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Was war. Was wird.

Auch am Muttertag ist es angebracht, sich über den Wahrheitsgehalt von technischen Geräten ein paar Gedanken zu machen, findet Hal Faber. Ein Fleck in Deutschland wird dies und anderes wohl heute vorwiegend durch die grüne Brille sehen.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Wo die Weser einen großen Bogen macht, dort werden sich gestern die Mobilfunkanbieter gefreut haben. Denn die Bremer machten sich am Nachmittag auf, einen Platz vor einem der öffentlichen Fernsehgeräte zu ergattern, auf denen das Fußballspiel Werder gegen Bayern flimmerte. Die Plätze wurden knapp, also verloren sich beim Suchen viele, mussten sich telefonisch wiederfinden; falls sie es nicht schafften, sich telefonisch gegenseitig darüber vergewissern, dass es zur Halbzeit wirklich 3:0 für die Grün-Weißen steht; und schließlich hinterher ihr Glück in entfernte Gegenden tragen und sich zu den Feierlichkeiten zur vierten Meisterschaft verabreden. "Glückskinder der Misere", überschrieb der Spiegel zu Ostern einen Artikel über die Hintergründe des Erfolgs. Während sich die Konkurrenz übernommen habe, gelange Werder Bremen mit solidem kaufmännischen Handwerk zum Erfolg. Doch das interessierte am Abend in Bremen wohl höchstens noch jene, die sich nach dem Trubel auf den Straßen an irgend einem Tresen auch auf Klaus Theweleits Ausführungen zu den Auswirkungen von Elektronisierung und Digitalisierung auf den Fußball verstiegen. "Werder Bremen diese Saison muss deutsche Meister", traf der Torjäger Ailton wohl die Meinung der Majorität auf den Punkt. Und das ausgerechnet beim FC Bayern, die im deutschen Fußball ähnliche Macht entfaltet haben wie ein gewisses Betriebssystem auf dem Weltmarkt.

*** Ja, das sind die Freuden des Samstags. Im großen grünen Glück schwelgen, als Fresser durch die Straßen rasen oder auch stillvergnügt den 50. Geburtstag vom Wort zum Sonntag genießen, das hat was. Gemütlich im HeiseWiki blättern, über die Banglapedia staunen, die kommenden Ereignisse in der Wikipedia sichten, fernab dem Lärm der Welt, weitab dem Deutschland, das in ein Milliardenloch gefallen ist und da nicht mehr rauskommt. Würde jeder deutsche Schüler, jeder Arbeitslose seine Programmierkenntnisse dem Finanzminister unterstellen, dann hätten wir vielleicht noch eine Chance, da in dem Loch.

*** Liebe Mutter, mir geht es gut. Abseits der Heucheleien sollte man sich daran erinnern, dass zwischen diesem seltsamen Gedenktag der Gebärfähigkeit und dem Geballer der Gewehre ein Zusammenhang besteht. Die ursprüngliche There's Day Declaration von Julia Ward-Howe war ein Aufruf an alle Mütter, ihre Kinder nicht in den Krieg zu schicken. Besonders in Kriege, die trotz jener Behauptung von der Mission accomplished härter werden. Wo Ward-Howe noch das Schicksal der Söhne beklagte, zeigt sich der Fortschritt in Gestalt einer Jessica Lynch wie einer Lynndie England, die als Engel und Folterhexe von den Medien bemuttert werden. Die jüngsten Bilder, die an eine Inszenierung von Pasolinis Salò erinnern, sind schlimm, doch aus islamischer Perspektive sind sie schlimmer als der Tod. Die Vermutung, dass kuwaitische Geheimdienstler sich die Bilder ausgedacht haben, entlastet nicht die US-amerikanischen Befreier -- und das Schlimmste kommt noch. Wie wäre es mit ein paar hübschen Folterungs- und Tötungsbussen aus China, in denen nur die Offiziellen Fotos machen dürfen?

*** Am 100. Todestag von Eadweard Muybridge ist es ganz angebracht, sich über den Wahrheitsgehalt von technischen Geräten ein paar Gedanken zu machen. Als Muybridge seine serielle Fotografie entwickelte, stand die Fotografie am Anfang ihrer Entwicklung, gehörte Photoshop noch nicht zum Standard des guten Fotografen. Dem glaubte man ohnehin erst nicht, weil man an den Geräten zweifelte. Das hat sich geändert. Auf derselben Stufe wie die frühen Kameras stehen heute die biometrischen Apparate und die Computer, die die Identität eines Menschen ausrechnen. Irrt sich die Maschine, haben es die Menschen schwer, weil im Zweifelsfall doch lieber der Maschine geglaubt wird. In dieser Woche startete eine etwas hässliche amerikanische Website zu dem Thema, bei dem korrupte Datenbanken eine größere Rolle spielen als korrupte Polizisten. Ob da der Biochip eine Lösung ist, darf bezweifelt werden. Da haben wir es doch viel besser, mit sicheren Pässen sowie einer Gesundheitskarte und dem Plastik gewordenen informationellen Selbstbestimmungsrecht, welche Daten über unsere siechen Körper wir da bei uns tragen.

