4W

Was war. Was wird.

Hal Faber fragt sich, was uns Netzbürger erwartet, wenn der Schrecken der Terror-Bilder gebannt ist. Schnell ist die Debatte bei den bösen Computerspielen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 65 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** 911 ist das Kürzel, die Chiffre für die Anschläge in New York und Washington, mit der man sich im Netz vor der Wucht der Bilder schützt. Wer will, wer kann schon ständig die Floskel von den "schrecklichen Terror-Attacken" benutzen. Dabei muss geredet werden, um die Dimension des Geschehens zu begreifen und denen zu erklären, die Angst vor den Bildern bekommen haben: Ein erster Text, wie man mit Kindern die Ereignisse und Empfindungen beredet, tauchte schnell im Internet auf, überraschenderweise beim Porno News Network, das sich öfter mit der Verarbeitung kindlicher Probleme beschäftigen muss. Doch wie sollen die Netzbürger der Zukunft mit 911 umgehen, wenn der Schrecken der Bilder gemildert oder gar gebannt ist? Schnell ist die Debatte wieder bei den bösen Computerspielen, die dem Abstumpfen und Kreuzzügen aller Art den Weg bereiten. Microsoft überarbeitet seinen Flugsimulator, den nicht wenige Spieler mit einem zünftigen Crash in ein Gebäude beenden.

*** Majestic verschwand zunächst vom Netz und ist nun wieder da. Für die Forscher steht fest: In Spielen lernen Kinder wichtige Fertigkeiten, mit dieser Welt umzugehen, also muss es ein Terroristen-Spiel geben, für jede Altersgruppe in einer anderen Variante. Das findet jedenfalls Marc Prensky, der den Terrorismus-Vorwurf umdreht. Gerade weil Kinder durch Computerspiele erzogen werden, sind sie mutlos geworden. Immer geht es zu einem höheren Spiel-Level, immer ist da ein größerer Boss und nur ganz wenige schaffen das Siegen ohne Cheats. Wie soll da entschlossener Widerstand geleistet werden? Wir brauchen selbstbewusste Killer. Was für eine düstere Aussicht.

*** Die Nutzung des Netzes ist rückläufig, und ja, auch die Kinder sind daran nicht unschuldig. Sie haben sich umgesehen und das Interesse verloren, probieren andere Kommunikationsformen aus, nehmen SMS oder eSMS oder was sonst so funktioniert. Natürlich gibt es eine einfache Lösung: noch früher mit dem Computer anfangen. Sind so kleine Hände, aber so große Mäuse. Aber nicht doch. Familie & Co heißt eine Zeitschrift aus dem Axel Springer Verlag, die den Computer-Einsatz forcieren möchte. "Sobald das Kind allein sitzen kann, und anfängt, seine Umgebung für sich zu entdecken, kann man es mit dem Computer vertraut machen. Fortschrittliche Computererfahrung von einem frühen Alter an sollte heutzutage selbstverständlich für die Entwicklung eines Kindes sein". Und in Frankfurt hat die eBook Award Foundation die Prämierung des besten Kinder-eBook in ihr Programm aufgenommen. Schließlich können Kinder nie früh genug mit dem Lesen anfangen. Klar bevorteilt, können diese Kinder eBook und Computer früher als andere ad acta legen.

*** Noch ist es eine offene Frage, wann die Kleinen sich mit der Kryptografie vertraut machen müssen – wenn sie nicht gleich für "bah-bah" erklärt wird. Nach 911 wird die Überwachung der Netze ein Standard werden, mit dem wir leben müssen. Die Tatsache, dass vom FBI keine Beweise für verschlüsselnde Terroristen gefunden wurden, ist kein Argument in einer Zeit, die sich den Erfinder von PGP als reumütigen Zauberlehrling ausgeguckt hat – ganz gleich, wie heftig dieser dementiert. Ähnlich ergeht es der Steganographie, die landauf, landab als Terroristenwerkzeug gehandelt wird und sicher demnächst mit dem Besitz harter Drogen verglichen wird. Dass mit der Steganographie vertraute Wissenschaftler keine Beweise für verrätselte Bilder im Internet finden, macht die Sache nur noch verdächtiger. Die binäre Logik der Operation Infinite Justice, beim Kreuzzug, beim Perpetual War wird es schon richten. Wenn man nur wüsste, wie das Gegenstück zu 911 politisch korrekt benamst werden kann. Wie wäre es mit Operation Noble Eagle?

Was wird

*** Die Lust auf Zukunft ist begrenzt in diesen Tagen. Am meisten ist man noch damit beschäftigt, den digitalen Graben möglichst vollständig zuzuschütten. Vor diesem Hintergrund ist es erwähnenswert, dass die Europäische Kommission am Dienstag ein groß angelegtes und teures Programm startet, das den Behinderten das Internet zugänglicher machen soll. "In Europa muss auch die letzte Grenze fallen", heißt es im Statement von Yannis Vardakastanis, dem Vorsitzenden des European Disabilities Forum. Der Mann hat nicht unrecht - doch ist es wirklich die letzte Grenze, die wir haben? Aus unverändert aktuellen Anlass sei außerdem auf die Jahrestagung des "Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung" hingewiesen, die Ende der Woche beginnt. Dort heißt das neue Hauptthema "Informatik und Krieg: Vom Ende der Machbarkeiten", zu dem unter anderem David Parnas redet, der schon 1985 vehement gegen einschlägige Star-Wars-Fantasien predigte. Als sie konzipiert wurde, ließ man die Tagung mit dem lustigen Filmchen 2001, Odysee im Weltraum ausklingen, in dem ein Computer Gewissensbisse hat. Heile Welt? Nein, aber schöne und noch viel schönere Welt.

*** Heute ist Wahl in Hamburg und noch ein paar Tage, dann gehen auch die Berliner zur Urne, wenn sie denn gehen. Um möglichst viele Bürger zur Abgeordnetenhaus-Wahl am 21. Oktober zu mobilisieren, hat sich der Landeswahlleiter aufs Internet besonnen. Wer also mag, kann sich flugs die Briefwahlunterlagen aus dem Web ziehen. Ja, denkste! Stattdessen wiehert der Amtsschimmel. Denn mehr als einen Antrag auf die Briefwahlunterlagen spuckt die Web-Site nach Angaben des Landeswahlleiters nicht aus. Danach geht alles den gewohnten Behördengang und der Antrag, versehen mit der persönlichen Unterschrift, per Post zum zuständigen Bezirkswahlamt. Das schließlich schickt, wiederum per Post, die Wahlunterlagen zum Antragsteller. Und der muss jetzt nur noch seine Kreuze machen und die Unterlagen zurück zur Post bringen. Das alles soll dabei helfen, so die Wahlleitung, möglichst rasch an die Briefwahlunterlagen zu kommen. Mit anderen Worten: Es gibt noch einen komplizierteren bzw. zeitraubenderen Weg an die Wahlunterlagen zu kommen. Eigentlich gar nicht vorstellbar. (Hal Faber) / (em)