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Was war. Was wird.

In der Wochenschau hat Hal Faber diesmal Mitleid mit Leuten, die gepunkt-hopst oder diskriminiert wurden.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Aus den USA kommt ein hübscher Begriff, der in deutscher Übersetzung leider etwas an Biss verliert. Dot-commed steht für das Leid aller armen Seelen, die von einer abstürzenden Dot.com-Firma gefeuert werden. Für eingefleischte Eindeutschungsfans wäre vielleicht Punkt-Hops ganz passend. Aber ach, höre ich die leidgeplagten Newstickerleser seufzen: Unser aller Lieblingsthema bleibt uns auch dieses Wochenende nicht erspart. Hier an dieser sonntäglich friedlichen Stelle schlage ich Dot-netted als Ergänzung zur schönen Internet-Ökonomie-Newspeak vor. Das soll für alle Beschäftigten in Firmen stehen, die durch Microsofts .NET-Strategie ausmanövriert werden. Die mit großem Gekoller verkündete Strategie soll sich zwar irgendwann in den Jahren 2002 bis 2005 entvaporisieren, doch fordert sie bereits heute ihre Opfer. Dot-netted ist beispielsweise Ed Iacobucci, der als Vorsitzender der von ihm gegründeten Firma Citrix den Hut nehmen musste. Mit der Bekanntgabe der .NET-Strategie und ihrer Client-Anbindung à la Microsoft rauschten die Citrix-Aktien in den Keller, dorthin, wo man bald die Terminalserver der Firma finden wird. Citrixens Erklärung zur Amtsniederlegung des "verdienstvollen" Iacobucci klärt uns auf, dass dieser früher bei IBM proprietäre Betriebssysteme entwickelte. Das mag man so sehen, aber eigentlich ist es nicht ganz richtig: Iacobucci war Chef des gemeinsamen IBM/Microsoft-Teams für das Design von OS/2. In seinem OS/2-Buch, von McGraw-Hill auf deutsch 1989 herausgegeben und kurz und knapp Das OS/2-Buch (mit Diskette 5 1/4 Zoll) genannt, stammt der erste Satz im Vorwort von Bill Gates: "Ich glaube, OS/2 ist dazu bestimmt, das wichtigste Betriebssystem und vielleicht sogar das wichtigste Programm aller Zeiten zu sein." Und in seinen eigenen Danksagungen bedankt sich Iacobucci artig bei Steve Ballmer und Bill Gates für ihre unablässige Unterstützung.

*** Wo wir schon bei den Meriten von Microsoft in der Entwicklung revolutionärer neuer Software sind: Bei der Preisgabe des ungemein zugkräftigen .NET wurde auch dem letzten Beobachter klar, warum Microsoft in den letzten Monaten zuhauf seltsame Domain-Namen konnektierte. Ein kleiner Auszug aus der Liste: Dot-in-the-dot.com, dot-in-the-dot-com.org, dot-in-the-dot-com.net, dot-in-the-dot-com.com, dot-in-the-dot.net, dot-in-the-dot.org, dot-truth.org und dot-truth.net. Eines fehlt: Dot-wise.net. Kein Wunder, denn dies ist eine rein deutsche Sache: Sechs Berliner Startups haben sich zu einer Initiative für mehr Weisheit im Netz zusammengschlossen und wollen für diese Weisheit mit Weißheit demonstrieren: Ein vollständig weißer Wagen wird auf der Berliner Love-Parade von diesen Firmen gesponsert und steht mit seiner Farbe "für die gemeinsame Forderung nach mehr Weis(s)heit beim Auf- und Ausbau des Internets: Bündelung der Datenflut, Transparenz der Information sowie Schutz vor Kriminalität, Gewalt, Diskriminierung und Rassismus im Internet." Schön wird es, wenn die Weißen beim großen Internet-Grau mitmachen. Die Mischfarbe heißt einfach Nebel.

*** Im Nebel stehen wohl auch einige andere Startups, von denen bislang kaum ein Mensch gehört hat. Dafür gründen sie jetzt einen eigenen Wirtschaftsverband und machen Heavyweights wie dem Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) und dem Bundesverband der deutschen Arbeitgeber (BDA) Konkurrenz. Jedenfalls fühlen sich die Startups diskriminiert und überhaupt nicht repräsentiert: Hauptsache gut gebrüllt, irgendjemand wird schon zuhören. Auf einen Namen für ihre neue Organisation konnten sich die Mannen der deutschen Internet-Ökonomie allerdings noch nicht einigen. Kleiner Vorschlag meinerseits: Wie wäre es mit Bundesverband der deutschen Bobos (BDB)?

*** Überraschend übrigens (oder vielleicht auch nicht) – auch in der Neuen Ökonomie haben die Frauen so viel zu sagen wie in der Alten Wirtschaft. So gut wie gar nichts also; ein paar Vorzeigeexemplare dürfen mitmischen, die dann wie Marsmädchen bestaunt und neckisch mit Carly angeredet werden. Wenns dann aber zu viel wird, stehen sie schneller als ihre männlichen Kollegen zum Abschuss frei – auch wenn sie nicht viel anders arbeiten als die Herren der New Economy. Jeanine Graf von Inquire hat schließlich kaum anders operiert als all die Startups, die aus jedem Blödsinn noch eine Pressemitteilung generieren, dass die Weltrevolution ausgebrochen sei. Kein Wunder, dass sich unsere Startups mit Kommentaren zu Graf zurückhielten – auch der noch zu gründende Bobo-Verband hatte dazu nichts zu sagen. Denn gierig saugen aktienbesessene Öffentlichkeit und institutionelle Investoren auf der Suche nach der Geldanlage an und für sich all die Nachrichten über die sensationellen Geschäftsideen und die damit erzielbaren Megarenditen auf, die die Neue Ökonomie beflügeln. Da kann auch eine Graf von Geschäftskunden fabulieren, die es nie gab, und von Umsatzzahlen, die keiner Nachprüfung standhalten: Hauptsache Dot.Com. Vor ein paar Jahren noch erklärte man all die lieben Leute für verrückt, die auf Gewinnversprechen im Stile von Bernie Cornfelds IOS hereinfielen. Aber immerhin ist sich Graf bewußt, was sich für eine Boboin gehört: Sie gab die Auszeichnung "Entrepeneur des Jahres 2000" zurück. Es existiert doch noch Ehrlichkeit auf der Welt.

