Blaulichtfunk im Emirat

Auf dem Tetra World Congress in Dubai probt die Branche den Abschied von dem angejahrten Behördenfunk-Standard. Bei schnellen Datentransfers erscheint LTE als erste Wahl. Damit funkt auch das Ultimate Police Vehicle – ein Polizeiauto mit allen Schikanen.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Der Tetra World Congress (TWC) 2012 gastiert derzeit in Dubai und tagt in dieser Form zum letzten Mal. Die Nachfolge wird im Mai 2013 die Critical Communication World in Paris antreten, die außer Tetra auch für andere Profifunkverfahren (Professional Mobile Radio – PMR) offen ist, mit der kritische Infrastrukturen gesichert werden sollen. Die Nutzung von LTE, Tetrapol oder GSM-R und vor allem der rasant wachsende SAV-Markt (Situational Awareness Video) erzwingt eine Umorientierung des Angebotes. Dass Tetra tot ist, wird auf dem laufenden Branchentreff allerdings vehement bestritten.

Tetra World Congress 2012 (4 Bilder)

Eindrücke vom Tetra World Congress in Dubai

Der TWC findet vom 14. bis zum 17. Mai 2012 in Dubai statt. Der Besucherzuspruch ist rege … (Bild: Detlef Borchers)

Derweil rüsten Staaten im Nahen Osten ihre Behördenfunknetze massiv auf: Während Tetra-Installationen nach den Zahlen der Marktforscher von IMS Research in Europa auf ein Wachstum von 10 Prozent kommen, freuen sich Hersteller wie Motorola und Cassidian dort über Wachstumsraten von 70 Prozent. Ob in Kuwait, Qatar, Abu Dhabi, Dubai oder in Bahrain, überall werden die "Nationalen Sicherheitsschilder" und die Polizeitechnik auf den neuesten Stand gebracht – nicht zuletzt, um die Monarchien zu stützen, die seit dem "Arabischen Frühling" um ihre Macht fürchten. Wirtschaftliche Gründe gibt es also genug, dass der TWC in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) gastiert, die politischen Rahmenbedingungen ignorierend.

Motorolas Ultimate Police Vehicle auf dem TWC in Dubai …

(Bild: Detlef Borchers)

Der Nahe Osten könnte die Rolle des "Early Adopter“ bei der LTE-Nutzung im Behördenfunk spielen, meint Thomas Lynch von IMS Research, "hier geht vieles, was in Europa unter dem Spardiktat nicht möglich ist." Als Beispiel sei das Emirat und VAE-Hauptstadt Abu Dhabi genannt, wo Motorola die Polizei mit einem Funk- und Videosystem ausrüstete, das Live-Bilder von den Streifenwagen in das Kontrollzentrum übertragen kann. Entsprechend groß ist das Interesse der TWC-Besucher am "Ultimate Police Vehicle", einem BMW, dessen Rundum-Sensoren selbst bei Tempo 200 automatisch Kfz-Kennzeichen abgleichen können sollen. Im Innern des Wagens ist ein komplettes Videosystem installiert, das nicht nur Bilder zur Zentrale überträgt, sondern es auch gestattet, aus der Einsatzzentrale Videos zum Wagen zu schicken, während der zum Ort des Geschehens eilt. Dagegen wirken die regulären Polizei-Pkw vor Ort mit ihren relativ klobigen Kameras auf dem Dach schon veraltet. Ähnlich ist der Fortschritt auch bei neuen Tetra-Antennen, wie sie von der Firma Skymasts als "Street Furniture" angeboten werden: Man muss schon sehr genau hinsehen, um den Sender erkennen zu können.

… dagegen wirkt das Vorgängermodell mit Kameras auf dem Dach fast antiquiert

(Bild: Detlef Borchers)

Zentrales Thema auf dem TWC ist die Verknüpfung verschiedenartiger Netz-Infrastrukturen. Im arabischen Raum erscheinen landesweite Installationen verzichtbar, weil sich ein Großteil der Bevölkerung in wenigen Ballungszentren konzentriert. Entsprechende Beachtung fand die Live-Demonstration des Tetra-Funkmodems der Kölner Firma Piciorgos. Es nutzte das Satelliten-Netzwerk von Thuraya, um zwei Tetra-Funknetze zu koppeln – eines in Dubai, das andere im entfernten Athen. Ein kommerziell interessanter Anwendungsfall wäre, den Tetra-Bordfunk auf Schiffen mit der Reederei zu verbinden.

