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Was war. Was wird.

Lassen wir die CeBIT CeBIT sein: Auch Hal Faber weiß, dass "the fair to end all fairs" naht, aber es gibt Wichtigeres.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Draußen ist ein wunderschöner blauer Himmel, ein höllisch hyperboräischer Himmel wie in Tourniers Erlkönig, doch ich sehe Rot. Mein Rot ist 4 Kilo schwer, 3 cm über der A4-Norm, kartoniert und gebunden: Der offizielle Katalog der CeBIT ist der materialisierte, deutschgründliche Beweis dafür, dass die IT-Branche wächst, nicht schrumpft. Eines fernen Tages, da bin ich mir sicher, wird das Produktgruppenverzeichnis -- 04.02.01.14.26 lässt grüßen -- das Universum in seiner Ausdehnung überholt haben. Die Frage bleibt, was man mit solch einem Monstrum macht, gegen das ein Autoatlas nachgerade zierlich aussieht. Wer ihn der CD vorzieht und über das Gelände schleppt, der muss das ultimative Beuteltier sein. Und hinterher? Vielleicht werden die Kataloge wie Entchen in der ganzen Welt ausgesetzt, zum Beweis dafür, dass es die CeBIT gibt und Hannover auch. Oder sie kommen nach China, wo es auch eine CeBIT gibt. Dort kämpft dann das dicke rote Buch gegen das kleine rote Buch.

*** Ja, ja, es naht die CeBIT-Time und mit ihr ein Schwall von Public Relations, die "schneller geschrieben ist, als wir denken können". Das ist keine Kritik von mir, sondern Werbung einer Agentur für ad-hoc-PR, die mit "erfolgsabhängiger Honorierung" Kunden sucht. Ein hübsches Lehrstück in erfolgsabgängiger angewandter PR bietet uns Sun Microsystems, das ein 20-jähriges Jubiliäum mit allen Schikanen feiert. Offiziell für die Presse verspricht Scott McNealy, dass sich Sun für den Fortbestand des Internet einsetzt: "Sun wird auch weiterhin sichere, robuste, hochverfügbare und plattform-unabhängige Lösungen entwickeln, um das Netz am Laufen zu halten." Inoffiziell in einem Rundbrief an die Mitarbeiter formuliert McNealy anders, wenn er fortfährt: "When it comes to our products and our services, I believe we're in the best position ever. We've leveled the competition -- now it's down to IBM and Wintel, and we're kicking butt on both fronts." Und zur Feier des Tages durfte jeder Sun-Mitarbeiter einen halben Tag frei nehmen -- natürlich nur für die Mitarbeit an einem sozialen Projekt, nicht zum sportiven Butt-Kicking.

*** Aus gegebenen Anlass muss ich an einen einsamen Höhepunkt der PR erinnern: In der letzten Woche ging Europe Online baden. Das interessiert eigentlich keinen mehr, lustig aber die Vorgeschichte: In grauen Vorzeiten startete dieser Online-Dienst als Produkt des Hauses Burda und der Schwarz-Schilling GmBH auf der Multimedia-Messe Milia -- das ereignete sich im Jahre 1995. Staunend durften wir Journalisten uns auf der Messe durch die bunten Seiten von Europe Online klicken, während die Modem-Lämpchen heftig flackerten. Glücklich erzählten die Marketiers von der noch nie dagewesenen Möglichkeit einer Hypertext-Verbindung von Zeitschriftenartikeln und Foren-Diskussionen. Europe Online räumte Preise ab und brachte einen gewissen Thomas Middelhoff von Bertelsmann dazu, auf der Messe ganz schnell noch eine Kooperation mit AOL abzuschließen, um nicht den Anschluss zu verpassen. Was damals niemand wusste: Der komplette Online-Dienst bestand aus einer Sammlung von Bitmaps und kunstvoll verfremdeten Seiten, durch die ein Demo-Programm steuerte. Selbst für das Blinken der Modems schrieb man einen situationsgerechten Fake. Der hübsche Online-Dienst, der nie einer war, gehört für immer zu den Sternstunden der Axel-Files.

