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Was war. Was wird.

Im stürmischen Norddeutschland sattelt Hal Faber seinen treuen Schimmel und strebt der Hauptstadt zu, wo ein Computerclub 20 chaotische Jahre feiern will.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Es stürmt und tost in der norddeutschen Tiefebene, und Hauke Haien sattelt seinen Gaul. Was gibt es da schöneres, als sich in südliche Gefilde zu begeben, etwa nach Mallorca. Nein, hier geht es nicht um Hormon-Bomber, sondern Ballermänner. Das sind männliche Wesen, die eine mallorquinische Strandbude namens Balneario 6 zum Zwecke des Kampftrinkens aufsuchen und für die der arisierte Name Ballermann Alkohol in Quantitäten verheißt. Womit der Beleg dafür geliefert wäre, dass Ballermann 6 eine Marke ist. Ursprünglich für einen Likör gedacht, ist sie nun für alles mögliche gut. Am Donnerstag fand vor dem OLG München eine Verhandlung gegen den Musiker einer Gruppe statt, die auf einer Ballermann-Party auftreten sollte und vergessen hatte, den Namen ordnungsgemäß zu lizenzieren. Das schwere Verbrechen des Musikers: Auf der weder von ihm gestalteten noch von ihm verwalteten Fan-Homepage seiner Band gibt es einen Eintrag im Gästebuch, der eine Ballermann-Party erwähnt. Der nicht unbekannte Rechtsanwalt von Gravenreuth sieht in diesem Gästebuch-Eintrag eine Markenverletzung. Damit unterlag er schon in erster Instanz – und zog unverdrossen in die Berufung. Die Überprüfung eines Gästebuches auf die Erwähnung von Markennamen, so das Gericht, ziehe einen Pflegeaufwand nach sich, der nicht zumutbar sei. Der tapfer den Ballermann verteidigende Rechtsanwalt verwies darauf, dass die Band des Musikers aber eine Profi-Truppe sei, weil sie pyrotechnische Effekte beherrsche. Auch das ließ das Gericht nicht gelten. Kunstnebel gehört eben zur Freiheit der Kunst. Und Nebelkerzen zu anderen Berufsfeldern.

*** Wer mag, kann unter Ballermann alles mögliche verstehen. Diejenigen unter uns, die des Rotwelsch mächtig sind, und wer wäre das nicht zumindest ein bisschen, gehen bei der Nennung des Wortes möglicherweise sofort in Deckung. Für Mitglieder der Fachbereichsinitiative Informatik an der TU Berlin ist Ballermann eher einer, der sich zurzeit in Mazedonien mit Nebelkerzen bewaffnet über Rudi wundert, der in einem mallorquinischen Pool einen Auftritt hatte, der am nahegelegenen Ballermann gar nicht mal schlecht angekommen wäre.

*** Noch interessanter wird es, wenn Marken in die große weite Welt ziehen. Wer weiß schon, was sich der einfache Amerikaner oder Chinese unter Ballermann vorstellt. Nicht immer ist es so einfach wie beim Volkswagen, der laut Radio VW "synonymous with individualism, innovation, and free spirit" ist. Nehmen wir einmal die Wiggles der deutschen Spiele-Firma Innonics, harmlose kleine Zwerge, die unter Tage werkeln. Über Tage sind sie eher am Ferkeln und Verkleiden, weshalb sich Wiggles nun international Diggles nennen. Doch was ist schon dabei, fragen wir mit Lara Croft. Fragen müssen wir uns auch, wann der Name Lotus verschwindet. Die Entscheidung von IBM, die Lotus Development Corporation in Lotus Software Group umzubenennen, deutet auf ein Ende aller Blütenträume hin. Möge es nicht so abrupt sein wie bei der mehrheitlich zu IBM gehörenden NetObjects.

*** Zu den überraschenden Entscheidungen gehört sicherlich die Sache mit Hewlett-Packard und Compaq. Für die einen ist es eine Übernahme, für die anderen eine Schnapsidee von Chefs und Chefinnen, deren Ego größer als der Verstand ist. Unabhängig davon kann sich kaum jemand der Lotus-Lyrik der offiziellen deutschen Pressemeldung entziehen: "Im Gegensatz zu unserem Wettbewerb haben wir uns auf die Fahnen geschrieben, die Branche zu offenen, branchenweiten Architekturen und zu erhöhter Interoperabilität zu führen, wodurch sich Komplexität und Kosten für unsere Kunden reduzieren. Mit diesem Schritt werden wir die Wettbewerbsgrundlagen in der Branche verändern." Brüder und Schwestern der EDV, hinaus ins Offene! Wer von der frischen Luft nicht ganz betört ist, wer eine Milliarde Sekunden zurückblicken kann, wird sich vielleicht an eine andere Geschichte erinnern. Im Jahre 1970 setzte IBM die Firmen Burroughs und Univac mächtig unter Druck. Sie fusionierten, um die mächtigste Nr. 2 aller Zeiten zu werden. War damals in Unisys investierte, hat heute genau die Hälfte seines Investments verloren.

