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Was war. Was wird.

An diesem Wochenende wundert sich unser Kolumnist über Windows-XP-Stapel, freut sich auf einen Primeur und plaudert aus dem Nähkästchen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Was wäre unsere kleine Rückschau ohne Jubiläen? Heute vor 100 Jahren wurde George Horace Gallup geboren, Begründer der wissenschaftlichen Demoskopie, Vater aller Analysen, die fünf Minuten nach Ende eines Ereignisses kommentierbare Ergebnisse liefern. Der Mann wurde berühmt, weil er die Temperatur der Demokratie messen konnte. Vergessen ist, dass er die Existenz Gottes durch eine Umfrage entscheiden wollte. George Gallup konnte sich jedoch auch klugerweise zurückhalten. So ermittelten er und seine ihm folgenden Kinder alles mögliche, doch niemals, welches das bessere Betriebssystem ist. Bei den letzten Wahlen zwischen George W. Bush und Al Gore ermittelte der Gallup Poll eine hauchdünne Führung für Bush, obwohl die statistischen Daten auf ein Unentschieden hinausliefen. So hat das Land einen Präsidenten bekommen, für dessen voreilig gemeldeten Wahlsieg sich in dieser Woche der Economist entschuldigen musste.

*** Zu den traurigen Ereignissen in Amerika kommt die Nachricht vom Tod des Ken Elton Kesey. Er war der Organisator der Transamerika-Reise der Merry Pranksters mit dem Bus Furthur zur Weltausstellung 1964, einer Happening-Reise, die die Hippie-Bewegung zum Zünden brachte. Ohne Ken Kesey und seine LSD-Partys hätte es Bands wie Grateful Dead und Jefferson Airplane nicht gegeben. Und die Geschichte vom Flug über das Kuckucksnest wäre auch nie geschrieben worden. Ken Kesey starb im Alter von 66 Jahren. Anders als sein Weggefährte Timothy Leary hatte der später als Viehzüchter, Ringertrainer und Kinderbuchautor arbeitende Kesey nichts mit Computern am Hut. "Aber", schrieb er in The Further Inquiry, "ich verteidige das Recht aller Leute, mit den Computern wirklich verrückte Sachen zu machen und nicht nur das doofe Kalkulieren." Sein Trip geht auf der anderen Seite weiter.

*** Diejenigen, die auf dieser Seite weitermachen dürfen, wollen zumindest ihren Spaß haben. Zur Not auch mit der Deutschen Bahn, die einen Dienstleister wie die Carnot AG beschäftigt, wo das Marketing den lieben langen Tag mit Buzzword-Bingo totschlägt. Nach den verschärften Regeln versteht sich; bis der Doktor kommt und auch der letzte DB-Kunde nur noch Bahnhof versteht. "Die Deutsche Bahn AG hat zusammen mit der TLC GmbH und der Carnot AG eine Internet Booking Engine für die online Buchung und das integrierte Fulfillment von Bahnfahrkarten realisiert. Für das Fulfillment und Recovery von Bestellvorgängen wird die embeddable Process Engine... [eingesetzt]..." und so weiter und so fort. Darüber freut sich auch der gemeine Journalist, der am Fulfillment seines Artikels arbeitet und sich dabei zum Recovern eine Engine wünscht, die all die schönen Gedanken, die er quasi embedded mit der Muttermilch eingesogen hat, elegant zusammenrührt, damit sich daraus ein brauchbarer Text realisiert. Technik, die wir gerne hätten. Aber auf so einen Bot kannste lange warten.

*** Und was machen wir Journalisten in der Zwischenzeit? Vielleicht würfeln wir mal mit Hilfe eines tumben Mail-Bot das gesamte deutsche Internet durcheinander. Keine gute Idee, zugegeben. Immerhin, die Gelegenheit wäre günstig gewesen, auch wenn du, liebes DeNIC, die dir seit Jahren bekannte Sicherheitslücke der Marke Loch und Löcher für nicht so gravierend hältst, dich aber brennend für den Tippgeber interessierst, der die Sache ins Rollen gebracht hat. Nun gut, weil heute Sonntag ist, will unser Redakteur mal nicht so sein und aus dem Nähkästchen plaudern: Eine E-Mail war's, die von einem DeNIC-Member inklusive aller Header an einen Kunden geschickt wurde. Mehr nicht, aber genug, um die Syntax zu knacken.

