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Was war. Was wird.

Ob Philosoph oder Mathematiker, Nerd oder DAU, eines müssen alle zugeben: Das Jahr 2002 kommt in Schwung und geht seinem absehbaren Ende entgegen, meint Hal Faber.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das Jahr 2002 kommt in Schwung und geht seinem absehbaren Ende entgegen. Vor 20 Jahren wählte Time zum Jahresende den Computer zur Person des Jahres und hievte das hässliche Ding auf die Titelseite, nicht ohne den eigentlichen Computer zu verstecken: Zu sehen waren nur ein Bildschirm und eine Tastatur, die auf einem nicht gerade zweckmäßig zu nennenden Tisch standen. Eine Arbeitsleuchte fehlte damals. Diese Woche passierte es zum zweiten Mal, dass ein Rechner auf dem Titel von Time erscheint und siehe da, er ist Rechner und Tischlampe in einem. Hat jede Farbe verloren und hockt "hemisphärisch" rum, heißt es bei Apple. Hässlich ist etwas dann, wenn das ästhetische Empfinden verletzt wird, heißt es im Duden. Die Verletzten wurden auf dieser Macworld wohl hinter den Kulissen verarztet, dort, wo sich NeXT-Mitbegründer Guy Tribble herumtreiben konnte. Der Mann, der bei Eazel angetreten war, den definitiven Linux-Desktop zu kreiern, ist wieder bei Apple. Mit Linux ist das wohl passiert.

*** Immerhin: Mit seiner Tischlampe stahl Steve Jobs seinem auf der CES auftretenden Freund Bill Gates das Vergnügen, im Mittelpunkt zu stehen: Beim Kampf um den digitalen Heim-Hub wird kein Pardon gegeben. In der Schule auf Macs, die Microsoft schenkt, könnte die Sache schon anders aussehen. Auf der CES schlug diesmal die Stunde der MEMS, der mikro-elektromechanischen Geräte, die intelligente Handschuhe und rüttelfeste PDAs zur Hochform auflaufen lassen. Das bringt mich "fast freiwillig" zur traurigsten Nachricht dieser Woche. Im neuesten James Bond, so wurde am Freitag verkündet, wird Q nicht mehr mit von der Partie sein. Nur ein kurzer Schnitt zu seinem Begräbnis ist geplant. Desmond Llewelyn wird dem Vergessen anheim gegeben, derweil der Kintopp das 40. Jubiläum von James Bond feiert. Was natürlich ein Fake ist: Nicht mit den Büchern von Ian Fleming, sondern mit dem Film begann James Bond zu leben. Vor 40 Jahren starteten am 16. Januar 1962 die Dreharbeiten zu "James Bond jagt Dr. No". Nein, diese Welt ist nicht genug: Statt Halle Berry aus Password:Swordfish wäre mir ein Q viel lieber, selbst wenn dadurch die Filmkarriere von Steve Ballmer ins Trudeln kommt.

*** Diese Welt ist wirklich nicht genug: Zeitgleich verkündeten in dieser Woche Angela Merkel und emos ihren Ausstieg -- und beides ist wirklich zu bedauern. Merkel gegen Schröder hätte etwas, was der nun anlaufende Hahnenkampf einfach nicht bieten kann. Da tritt dann der Atom-Aussteiger Schröder gegen den Bayern Stoiber an, der schon den Atom-Ausstieg-Ausstieg verkündet hat. Katholisches Kleine-Leute-Milieu der CDU gegen rechte Sozialdemokraten mit BWL-Image, klasse, das kann ja was werden. Spannend bleibt da nur die Frage, wer von den beiden sich Verdienste um die Gestaltung des Internet zur Mehrung des Ruhmes an die Brust heftet, etwa so wie Bertelsmann und Portal Software, die in der PR ihren neuen Napster dieser Tage als "wichtigste Softwareapplikation in der Geschichte des Internet" feiern. Aber, aber, die Herren: Applikationen gehören an die Brust, Software ins Internet. Und emos gehört anscheinend ebenfalls nicht in diese Welt; doch wenn man den selbst ernannten Meinungsmachern im Forum trauen kann, sind c't und iX gleichermaßen obsolet geworden. Tja. Da hat man sich jahrelang gebrüstet, eine Zeitung zu lesen, die kein Schwein verstehen kann, und nun das: Die Blätter sind lesbar geworden anstatt der EDV-Elite unverdautes Kauderwelsch zum Fraß vorzuwerfen. Die Redakteure schreiben nunmehr verständlich und kompetent: Eine furchtbare Sauerei das, eine Demontage des Computernerds als Priester der letzten Religion. Bäh, Bäh, Bäh.