*** Längst nicht alle Pleiten können mit einem Glas Wein begossen werden. Nehmen wir einmal das Enron der IT-Brache, die Firma Global Crossing und die wütenden Reaktionen ihrer Mitarbeiter: Der Verkauf der Aktionäre an die KP China zum Zwecke des ungeschützten Analverkehrs mag etwas despektierlich wirken, doch wer sagt denn, dass man in allen Lebenssitutationen manierlich bleiben muss? So manierlich etwa wie bei Network Associates, das gerade sein Programm PGP und alle Aktivitäten und Arbeiten zu PGP in einen höflich klingenden "Maintenance Mode" gesteckt hat? Ein Modus, der dem armen Mafioso Nicodemo Scarfo nichts nützen wird: Sein PGP war vom FBI angeknabbert worden.

*** Preisfrage: Welche Firma oder halb-staatliches Venture-Unternehmen zählt zu den Kauf- Interessenten bei NAI? Und welche Organisation greift Europa-interne E-Mail ab und stellt sie befreundeten Geheimdiensten zur Verfügung, damit sich ausgerechnet eine maoistisch-nationalistische Arbeiterpartei profilieren kann? Es gibt auch andere Firmen. Nehmen wir einfach Atomz, die ihre Aufforderung zur Denunziation hübsch in einen kleinen Wettbewerb versteckt hat. Ja, die Stasi von morgen ist nicht der Rechnungshof, sondern der Nachbar mit der Suchmaschine.

*** An noch etwas muss ich erinnern, aus traurigem Anlass dieses Mal: Im Alter von 91 Jahren starb Oskar Sala in Berlin. Der Vater aller Synthesizer-Musik hat mit dem von Friedrich Trautwein erfundenen Trautonium nicht nur Hindemith gespielt, sondern auch Hitchcocks Gruselfilm "Die Vögel" vertont. Und wer etwas älter ist, der wird die Klänge kennen, mit denen das HB-Männchen in die Luft ging. Mit Oskar Sala begann der Teil unserer Pop-Musik, die schlecht hörende Menschen als psychedelisch bezeichnen. Bevor Ray Kurzweil daran ging, sein Hirn einer Festplatte anzuvertrauen, arbeitete er in seiner Synthesizer-Firma mit Sala zusammen. Kurzweilig hatte die deutsche Dependance einen hübschen Fundus an Stücken im Netz, doch der ist weg. Und auf das digitale Trautonium warten wir immer noch.

*** "Ich warte, bis Lucy nett wird", dachte Charlie Brown und nahm Anlauf. Doch Lucy van Pelt, geboren am 3. März 1952 war niemals nett. Nein, die Gute gewann sogar die Weltmeisterschaft im Rechthaben -- für nette Leute einfach undenkbar. "Die Welt wäre sicher besser dran, wenn alle auf mich hören würden!" Nein, Lucy, so ist die Welt nicht angelegt. Auf ihr regulieren und verbieten Leute selbst rote Schöpfe, dass es eine wahre Trauer ist und mich frösteln lässt, wenn Jubiläen anstehen. Aber, Lucy, es gibt in deinem Land auch Frösteleien, die bei uns noch fehlen.

Was wird.

Mit stolzer Brust ist Deutschland.de dem deutschen Volke zurück gewonnen worden. Es soll fürderhin als Portal der Portale erstrahlen. War es das wert? Ist es egal? In den USA tritt Minnesota ungeniert im Gewand der Mongolei auf und niemanden stört es. Ach Mongolei, du Land mit der glücklichsten Marine der Welt, die nie das Meer gesehen hat und auch nicht schwimmen kann, was mag dir Minnesota sagen?

Oder Deutschland? Wie viele Mongolen mit der vor zwei Jahren von Gerd Schröder in die Diskussion geworfenen Green Card in diesem unseren Lande dem Programmieren von Software nachgehen, weiß ich nicht. Auch Schröder wird es nicht wissen, wenn er mit Steve Ballmer die CeBIT eröffnet. Der Zaunrüttler und der Tänzer, was könnte das für ein tolles Musical werden, aber nein, ein Land will verwaltet, eine Firma geführt werden. Also führt Schörder die Green Card für .NET im Bundestag ein und bekommt im Gegenzug ein Autogramm von Schröder (dem mit dem Klavier), in den Lucy unsterblich verliebt ist. Was sonst?

