auf die Anfrage werde noch "intern abgestimmt", eine schriftliche Antwort werde möglicherweise noch Montag zu erwarten sein. Nein, der Verkehrsminister höchstpersönlich schrieb in einem Tweet, an dem Handelsblatt-Bericht sei nichts dran.

Mit einem weißen Häkchen auf sechskantigem blauen Grund will uns Twitter versichern, dass es sich tatsächlich um Wissing handelt, der unter dem Account "@Wissing" seine Verlautbarungen herauszwitschert. "Dieser Account ist verifiziert", besagt es, Twitter nennt es "Verifizierungsabzeichen", das "namhafte" Personen aus Politik, Unterhaltung und anderen Bereichen bekommen, wenn sie die Echtheit nachweisen, aktiv sind und "beachtenswert" sind.

Ein Bundesverkehrsminister ist gewiss "beachtenswert", seine Entscheidungen sind für viele Menschen folgenreich. Wissing wird keine Probleme gehabt haben, ein "Verifizierungsabzeichen" an die Badehose genäht zu bekommen. Aber wie steht es umgekehrt? Ist Twitter "beachtenswert"? Ja, soll uns das "Verifizierungsabzeichen" sagen, denn dort treiben sich diverse "beachtenswerte" Menschen herum.

Wir könnten von einer Win-win-Situation sprechen. Twitter sonnt sich im Licht der verifizierten Accounts, schließlich leben wir in einer "Aufmerksamkeitsökonomie". Auf der anderen Seite könnten Nutzer wie Wissing große Teile ihrer Presseabteilungen einfach einsparen, indem sie zwischen zwei Meetings mal eben bequem auf ihrem Smartphone ein paar Zeichen ins Internet werfen.

Für die Medienschaffenden heißt das, nicht nur via Website, Telefon und E-Mail für Nachfragen Kontakt zu halten, um mehr Hintergrund zu bekommen, sondern immer auch ein Auge zu werfen auf Twitter sowie auf andere "soziale Medien" wie Facebook, Instagram, Telegram und was sich sonst noch alles im Internet findet, um ein paar Infohäppchen aufzuschnappen.

Für Sie als Leserin oder Leser erscheint das möglicherweise unerheblich, das ist halt die übliche Arbeit der Journalistinnen und Journalisten. Die sollen nicht auf niedrigem Niveau jammern. Das eigentliche Problem ist aber, dass die herkömmliche Öffentlichkeitsarbeit mithilfe kommerziell orientierter Unternehmen wie Twitter, Facebook oder Google ergänzt oder gar, wie in diesem aktuellen Fall, ausgelagert, von deren Regeln bestimmt und damit zum Beispiel erheblich verkürzt wird. Besonders die Ampelminister aus der Riege der FDP tun sich hier hervor, aber auch der SPDler Karl Lauterbach ließ sich schon einmal hinreißen, nächtens via Twitter Aussagen zu korrigieren, die er selbst noch am Abend in einer Talkshow verlautbart hatte.

Wie weit das gehen kann, hatte der frühere US-Präsident Donald Trump bis zum Exzess vorgeführt. Er hätte eigens ein eigenes Häkchen für "verachtenswert" verdient gehabt, bis ihn Twitter hinauswarf. Verachtenswert, weil er tausende Male komplexe Zusammenhänge auf 280 Zeichen eindampfte – oder wie viel Raum auch immer gerade Twitter seinen Nutzern lässt – und damit gewiss einen profunden Beitrag zur Polarisierung der US-amerikanischen Gesellschaft geleistet hat.

Möglicherweise wird Trump, dessen eigenes neues soziales Netzwerk "Truth Social" im Rohr zu krepieren scheint, dort wieder hereingelassen. Jedenfalls könnten Äußerungen des neuen Besitzers Elon Musk darauf schließen lassen, der die Zwitscherbude für "Free Speech" öffnen will. Was auch immer ein Unternehmer, der gerne auch einmal im Internet herumtrollt, unter "Free Speech" zu verstehen meint.

Diesen Regeln, die die sozialen Netzwerke jederzeit ändern können, unterwerfen sich auch Wissing und all die anderen "beachtenswerten" Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft. Ihre Beiträge werden garniert von Werbeeinblendungen und sie unterwerfen sich der undurchschaubaren Algorithmik der Betreiber. Nutzer, die lediglich passiv Twitter, Facebook und andere Netzwerke verfolgen wollen, werden dauernd genötigt, diesen Netzwerken beizutreten.

es geht auf den Mittag zu. Das Bundesverkehrsministerium hat uns immer noch nicht die versprochene Stellungnahme geschickt, durch den Internetwald rauschen die Dementis. Die Erregungs- und Empörungswelle hat ausgeschwappt.

Immerhin hat Wissing für seine Klarstellung nicht nur Twitter genutzt, sondern am frühen Morgen auch den Deutschlandfunk. Und immerhin nicht die "Bild", dessen Boulevard-"Journalismus" ebenso wie Twitter Unterkomplexität fördert und seine fragwürdige Berichterstattung gerne mit Exklusivperlen aus der Regierungsbank garniert. Aber das ist eine weitere Dauerbaustelle, über die Politiker und Politikerinnen aller Couleur intensiv nachdenken sollten.

(anw)