Seit Jahren ist das Thema LTE-Integration auf der Tagesordnung, ist doch der Mobilfunk der 4. Generation die Technik, die die nötigen Übertragungsraten bietet, um die vor allem seitens der Polizei gewünschte "Situational Awareness" schaffen kann, indem Live-Bilder vom Einsatzort in die Lagezentren gefunkt werden können. In Dubai demonstrierten Cassidian und Alcatel-Lucent eine Lösung namens Evercor, bei der ein Live-Video von einem simulierten Einsatzfahrzeug zum Kontrollcenter geschickt wurde und das Fahrzeug wiederum Umgebungsdaten von der Zentrale erhielt, während der Sprechfunk über den Tetra-Modus "Push to Talk" lief. Evercor arbeitet im 400-MHz-Band und nutzt damit einen Bereich, der im Sinne der harmonisierten europäischen Frequenzverwaltung (PDF-Datei) für Sicherheitsbehörden und Dienstleister vorgesehen ist. "Das 400-MHz-Frequenzband bietet Vorteile im Vergleich zur Kommunikation in einem höheren Frequenzbereich, das heißt es werden weniger Basisstationen zur Abdeckung eines vergleichbaren geographischen Bereichs benötigt, und die Kommunikation innerhalb von Gebäuden und in bebauten Stadtgebieten ist sicherer", werben die Evercor-Anbieter für die Anwendung.

Das wird von der Konkurrenz kritisch gesehen. "Wir sind mit jedem Spektrum einverstanden, solange die Entscheidung für ein Spektrum wirklich harmonisiert ist, ein weltweiter Standard ist und eine ausreichende Bandbreite von 2 × 10 MHz festgelegt ist. Diese Bandbreite ist nötig, um Echtzeit-Video nutzen zu können. Das Problem mit 400 MHz ist, dass in diesem Bandbereich in Europa sehr unterschiedlich verfahren wird, einige Länder nutzen den oberen Bandbereich, andere den unteren. So macht das keinen Sinn. Frankreich ist das einzige Land, das 400 MHz in Europa propagiert," erklärt Manuel Torres, Vizepräsident von Motorola Solutions. Seine Firma setzt darauf, dass nach US-Vorbild der LTE-Sicherheitsfunk im Bereich von 700 MHz eine Chance bekommt. Für die USA hat Motorola ein passende Polizeiterminal namens Lex 700 entwickelt.

Wie bei einem Tetra-Kongress üblich, hatten die großen Hersteller neue Funkgeräte für die Einsatzkräfte im Gepäck. Bei Motorola debütierte die Serie MPT-3000 mit einem sehr robusten Gehäuse, GPS-Lokalisierung und Bluetooth zur drahtlosen Anbindung eines Kopfhörers. Unter Mitarbeit europäischer Feuerwehren entstand ein neues Sprechsystem im Stil eines gängigen Telefonhörers für die Einbauserie MTM5400, das Einsatzleiter sowohl für den Sprechfunk als für Anweisungen über Lautsprecher nutzen können. Cassidian zeigte mit dem neuen TH1n das bisher dünnste und leichteste Tetra-Handy. Sepura, das den TWC 2012 nutzte, um den österreichischen Tetra-Distributor 3T Communications AG aufzukaufen, zeigte die neue STP 9000er-Serie. Neue Features dieser Reihe sind eingebaute RFID-Chips zur leichteren Identifizierung der Funkgeräte und ein "Lone Worker Safety-Modul". Zusätzlich zur eingebauten "Totmann-Funktion", die auch einige andere Profi-Funkgeräte bieten, gestattet dieses Modul Wegrouten und Meldepunkte zu definieren. Weicht der Träger davon ab oder kommt an einem Meldepunkt nicht an, wird Alarm ausgelöst.

Dieser Beitrag entstand auf einer von der Motorola Solutions, Inc. finanzierten Reise. (ssu)