Was auch immer Deutschland sagt: Wer ohne grüne Karte bleibt, muss sich anderweitig behelfen. Im Land dagegen, das immer als das grüne beschrieben wird, gab es einmmal einen Bürger, der zeigte sich in der Regel in Jeans und Holzfällerhemden, und eine Gitarre hatte er auch meist bei sich. Recht entsetzt dürfte er auf Landsleute gesehen haben, die fast im Blut ertranken. Irland ist ja nun EU-Mitglied, sei es nun das unter britischer Verwaltung stehende Nordirland oder der Eire genannte Südteil des Landes. Möglicherweise kann sich ja der gewöhnliche Ire über das Internet in Deutschland anmelden, schließlich gibt es Freizügigkeit innerhalb Europas und ein neues Melderecht, wenigstens das. Was nun aber zu Europa gehört, darüber ist sich die EU noch lange nicht einig -- genauso wenig wie die deutschen Politiker über den Personenkreis, der die geheiligten deutschen Grenzen mit dem Ziel überschreiten darf, sich länger hierzulande aufzuhalten. Mag sein, dass die Gegner des Zuwanderungsgesetzes, das selbst schon mehr ein Zuwanderungsverhindungsgesetz ist, lieber Ariel Scharon als Rita Süsmuth als Vorsitzende einer Zuwanderungskommission gesehen hätten. Der Schlächter von Sabra und Schatila allerdings richtet gerade ein Land zugrunde, dessen Vorläufer schon in den 20er- und 30er-Jahren die Hoffnung für die verfolgten Juden bildeten, und dessen Kollektiv-Dörfer, die heute nur noch als Wehrsiedlungen gesehen werden, noch in den 60er- und selbst den 70er-Jahren als Kibbutz Anziehungspunkt für Jugendliche aus aller Welt waren, Juden oder nicht. "A Million Miles Away" sang Rory Gallagher, der im Juni 1995 starb. Was wird? Eine Million Meilen entfernt erscheint heute ein Israel, das mit sich selbst und dem Rest der Welt in Frieden lebt.

"Es wird, was nicht war" -- das wäre, betrachtet man so manche Historie, schön. Der Ausspruch stammt aber nicht von mir, sondern aus Ovids Metamorphosen, die in einem Stummfilm eine wichtige Rolle spielten. Von Gerd Schröder mit seinen Green Cards und Zuwanderungsgesetzen mag es nur ein etwas gewagter Sprung zu Greta Schröder sein, die morgen vor 80 Jahren ihren Hals entblößte, in der ersten Aufführung von "Nosferatu, der Symphonie des Grauens", dem Urfilm aller Dracula-Saugereien. Nie war das Grauen besser, als damals ohne Ton und ohne Trautonium. Und nie war der Latein-Unterricht schöner: "Bleich ist ihr Gesicht, mager der ganze Leib, der Blick in keiner Richtung gerade, die Zähne sind dunkel von Fäulnis, die Brust ist grünlich von Galle, die Zunge von Gift unterlaufen." Grünliche Brüste! Nachtschwärmern und Sonntagsverächtern sei es gesagt: Dem Grauen kann niemand entkommen. Es ist in uns, ein Transponder der Hölle. Wer weiß dies besser als Applied Digital, wo man mit dem Chip unter der Haut das Zeichen des Biestes setzt, das alle Menschen tragen müssen, wenn es zum Ende aller Zeiten kommt. Doch Halt! Ein gutes Produkt kriegt man nicht so leicht kaputt, schon gar nicht mit der Apocalypse Now. Gegen das Grauen hilft immer noch PR: "Applied Digital has consulted theologians and appeared on the religious television program the '700 Club' to assure viewers the chip didn't fit the biblical description of the mark because it is under the skin and hidden from view." Fort ist das Grauen, aber das Blau ist auch alle. (Hal Faber) / (jk)