*** Eine besondere Form der Diskriminierung erfährt übrigens gerade Kevin Mitnick, der amerikanische Edelhacker. Nach fünfjähriger Haft wurde Kevin Mitnick im Januar auf Bewährung entlassen, unter harten Auflagen. So darf Mitnick keinen Computer mehr anfassen, auch die (lukrative) Arbeit als "Lecturer" wurde ihm untersagt. Mitnick hatte begonnen, Unternehmen über Sicherheitslücken in Rechnernetzen aufzuklären. Das Berufsverbot als Redner folgte sinnigerweise an dem Tag, als der ILOVEYOU-Wurm ausbrach. Nun soll Mitnick auch verboten werden, als Kolumnist zu arbeiten. Er sollte in dem Webzine Contentville monatlich über Sicherheitsrisiken im Internet schreiben. Contentville wird von Steve Brill herausgegeben, der mit Brill's Content die führende US-Zeitschrift für Medienkritik verlegt. Brill versicherte den Behörden, dass Mitnick seine Kommentare auf Band sprechen wird und keinen Computer anfasst. Ob es ausreicht, wird sich am nächsten Montag zeigen. Mitnicks Fall wird von der Richterin verhandelt, die ihm die Tätigkeit als Redner verboten hatte. Mitnick selbst soll erklärt haben, dass es für ihn ausreicht, Zeitungen und Fachzeitschriften zu lesen, um für seine Kolumnen fit zu sein. Und dass es bei den Sicherheitslücken ohnehin kaum Neues gäbe.

*** Diskriminiert fühlt sich offensichtlich auch Intel. Ob von einem ominösen Unternehmen namens AMD, das sich frecherweise herausnimmt, ebenfalls PC-Prozessoren zu produzieren? Aber es gibt Abhilfe: Dem angeschossenen Platzhirschen der PC-CPUs ist jede Klitsche, deren Software auch auf Pentiums läuft, eine Pressemitteilung wert. Firmen wie EHAND, WStore oder Ozon kommen in den Genuss Intel-finanzierter Pressemitteilungen, weil sie sich breitschlagen lassen, öffentlich bekannt zu geben, ihre Software, ihre Infrastuktur, ihr Online-Shop oder was auch immer arbeite eben auch mit Hardware von Intel. Ozon, übrigens ein russischer Online-Buchladen, hatte laut (deutscher) Intel-Presserklärung Schwierigkeiten, weil seine Server doch tatsächlich 8.000 Seitenaufrufe pro Tag verkraften mussten. Aber alles kein Problem, denn die waren ja mit Intel-Prozessoren ausgerüstet: Durch diesen "Industrie-Standard der Intel-Architektur" ließ sich das gesamte System "innerhalb weniger Monate" komplett neu aufbauen. So mögen wir die Internet-Ökonomie: Im Geschwindschritt zu ganz neuen Höchstleistungen.

*** Im Geschwindschritt kam nun wieder Sonntag Morgen, und der geneigte Leser fragt sich verdutzt: Ist diese Kolumne zu kurz? Ha! Das kommt ganz einfach daher, dass eine Presseerklärung von Oracle mich zu Höchstleistungen anspornte. "Was machen Sie an einem langweiligen Wochenende? Gründen Sie doch einfach ein Startup." Glaubt man Oracle, so wurde die schwedische Firma Produktfact.com am Donnerstag, den 13. April, gegründet und nahm am Montag, den 17. April, ihre Geschäfte auf. Nichts ist "einfacher, als mit Oracle 8i sein Wochenende zu verbringen und eine Firma zu gründen." Von wegen Badehose einpacken und mit dem Handbuch für Windows-Terminalserver ins Lister Bad (Wannseen haben wir hier leider nicht). Jetzt wird in die Hände gespuckt, wir heben das Bruttosozialprodukt, sang einmal eine längst vergessene Band: Montag eröffnet der Hal-Shop in schlichtem Weiß auf Weiß. Und nächste Woche erzähle ich, wie ich mit meiner Cyberidee, Wasser in H20 aufzulösen, gedot-commed wurde.

Was wird.

Noch vor den Erlebnissen von Hal, dem Warmduscher, im Internet-Startup-Abenteuerwunderland findet im Disneyland bei Paris die Real 2000 statt, eine Konferenz von RealNetworks zur Zukunft des Streaming im Internet. Das ist in der Masse der frühsommerlichen Konferenzen noch nichts besonderes, richtig. Interessant ist aber die Rolle der Deutschen Telekom, die Keynote-Redner stellt und in den Unterlagen als größte deutsche Fernsehanstalt geführt wird. Es muss diese Ähnlichkeit von Ron Sommer und Ted Turner sein, die für diese Verwechslung verantwortlich ist. (Hal Faber) (jk)