*** Doch kann der moderne Mensch überhaupt so weit zurück schauen? Hat der Bobo einen Zeithorizont? Am 8. September vor hundert Jahren entdeckte der Franzose Henri Breuil in der Dordogne Felsbilder, die er ins Paläolithikum datierte, irgendwann vor 20.000 bis 40.000 Jahren. Natürlich wurde Breuil für einen Spinner gehalten, weil wenige glaubten, dass das menschliche Gehirn damals weit genug entwickelt war. Inzwischen weiß man, wie lachhaft unterentwickelt das Gehirn immer noch ist. Zieht man die Redundanzen ab, so bleiben schlappe 23 Millionen Bytes übrig, "weniger als das Programm Word von Microsoft aufzuweisen hat", erklärt uns Ray Kurzweil in der FAZ vom Wochenende. Damit will der erste Homo S@piens einen Beweis gegen Stephen Hawking führen, der eine alte Kurzweil-These modernisiert hatte. Während Hawking dafür plädiert, die DNA umzubauen, um mit den Computern mithalten zu können, hält Kurzweil das für lächerlich langsam. Mit anderen Worten: ein Update von Mircosoft Word ist schwierig zu haben. Aber halt, was lehrt uns Henri Breuil? Mit vi im Hirn kann man auch hübsch zeichnen.

*** Mitunter ist für wirre Texte weder der Editor noch unsere DNA, sondern die Wirklichkeit selbst verantwortlich. Sie sorgt dafür, dass Werbemenschen auf die verdrehte Idee kommen, ein Kunst/Spiel-Projekt wie den Assoziations Blaster 88mal mit ein und demselben Werbetext zu füttern. So etwas ging im Fall der Firma 3Points prompt schief. Auf dem Rechtsweg holt man nun den Störenfried vom Netz und macht sich dadurch [...], na, 3 Punkte müssen genügen. Dass es auch anders geht, hat O'Reilly bei O'Really bewiesen. Selbst die absolut hurmorlose Firma, die Big Brother produziert, kann mit Pig Brother leben. Wahrscheinlich nicht mal schlecht, schließlich leben wir ja im Land der Dichter und Ballermänner.

Was wird

*** Heute abend wird im Tatort ein Hacker von einem Zug überrollt. Dabei hat er gar nicht mit der Eisenbahn gespielt wie die Jungs, denen wir den Begriff Hacker zu verdanken haben. Aber bitte, was sind schon "Hacker". Als sich die ersten Vertreter dieser Spezies in Deutschland trafen, nannten sie sich Komputerfrieks und das Hacken einfach nur Tuwas, Abt. Technik. Jedenfalls ist es für den CCC Grund genug, den 20. Jahrestag seiner Gründung in der nächsten Woche zu feiern und zwar in einer Congresshalle zu Berlin. Das ist die Gründungsstadt des CCC und gleichzeitig auch die einzige Stadt, die Bill Gates mit einem Hotel voll schneller Standleitungen ins Internet bedachte. Den CCC bedenkt Cerlin oder Chaoslin vielleicht mit einer kleinen Mauer oder so. Zurück, zurück, zu goldigen Zeiten, als die Tastaturen noch aus Gummi waren. Zurück zum Netz, als es noch ein Gewebe aufrecht gehender Menschen mit Verstand war. Take back the Net und den Rest sowieso.

*** Wobei, das muss einmal gesagt sein, der CCC seinen Teil dazu beigetragen hat, die Sache mit den Hackern zu verniedlichen und den Medien ein riesiges Monstergummibärchen aufzubinden. Die superintelligenten pickligen pubertierenden Hacker aus gescheiterten Ehen, die blöden parfümierten Script-Kiddies aus harmonischen Familien, denen immer die tollsten Mädchen an die Hose und Tastatur gehen, sie gibt es nicht. Es gibt nicht den Hacker, das Script-Kid und schon gar nicht die Sicherheit vor beiden. Sicherheit ist ein Prozess, schreibt Bruce Schneier in seinem Buch Secrets & Lies. Ein Geburtstag auch.

*** "Die Katz ist eine Art Fabrik oder Industrieetablissement, für das die Schriftsteller täglich, ja vielleicht sogar stündlich treulich und emsig arbeiten oder abliefern". Diese Erkenntnis stammt von Robert Walser und gilt jetzt wohl auch für US-Juristen im Dienste der Regierung. Etwa jene, die sich mit dem Fall Microsoft beschäftigen. Die Tiger von Ex-Justizministerin Janet Reno, die den Software-Konzern filetieren wollten, sind mittlerweile sanft als Bettvorleger gelandet. Nein, das Verfahren müsse jetzt ein schnelles Ende haben, wischte die neue US-Regierung über fünfjährige Ermittlungen vom Tisch. Sprach’s und kündigte sogleich neue Untersuchungen an, zu Produkten, die im bisherigen Verlauf noch keine Rolle gespielt hätten. Das wirft sogleich Fragen auf und wem fiele dabei nicht Windows XP, der Media Player und die Smart Tags ein. Und wie geht es nun weiter? Im Zweifelsfall gar nicht, denn so wie die alte Regierung nach vorne geprescht ist, rudert die neue heute zurück und für Bushs Vorgänger bleibt die späte Einsicht, dass auch das Regieren, mag sich da Kalifornien und New York noch so vehement in den Ring werfen, manchmal mehr oder weniger für die Katz ist. (Hal Faber) / (em)