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Was war. Was wird.

Das Telefon als Instrument des Terrorismus? Manchen Leuten scheint alles möglich, bedauert Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Vor 140 Jahren, am 26. Oktober 1861, hielt der Lehrer Johann Philipp Reis im Physikalischen Verein zu Frankfurt am Main einen Vortrag über "Das Telefonieren mit galvanischem Strom" und stellte dabei seinen "Apparat zur Reproduktion von Tönen aller Art" vor. Sein Versuch war simpel, bestand aus einer Geige, einer Stimmgabel, ein paar Drähten, Spulen, Membranen und dem Kurbelkasten für die Stromproduktion, ganz ähnlich den Freeplay-Kurbelradios, die jetzt in Billigstvarianten über Afghanistan abgeworfen werden, damit überhaupt Rundfunk gehört werden kann. Später perfektionierte Reis seine Erfindung, nannte das aufnehmende Teil nach einer ersten Beschreibung von Thomas Huht aus dem Jahre 1796 Telefon, den wuchtigen Empfänger jedoch "Reproduktionsapparat". Schließlich konnte der nicht nur die Stimme, sondern Töne aller Art wiedergeben. Lehrer Reis dachte an den Unterricht und an erbauliche Musik. Wahrscheinlich wurde deswegen das Telefon andernorts erfunden, vor allem von einem gewissen Alexander Graham Bell, der es anno 1877 als Werkzeug des T-Commerce beschrieb: "Im Haushalt gestattet es dem Benutzer, augenblicklich mit seinem Lebensmittelhändler, Metzger oder Bäcker in Verbindung zu treten".

*** Doch was ist, wenn schlimmere Bestellungen über das Telefon getätigt werden, hier ein Mord und dort ein Drogendeal? Gegen das Telefon sprach sich damals der Vorstand der Telegraphengesellschaft Western Union aus: "Unsere Angestellten lassen keine Mitteilung zu, die unser Gemeinwesen gefährdet." Das Telefon gewann und mit ihm die Überwachung der Telefonate: Zwei florierende Betriebe sind immer besser als einer. Heute ist der Echelon Jam Day, an dem wir in den lauen Herbst hinein Bin Laden in die Muscheln nuscheln und Mails mit großen Schneehaufen durch die Gegend schicken sollen. Mindestens, dass die Bücher Mose, die Bibel und der Koran im Volltext durch die Leitung jagen, bis irgendwo im fernen Amerika ein Computer mit dem Beten anfängt. Jam, Baby, Jam.

*** Es bleibt die Frage, wer über die besseren Informationen verfügt. Wenn Al Jazira aus Quatar als Terror-Sender bezeichnet wird, obwohl viele Journalisten dieser Station eine Ausbildung bei der honorigen BBC genossen haben, wenn CNN Bin Laden völlig überflüssige Fragen stellt und über ganz Afghanistan ein Bildverbot verhängt ist, dann passieren seltsame Dinge: Die Netizen lesen lieber bei Dawn und bei Debka die Schlagzeilen, obwohl beide Seiten parteiisch sind und selbst mitteilen, dass ihr Geschäft aus dem Füllen eines Zeitfensters besteht, das maximal 15 Minuten groß ist. Wer kämpft da noch unverdrossen?

**** Es mag eine makabere wie unpassende Frage sein, ob es für die gefangenen Taliban Lager geben wird. Keine Lager, das klingt, als ob Überlebende nicht eingeplant sind. Meine Notizen entstehen an einem 20. Oktober, an dem vor 110 Jahren der Physiker und Nobelpreisträger Edwin Chadwick geboren wurde, dem wir die Entdeckung der Neutronen zu verdanken haben. Wenig bekannt ist, das Chadwick den ersten Weltkrieg in einem Gefangenlager in Ruhleben bei Berlin verbrachte und in Pferdeboxen an der "University of Ruhleben" unterrichtete, von Deutschen oft verspottet. Meine Notizen enden am 21. Oktober, an dem vor 100 Jahren Margarete Buber-Neumann geboren wurde. Als Kommunistin lernte sie die Lager in Sibirien kennen, ehe sie von den Stalinisten an die Nationalsozialisten übergeben wurde und in das KZ Ravensbrück kam. Dort traf die "Trotzkistin" und "Kommunistin" Milena Jesenska, über die sie später das Buch "Kafkas Freundin Milena" schrieb. Kurz vor dem Fall der Mauer gestorben, ist sie die Patronin von Websites wie War Room geworden. Die Frau, die sich immer zu wehren verstand, kann dagegen nichts mehr ausrichten.

