Bundesländer gegen Online-Kirchenaustritt

Politiker predigen eine digitale, einfache Verwaltung. Doch der Kirchenaustritt soll fast überall analog und kompliziert bleiben, wie eine c't-Umfrage zeigt.

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Zettel an Wand: "Wartezone Kirchenaustritte"

(Bild: Sven Hoppe/dpa)

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Dass überregionale Zeitungen auf ihrer Titelseite über die Digitalisierung der Verwaltung berichten, kommt selten vor. Mitte Juli war es mal wieder so weit: "Wüst blockiert digitalen Kirchenaustritt", meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf Seite eins. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen sperre sich gegen die nötige Gesetzesänderung. Ein Aufreger, selbst für die konservative FAZ.

Schließlich singen Politiker sonst das Hohelied der Digitalisierung. "Verwaltungsprozesse wollen wir medienbruchfrei vollständig digitalisieren", geloben CDU und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag für NRW. Im Online-Zugangsgesetz (OZG) haben Bund und Länder sich sogar verpflichtet, bis Ende 2022 rund 580 Verwaltungsleistungen ins Netz zu stellen – auch den Kirchenaustritt. Mancherorts warten Austrittswillige derweil monatelang auf einen Termin beim Amtsgericht.

All das ficht Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) nicht an. Digitalisieren müsse man nur dort, wo rechtlich möglich, sagte ein Regierungssprecher gegenüber c’t. Das Landesrecht erlaube keine digitale Form, und daran werde man auch nichts ändern.

Wüsts Weigerung besitzt bundesweite Relevanz. Denn NRW hat im Rahmen der OZG-Umsetzung das Themenfeld "Engagement & Hobby" übernommen, zu dem der Kirchenaustritt gehört. Das bedeutet: NRW soll einen Onlinedienst entwickeln, den andere Bundesländer übernehmen können. Im OZG-Jargon spricht man vom "Einer-für-alle-Prinzip".

Allerdings müssten die anderen Länder die Software auch wirklich haben wollen. Außerdem dürfen Länder und Kommunen auch parallel programmieren – niemand muss auf Verweigerer wie NRW warten. c’t hat deshalb alle 16 Landesregierungen zu dem Thema befragt.

Das Ergebnis: Nicht nur in NRW, sondern fast überall ist ein Onlinedienst aktuell nicht möglich, weil Landesrecht die persönliche Vorsprache oder eine schriftliche Erklärung "in öffentlich beglaubigter Form" verlangt. In letzterem Fall muss man in Gegenwart eines Notars unterschreiben. Zu den Gebühren für den Austritt selbst (NRW: 30 Euro) kommen dann gut und gerne noch 25 Euro hinzu.

Fast alle Länder wollen ihre entsprechenden Gesetze auch nicht ändern – obwohl Rechtsanpassungen bei OZG-Projekten durchaus üblich sind. Die Ablehnung geht quer durch alle Lager: Sogar Thüringen, wo Linke, SPD und Grüne regieren, legt die Hände in den Schoß.

Das CDU-geführte hessische Kultusministerium erinnerte im Juli alle Kommunen im Lande daran, dass die "vollständig digitale Erklärung des Austritts" illegal ist und bleibt. Eventuelle Modellprojekte seien "rechtzeitig mit mir abzustimmen", warnt der zuständige Referent die Bürgermeister in dem Rundschreiben.

Einzig das Land Berlin will aus der Phalanx der Kirchentreuen ausscheren: "Die Koalition ändert das Kirchenaustrittsgesetz, um Austritte im Onlineverfahren zu ermöglichen", heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linken. Passiert ist aber noch nichts. Man prüfe "Voraussetzungen, Möglichkeiten und Vorgehensweise", sagte eine Senatssprecherin gegenüber c't.

Ein Sonderfall ist Brandenburg: Dort wäre ein Onlinedienst rechtlich möglich. Doch programmiert wird in Potsdam deshalb noch lange nicht. Man müsse "schon aus finanziellen Gründen" erst prüfen, ob eine Zusammenarbeit mit anderen Ländern möglich sei, sagte ein Regierungssprecher.

Gründe für ihre Verweigerungshaltung nennen nur wenige Länder. Der Standesbeamte habe "sich bei der Entgegennahme der mündlichen Erklärung Gewissheit über die Person des Erklärenden zu verschaffen und die Erklärung auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen", meint das bayerische Kultusministerium. Als gebe es nicht für genau diesen Zweck den E-Perso. Dieser kann im Verwaltungsrecht die Schriftorm ersetzen und wird vom Staat ansonsten fast für alle Verfahren akzeptiert, auch dann, wenn es um viel Geld geht, etwa bei BAFöG-Anträgen, oder um amtliche Dokumente wie den Führerschein.

Baden-Württemberg hält einen digitalen Kirchenaustritt gar für "verfassungsrechtlich bedenklich" und verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2008. Damals argumentierten die Richter allerdings nur, dass eine "formlose oder in der Form vereinfachte" Austrittserklärung weniger Klarheit "über die Authentizität, die Ernsthaftigkeit und auch den genauen Zeitpunkt der Austrittserklärung" biete als das aktuelle Verfahren. Ein abgesichertes digitales Austrittsverfahren hatten die Richter damals wohl nicht auf dem Schirm – Techniken wie der E-Perso oder auch De-Mail waren 2008 noch gar nicht eingeführt.

Mecklenburg-Vorpommern argumentiert mit der angeblich geringen Nachfrage: Es gebe Anträge, "die deutlich mehr Menschen in unserem Bundesland betreffen". Aber zumindest bundesweit sind die Zahlen beachtlich: 2021 traten 640.000 Menschen aus der katholischen oder evangelischen Kirche aus – ähnlich viele Menschen, wie BAFöG empfangen. Das Ausbildungsgeld kann man mittlerweile bundesweit digital beantragen.

Kritik an der Verweigerungshaltung der Bundesländer kommt unter anderem vom digitalpolitischen, SPD-nahen Verein D64. "Niemand sollte gegen seinen Willen für Monate einer Glaubensgemeinschaft angehören, nur weil die Ämter überlastet sind und keine Termine vergeben", sagte D64-Vorstandsmitglied Lena Stork gegenüber c't.

Ann Cathrin Riedel, Vorsitzende des FDP-nahen Vereins für liberale Netzpolitik Load, sagte, die Aussagen der Landesregierungen zeugten "recht häufig von Unverständnis und Unwillen bei der Umsetzung der digitalen Transformation des Staates und der Verwaltung". Es stelle sich die Frage, inwiefern das Verhalten auf eine Unterstützung der Kirchen ziele, um weitere Austritte zu verhindern. "Den Kirchen selbst sollte es ein Anliegen sein, den Austritt so einfach wie den Eintritt zu machen – um ihrer selbst Willen."

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(cwo)