*** Manche Dinge über den menschlichen Körper, insbesondere dem männlichen, würden uns entgehen, wenn es nicht diese tollen Pressemeldungen gäbe, die wöchentlich den Horizont des Wissens erweitern. Wer weiß schon, wie viele schädliche Stresshormone ausgeschüttet werden, wenn Männer Damenunterwäsche mit einkaufen müssen. Und wie friedlich sie werden, wenn sie in Männergärten abgegeben werden können und mit den steil aufragenden Terminals von Friendlyway surfen gehen können. Zur weiteren Beruhigung vor Damenunterwäsche sollte dort dieses Intro ständig laufen. Es entspannt, wenn die Männer wissen, wo ihr Platz in der Geschichte ist.

*** For what it's worth -- für was soll das gut sein, fragte sich dereinst die legendäre Band Buffalo Springfield und kreierte damit einen der wichtigsten amerikanischen Protestsongs. Heute feiert der Springfield-Gitarrist und spätere Poco-Mann Richie Furay seinen 60. Geburtstag. Mit "Again" spielte sich die Band in die POP-Unsterblichkeit -- die eigentlich in Gronau zu besichtigen sein müsste. Doch für was soll ein Rockmuseum gut sein, wenn es mit gebrauchten Video-Displays so abgezockt wurde, dass die Pleite droht. Wo bleibt ein Multimilliardär wie Paul Allen, der Seattle ein Rockmuseum schenkte? Gronau's calling!

*** Möglicherweise ist Allen schwer mit Baystar Capital zugange, die mit dem eingeleiteten Rückzug der Royal Bank of Canada bei SCO das Ruder oder das Messer in die Hand genommen hat. Mit 1,8 Milliarden US-Dollar ist Allens Firma Vulcan Ventures der größte Anteilseigner bei Baystar Capital. Derweil hält sich SCO an die alten Römer: damnatio memoriae, ein auch in der Neuzeit beliebtes Verfahren. Was Allen anbelangt, so gibt es Spekulationen, dass Baystar mit Staranwalt Boies die Prozesse selber durchzieht, während SCO wieder zur reinen Softwarefirma schrumpft. Und schrumpft und schrumpft. Dereinst schrieb Paul Allen für seinen Freund Bill Gates den Programm-Loader, der Microsoft-Basic in den Speicher der Altair-Rechner hievte. For what it's worth...

Was wird.

Kongresse wachsen schneller als das grüne Werder-Gras in der norddeutschen Tiefebene, und das hat heuer ein höllisches Tempo drauf. Die Woche beginnt mit der Networld+Interop in Las Vegas, auf der der Wert der "Konvergenz" in jeder Keynote dutzendfach gelobt ist. Die Branche feiert dabei ein Wiedersehen mit Michael Capellas, der nun bei der "neuen MCI" auftaucht. Wem Las Vegas nicht anspricht, der mag sich in New Orleans auf der Sapphire rumtreiben. Hauptthema dort ist das Augenblinzeln: einmal geblinzelt, und schon kann sich die ganze Industrie verändert haben. Da heißt, es auf der Hut sein. Noch einen anderen Industriezweig bedient die E3 in Los Angeles. Schwerpunkt der Unterhaltungsmesse sind beständige virtuelle Welten, die sich online über Jahre entwickeln können. Jedenfalls solange sich auch hier nicht die üblichen Betrüger oder Trickdiebe aus dem realen Leben einfinden.

Technischer Höhepunkt der Woche wird wohl der Dienstag sein, wenn der Chip-Hersteller AMD in seine neuen Athlon-Prozessoren vorstellt, die vollmundig als "erste Prozessoren mit eingebauten Virusschutz" angekündigt worden sind. "Nie wieder Angst vor Sasser, Slammer und MSBlaster", heißt es in der Vorab-PR zum Ereignis, das freilich nicht für alle gedacht ist. Der eingebaute Virenschutz ist nur für Anwender gedacht, die das kommende Service Pack 2 von Windows XP installieren. Der Rest der Welt muss sehen, wie er mit der Angst vor deutschen Schülern und Arbeitslosen klar kommt.

Für 104,168 Millionen Dollar ist der magische blaue Knabe, der "Junge mit Pfeife" von Picasso, das teuerste Bild der Welt geworden. Wer nicht so viel Geld hat, sollte es besser hier versuchen und die Sachen ausdrucken, dabei ein Picasso-Liedchen trällernd. Wobei das Lied wiederum an Salvador Dalí erinnert, der zum 100. Geburtstag die Kulturseiten füllt. Dalí, die große Liebe des schwulen Garcia Lorca. Dalí fand Computer abscheulich und doch sind es die Rechenknechte und die Software Maya, die seinen Disney-Film Destino zu Ende brachten. (Hal Faber) / (anw)