*** Stephen Hawkings, der die schwarzen Löcher dieser Welt erklären kann, sieht das Heil der Menschheit in der Umsiedlung auf einen anderen Planeten, nach genetischer Vorzugsbehandlung gegen die Computergefahr, versteht sich. Die Erde kann dann getrost den Hoffnungslosen der Elenden, den Taliban und Anthrax überlassen bleiben – wenn die Sky Marshals dieser Erdenflüchtlinge wirklich aufgepasst haben. Doch wohin die Reise gehen soll, kann auch ein Hawkings nicht erklären. Fesch herausgeputzt steht dafür SETI bereit. Dort hat man Erklärungen auf Lager, die wirklich überzeugend sind. Wir sind nicht allein. Wir sind alle nur mit der falschen Religion geschlagen.

Was wird.

In der letzten Woche demonstrierte Bahnchef Mehdorn bestes Management-Denken, als er den Bahnhofsmissionen empfahl, auf die Ausgabe von Essen zu verzichten. Essen im Bahnhof? Mission impossible, wenn es umsonst ist und nicht in einer schicken Futteria angeboten wird. Die Armen, die Alten und die Penner passen einfach nicht in eine Welt geprägt von Sicherheit, Sauberkeit und Service. Erinnern wir uns: Für dieses 3S-Konzept wurde die deutsche Bahn im letzten Jahr mit einem Big Brother Award prämiert. Am Freitag ist es wieder soweit! Die Spannung steigt, ob diesmal ein Datenschutzschänder den Weg nach Bielefeld schafft. Bisher zog mehr die Ausrede, dass es Bielefeld nicht gibt, genau wie Big Brother. Mehdorn ist jedenfalls nicht mit von der Partie. Seine Bahnlogistik ist damit beschäftigt, Esspäckchen für die Hungernden aus den Zugfenstern zu werfen.

Auch Steve "Dancemonkeyboy" Ballmer, der begnadete Tänzer aus dem Hause Microsoft, wird es nicht nach Bielefeld schaffen, obwohl seine Firma für die Produktaktivierung von Windows XP mindestens einen Little Brother verdient hat. Moderiert von Ulla Kock am Brink ist Ballmer am Tag der Preisverleihung lieber beim Tänzchen mit Lou Bega zur feierlichen Einführung von Windows XP in München. Das ist zwar nicht so fesch wie es Bill Gates mit dem 30 Millionen Dollar teuren Einkauf von Madonna für das terroristische Windows XP in New York hat, aber immer noch besser, als mit Sabine Christiansen darüber zu diskutieren, ob Geld die Welt regiert. Als Bill Gates diese Frage bei "Christiansen" elegant umging, überbrückte das D-Mark-Kind die Auslassungen mit der Bemerkung, das alles relativ ist.

War da noch was? Ach ja, Halloween kommt! Nein, nicht die Updates für Windows XP, sondern ein durch und durch amerikanisches Fest der Geister und Untoten, das Marketing-Fachleute auch bei uns ankurbeln wollen. In einer Umfrage unter den Besuchern der Vergnügungsparks von Paramount's Great America mußte sich Bill Gates geschlagen geben. Bei der Wahl der gruseligsten Halloween-Visage wurde Bill Gates von Michael Jackson und Graf Dracula geschlagen. Unwichtig? Nun ja, man hätte mindestens diese Wahl geheim halten können. Wo doch schon Oliver Stone es fertig gebracht hat, Bill Gates im besten Stockhausen-Stil mit der Energie des reinen Chaos einer Flieger-Attacke in Verbindung zu bringen. Mit Linux wär ihm das nicht passiert ...

Was alles mit Linux nicht passiert wäre, sei dahin gestellt. Ob Linux, BSD, Mac OS oder Windows, jedes System hat seine Meriten. Und so schließe ich für diese Woche voller Versöhnlichkeit und führe mir das "Concert for New York City" zu Gemüte, dessen moralinsaure Penetranz (unter anderem mit den Bildern des intakten World Trade Center) eigentlich nur durch den Auftakt mit David Bowie als Wiedergänger von Brecht/Weil erträglich wird. "Wir verstecken uns nicht wie Feiglinge", meinte Billy Crystal. Nun ja: Manchem mag "Woodstock ohne Schlamm", wie Crystal das Benefizkonzert im Madison Square Garden nannte, zynisch erscheinen. Zynismus aber, schlechte Witze und möglicherweise auch guter Humor sind nach dem 11. September wichtiger denn je. Mag das jemand auch einmal Otto Schily erzählen? (Hal Faber) / (jk)