BMW R 12 Cruiser: Ein weiterer Anlauf

BMW versucht mit dem auf Cruiser umgestrickten Retro-Modell R 12 nineT erneut in diesem Segment Fuß zu fassen. Es gleitet auf einer 110-Nm-Drehmomentwelle.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 41 Kommentare lesen
BMW R 12

BMW R 12 Cruiser

(Bild: BMW)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

BMW hatte vor zehn Jahren mit dem Retro-Bike R nineT einen Verkaufsknüller gelandet. Zu Beginn dieses Jahres wurde die Nachfolgerin R 12 nineT vorgestellt. Jetzt schieben die Bayern mit der R 12 noch einen Cruiser nach. Ganz neu ist Idee, einen Cruiser mit Boxermotor zu bauen, bei BMW nicht: Vor der 2020 erschienenen BMW R 18 gab es 1998 bereits den Versuch, mit der R 1200 C vor allem den US-Markt zu erobern. Doch die an Harleys gewöhnten Amerikaner störten sich damals daran, dass sie ihre Füße nicht wie gewohnt vor dem Motor parken konnten – die Zylinder versperrten den Weg. Auch beim europäischen Publikum fiel das Design glatt durch und die R 1200 C wurde zum Flop. Ein Vierteljahrhundert versucht BMW später einen zweiten Anlauf mit einem 1200er-Cruiser, dessen Antrieb interessanterweise immer noch auf dem luft-/ölgekühlten 1171-cm3-Motor von damals basiert. Allerdings hat sich die Leistung deutlich gesteigert, kam der R-1200-C-Motor gerade mal auf 61 PS bei 5000/min und 98 Nm bei 3000/min, leistet die neue R 12 heute 95 PS bei 6500/min und 110 Nm bei 6000/min und erfüllt die Abgasnorm Euro 5+.

BMW nimmt im Vergleich zur Anfang 2023 vorgestellten R 12 nineT, die 109 PS bei 7000/min und 115 Nm bei 6500/min bietet, die Spitzenleistung der R 12 also etwas zurück. Die Leistungskurven beider Modelle bleiben jedoch bis 6000/min identisch, danach bleibt die des Cruisers auf einem Plateau, während die R 12 nineT bis 7000/min noch weiter zulegt. Für die gemütlichen Cruiserfahrer reicht es bei Weitem, denn die R 12 kann durchaus flott beschleunigen, BMW gibt für den Sprint von 0 auf 100 km/h 3,9 Sekunden an. Mit 227 kg Leergewicht geriet die R 12 für einen Cruiser auch noch verhältnismäßig leicht.

BMW R 12 (8 Bilder)

BMW bringt auf Basis der R 12 nineT einen Cruiser im dezenten Retro-Design auf den Markt.
(Bild: BMW)

Ein Cruiser zeichnet sich durch eine tiefe Sitzposition aus. BMW wählt bei der R 12 eine ausgeprägte Mulde in der Solo-Sitzbank. Während die R 12 nineT eine gerade Sitzfläche bietet, wird der Cruiser-Fahrer quasi fixiert, was vermutlich eher nicht zur Bequemlichkeit beiträgt. Dafür hockt er aber auch auf nur 754 mm Höhe, wofür – neben der tiefer auf dem Heckrahmen positionierten Sitzbank – auch die kürzeren Federwege verantwortlich sind. Mit 90 mm vorne und hinten sind sie um 30 mm kürzer als bei der R 12 nineT. Auch sonst unterscheiden sich die beiden Modelle im Design deutlich, während der R-12-Tank mit 14 Liter Volumen um zwei Liter kleiner ausfällt, ist ihr Kotflügel deutlich voluminöser. Ein klassischer Rundscheinwerfer mit LED-Licht prägt die Front.

100 Jahre BMW Motorrad

Die Upside-down-Gabel ist nicht einstellbar und wirkt recht schlicht. Die sonst bei Retro-Bikes häufig verwendeten, beidseitigen Feder-Dämpferbeine sind bei der R 12 wegen der Einarmschwinge natürlich nicht möglich. Stattdessen schließt sich direkt an das Rahmen-Oberrohr ein flach liegendes einzelnes Federbein an. Es ist in Vorspannung und Zugstufe einstellbar. Durch den neu entwickelten Gitterrohrrahmen, der den Motor als tragendes Element integriert, konnte im Vergleich zur bisherigen R nineT Gewicht gespart werden.

Der Luftfilterkasten im angeschraubten Heckrahmen verzichtet auf den seitlichen Schnorchel, der bisher unterhalb des Tanks entlanglief. Als Endschalldämpfer wählten die Designer zwei übereinanderliegende, leicht konische Rohre. Die R 12 besitzt keinen Klappenauspuff mehr, und das ist angesichts der zu lauten BMWs der jüngeren Vergangenheit auch gut so. Dass BMW das Geräuschniveau senken wollte, erklärt wohl auch den riesigen Vorschalldämpfer unter dem Motor und anders verlaufende Krümmerrohre.

Weil die 17-Zoll-Räder der R 12 nineT nicht zum Cruiser-Stil passen, setzt die R 12 auf Gussrädern in 19 Zoll vorn, in 16 Zoll hinten. Auch in der Fahrwerksgeometrie unterscheiden sich die beiden Modelle, die R 12 hat mit 1520 mm einen längeren Radstand, die Gabel steht mit 60,7 Grad flacher und der Nachlauf ist mit 132,5 mm deutlich länger. Somit ist die R 12 auf stoischen Geradeauslauf getrimmt, wie man es von einem Cruiser erwartet. Eher unerwartet ist hingegen die Doppelscheiben-Bremse am Vorderrad mit radialen Bremszangen von Brembo, viele Konkurrenzmodelle belassen es bei einer einzelnen. Die R 12 verfügt über ein Teilintegral-ABS, das für eine dynamische Verteilung der Bremskraft zwischen Front und Heck sorgt.