*** Tja, da ist nun auch diese Comdex über die Bühne gegangen, bei der Acer Lob viel für seinen Tablet PC bekam und nicht da war. Wo auch Fujitsu nicht da war und einen Messepreis gewann. Wo Michael Dell eine Keynote hielt, aber nur in einer Hotel-Suite vor geladenen Journalisten. Nicht nur aus Angst blieben Firmen der Messe fern. Auch der Erfolg war ein Grund, auf die Messe zu pfeifen. Seit dem 11. September füllen sich die Auftragsbücher bei McData, Spezialist für Ausfall-Datenzentren, von ganz allein. "Wir sind das 'New York, New York' der Computerszene" warb die Firma in ihrer Hotel-Suite. Damit spielte sie auf ein Themen-Casino in Las Vegas an, das mit einer Kulisse von New York protzt und in der das World Trade Center fehlt. So vorausschauend muss man sein, will uns McData wohl sagen. Dabei fehlen die Türme nur, weil sie in der maßstabsgerechten Verkleinerung immer noch größer als der gesamte Hotelkomplex ausgefallen wären.

*** Die Comdex war aber wirklich keine Schattenmesse. Es gab Aussteller und Besucher, die sich auf den weiten Flächen tummelten. Und es gab ein großes schwarzes Zelt, nicht eckig, wie die Kaaba, aber irgendwie sehr geheimnisvoll. Jeweils nur zehn Personen durften den "Big Black Dome" betreten und Die Verkündigung hören, alles im Rahmen einer laserblitzenden und lichtorgeldonnernden Multimedia-Show. Thema des Budenzaubers: "Die universale Erklärung der digitalen Menschenrechte." Richtig markig fiel sie aus, diese Erklärung: "Jeder Mensch soll seine Daten schützen und verschlüsseln können." Und: "Eltern haben das Recht, ihre Kinder frei von Internet-Sorgen zu erziehen". Am Ende der Show bekam jeder Besucher eine auf feinem Papier gedruckte "Deklaration der digitalen Menschenrechte", die bei näherer Betrachtung auch die Pflicht zur Bezahlung von Inhalten enthält. So ist das mit den Menschenrechten heutzutage, besonders, wenn sie von einer Firma geschützt werden, die den passenden Menschenrechtschip vermarktet. Wir wäre es mit einem Chip der universalen Menschenrechte? Oder sind die nur in flüchtigem RAM gebuffert?

*** Oh, vielleicht sollte man noch erwähnen, dass Microsoft in dieser Woche den Internet Explorer der Spielkonsolen ins Rennen geschickt hat. Zumindest in Las Vegas, berichtet die Brigade der Heise-Reporterinnen und Reporter, war die Xbox am Tag danach noch überall zu haben. Neben Xbox-Bergen gab es noch ansehnliche Windows-XP-Stapel, obwohl Microsoft die Messe als ComdeXP titulierte und einen Bus-Shuttle für Messebesucher betrieb, die am Ende des Tages Windows XP kaufen wollten. Wie gut, dass sie nicht an diesem englischen Plakat vorbeifahren mussten, auf dem ein Hauch von Photoshop zu spüren ist.

Was wird

*** Irgendwie ist die E-Mail 30 Jahre alt geworden. Sie hat viele Geburtstagsreden, Lobeshymnen erfahren, aber auch die eine oder andere Extraportion Spam abbekommen. Und gäbe es ihn nicht schon, so müsste man Vint Cerf erfinden, der wirklich alles um das Internet kommentieren kann. Die E-Mail, die wir bald schicken werden, glaubt Cerf, wird automatisch und zuverlässig in andere Sprachen übersetzt, vielleicht sogar in Latein. Cerf freut sich schon auf den ersten multilingualen Flamewar. Ja, E-Mail transzendiert, die Zeit vor Jesus sowieso und wenn wir einmal den Löffel abgeben, erst recht. Primeur! (Aber das ist jetzt nur der Ruf nach einem Beaujolais.) Hal Faber / (em)