*** Armer Hal, freute er sich doch, endlich einmal nicht nur existenzialistische Philosophen zu verstehen, die gar zu Lehrmeistern von Präsidenten wurden, oder philosophische Mathematiker, die Gott suchten, sondern auch per Aufnahme schriftlich niedergelegter, klar formulierter Gedankengänge Zugang zur modernen Welt der Computerei zu finden. Weit gefehlt aber, denn dieses Ansinnen ist höchstens eines DAUs würdig, aber nicht eines Experten. Die Welt aber "according to the average nerd" ist möglicherweise nicht die Welt, in der unsereiner leben möchte. Soll Hal deswegen aussteigen? Zu früh gefreut, man gibt ja so schnell nicht auf. Zu den Aussteigern dieser Woche gehören dagegen Sigmar Mosdorf, der Staatssekertär, der überall Wertschöpfungsketten sah, und Kim "Kimble" Schmitz, der eine ganz eigene Wertschöpfungskette installierte. Derzeit wird der füllige Kimble vom deutschen Feuilleton wie der Süddeutschen Zeitung als neuer Hanussen installiert, was ihn sicher freuen dürfte. Um bei der Politik zu bleiben: Lange vor Stoiber und Schröder gab es einen FDP-Politiker namens Erich Mende, der Kimble genannt wurde. Kim Schmitz, gemagert und gealtert, dürfte dem Mann ziemlich nahe kommen. Seine Sottisen über das deutsche Steuerwesen passen schon. Nun, vielleicht sollten auch die Redakteure von c't ihren Ausstieg vorbereiten: Wer verständlich schreibt, hat keine Leser verdient. Ob die Kollegen der iX da schon etwas am Köcheln haben? Manche jedenfalls scheinen sich ein zweites Standbein zu verschaffen und spielen den Blues. Und sind auch da ganz kompetent. Ganz im Gegensatz zu Kimble und Konsorten.

*** War da noch was? Aber ja doch: Früher, als das Internet überschaubar war und nicht jede Zeitung vom Geschäft mit dem Content delirierte, sorgte das Clarinet für die Aufbereitung der Nachrichten. Als die Sache langsam grafisch wurde, erledigte das dann eine Software namens Crayon. Der Name war ein Akronym für "Create your own Newspaper" und niemand störte sich an ihm. In dieser Woche haben sich eine Firma Crayon und SuSE an den Bärten des Markenrechts gezupft; der Kampf aber ging aus wie das Hornberger Schießen. Darüber lässt sich herzlich lachen oder auch nicht: Die Firma Brigadoon Software, Hersteller von PC Phone Home möchte AFAIK schützen, als zukünftige Protokoll-Erweiterung von TCP/IP. Ein klarer Fall für die AAAAA.

Was wird.

In der nächsten Woche feiert Volker Nickel vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft am 16. Januar seinen 49. Geburtstag. Warum das wichtig ist, weiß ich nicht. Es wird aber wichtig sein müssen, denn Market, ein Magazin der Internet-Wirtschaft, druckt den Geburtstag in seinem Kalender ab, zusammen mit drei Dutzend weiteren Namen und der Behauptung, dass diese Leute "das Internet der Zukunft" prägen sollen. Dabei sind alle einschlägigen Bobos, die eigentlich nur bei Dotcomtod für Inhalte sorgen: Peter Kabel, Bernd Kolb, merkeln sie sich!

Ach ja, die Bobos: Für das bald in New York stattfindende Davoser World Economic Forum mit dem feschen Thema "Leadership in Fragile Times" hat David Brooks, der Erfinder des Bobos, denselbigen in Pension geschickt. In dem von Newsweek verlegten Begleitheft zum Weltforum feiert er die Mobos, welchselbige keine Motherboards sind, sondern "young retro influencers", die Money Boring finden und Werte wie Leadership, Familie, Heim und Vaterland entdecken und das humanitäre Bombardement unterstützen. Ich hätte es mir nicht träumen lassen, dass mir eines Tages Bobos sympathisch sein könnten, die nicht auf Retro stehen. Aber, eines weit entfernten Tages wird die Welt in unsere Zeit blicken und sich an die wissenschaftlichen :: Fussnoten halten, in denen die Internet-Ökonomie als "Marktfaschismus" erklärt wird und Bobos als bezahlte Netzkiller der Regierung von Network Solutions auftreten. Wir leben in zerbrechlichen Zeiten. (Hal Faber) / (jk)