Ein Rundinstrument mit analogem Tacho und winzigem LC-Display für weitere Informationen bildet das Cockpit. Einen Drehzahlmesser gibt es nur gegen Aufpreis. Rechts neben dem Display befindet sich ein USB-Stecker, links eine 12-Volt-Anschluss, um elektronische Geräte wie Smartphone oder Navi zu laden. Die R 12 kommt zwar standardmäßig mit Keyless-Ride-System, allerdings benötigen der Tankdeckel und das Lenkerschloss weiterhin einen Schlüssel. Ein eCall-System – ein automatischer Notruf bei einem Unfall – ist serienmäßig.

Die beiden serienmäßigen Fahrmodi taufte BMW auf "Roll" und "Rock" und glaubt damit originell zu sein. Im Modus "Rock" spricht der Motor spontaner auf Gasbefehle an und die Schlupfregelung reagiert etwas später. Zudem wird elektronisch ein unrunder Leerlauf erzeugt, was bei einem Boxermotor mit vorbildlichem Massenausgleich ziemlich albern ist. Doch was tut man nicht alles für die Illusion eines der angeblich so charmant unperfekten Motorräder aus der "guten, alten Zeit", in völliger Missachtung der Tatsache, dass bereits die ersten BMWs vor 100 Jahren bei ordentlicher Wartung einen makellosen Leerlauf hatten. Dieses Feature ist zwar sozialverträglich im Gegensatz zu den in bestimmten Autos künstlich herbeigeführten Fehlzündungen gehört aber zu einer Form des heute von einigen Kunden offenbar akzeptierten Edelkitschs.

BMW R 12 (7 Bilder)

Diese Lackierung ist nur mit dem Ausstattungspaket "Option 719" zu haben. Die Drahtspeichenräder und der golden eloxierte Lenker sind darin noch nicht enthalten.
(Bild: BMW)

BMW erwartet für die R 12 ab 14.460 Euro in "Blackstorm Metallic", die Farbgebung "Aventurinrot Metallic" kostet 600 Euro Aufpreis. Die hübsche Schwarz-Silber-Lackierung mit dem dünnen Goldstreifen gibt es nur mit dem Paket "Option 719" und umfasst eine verchromte Abgasanlage, aus Aluminium gefräste und schwarz lackierte Fußrastenanlage, Rückspiegel, Hand- und Fußhebel, Ausgleichsbehälterdeckel und Zylinderkopfhauben samt Öleinfülldeckel sowie eine Sitzbank mit quersteppten Bezug und goldenen Ziernähten. Für "Option 719" verlangt BMW 2100 Euro zusätzlich. Wer jemanden mitnehmen will, muss allen Ernstes das 200 Euro teure "Sozius-Paket" ordern, das eine Doppelsitzbank und Sozius-Fußrasten enthält. Es wäre fair gegenüber dem Kunden, wenn er das als kostenlose Wahl beim Kauf hätte.

Extras gibt es bei BMW traditionell reichlich. Das Comfort-Paket mit Griffheizung, bidirektionalen Quickshifter, Tempomat und Berganfahrhilfe für 980 Euro klingt erstmal teuer, doch verlangt BMW zum Beispiel für einen einzeln georderten Tempomat 660 Euro, die Griffheizung käme separat auf 325 Euro. Den Windschild "Tour" gibt es für 708 Euro. Um den nostalgischen Look zu unterstreichen, können Drahtspeichenfelgen in Schwarz oder Gold für 850 Euro geordert werden. Sie sind seitlich eingespeicht, um die Verwendung von Schlauchlos-Reifen zu ermöglichen. Ihre Dimensionen entsprechen mit 100/90-19 vorne und 150/80-16 denen auf den Gussfelgen. Wer auf klassische Rundinstrumente im Cockpit verzichten möchte, kann für 120 Euro ein schmales, digitales Display bestellen. BMW ermuntert ausdrücklich zum Customizing, dafür gibt es unter anderem auch einen flachen Lenker und ein kurzes Heck im Zubehör.

Wie gut sich die R 12 neben der beliebten R 12 nineT zukünftig verkaufen wird, bleibt abzuwarten, zumal Cruiser momentan nicht sonderlich angesagt sind und die R 12 mit den aufpreispflichtigen Paketen und diversen Extras die 20.000-Euro-Marke überspringen kann. Immerhin sieht sie wesentlich gefälliger aus als ihre Vorfahrin R 1200 C und der Boxer-Cruiser könnte im zweiten Anlauf doch noch Erfolg haben.

Hersteller BMW
Modell R 12
Motor und Antrieb
Zylinder 2
Ventile pro Zylinder 4
Hubraum ccm 1171
Leistung kW (PS) 70 (95)
bei U/min 6500
Drehmoment Nm 110
bei U/min 6000
Antrieb Kardanwelle
Getriebe Sequenzielles Schaltgetriebe
Gänge 6
Fahrwerk
Rahmen Gitterrohrrahmen aus Stahlrohr
Radaufhängung vorn Upside-down-Gabel
Radaufhängung hinten Einarmschwinge, zentrales Feder-Dämpferbein
Reifengröße vorn 100/90-19
Reifengröße hinten 150/80-16
Bremsen vorn Doppelscheibe, 310 mm, Vierkolben-Festsättel
Bremsen hinten Einzelscheibe, 265 mm
Federweg mm v/h 90/90
Maße und Gewichte
Radstand in mm 1520
Nachlauf mm 132,5
Lenkkopfwinkel Grad 60,7
Sitzhöhe mm 754
Leergewicht kg 227
Tankinhalt Liter 14

(fpi)