Forscher: Energiewende bringt neue Rohstoff-Abhängigkeiten mit sich

Die Versorgung mit Rohstoffen, die für die Energiewende notwendig sind, ist nicht ausreichend resilient, meinen Kieler Forscher.

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Photovoltaik

Solarpaneele am Bremer Weserstadion.

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 3 Min.

Die Energiewende kann neue heikle Abhängigkeiten mit sich bringen, die sich aus den dafür nötigen Importen von Energieträgern und Rohstoffen ergeben. Für den Ausbau von Windkraft und Solarenergie, auch für die Herstellung von Batterien, Elektromotoren und Brennstoffzellen sind zum Teil Rohstoffe notwendig, für die es zurzeit nur wenige Lieferländer gibt, schreibt ein Forschungsteam des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in einer Studie im Auftrag der Wissenschaftsplattform Klimaschutz. Es hat dafür die Situation für 17 Rohstoffe betrachtet.

"Lieferausfälle könnten weder kurz-, noch langfristig in nennenswertem Umfang durch Importe aus anderen Ländern ausgeglichen werden", schreibt das IfW. Dabei hätten Krisen in den vergangenen Jahren die Gefahr verdeutlicht, dass die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten und sensible Lieferketten die Energiewende verzögern können. Um das zu verhindern, sollten Ersatzstoffe gefunden, Recycling ermöglicht und vorangetrieben, neue Lieferquellen erschlossen sowie Lager für kritische Rohstoffe aufgebaut werden.

Als "besonders kritische" Rohstoffe stufen die Kieler Forscher Platin, Palladium und Rhodium ein, die für Brennstoffzellen benötigt werden. Deren Produktion konzentriere sich überwiegend auf Russland und Südafrika. Lagerstätten gebe es in Europa nicht, Möglichkeiten anderer Importwege seien sehr begrenzt. Bei diesen Metallen seien die Recyclingquoten bereits sehr hoch, die Möglichkeiten, diese zu ersetzen, seien nach dem gegenwärtigen Stand der Technik sehr begrenzt. "Hinzu kommt, dass der Bedarf an diesen Rohstoffen in Zukunft voraussichtlich sehr stark steigen wird, was deren Knappheit noch weiter erhöhen dürfte", heißt es in der Studie "Resilienz der Langfriststrategie Deutschlands zum Klimaschutz" (PDF).

Auch die Importsituation für Bor schätzt das IfW als besonders kritisch ein, das für Windkraftanlagen, Photovoltaik und Elektromotoren benötigt werde. Borprodukte würden vor allem aus der Türkei importiert, hochwertiges reines Bor werde überwiegend aus den USA bezogen. Russland und China spielten als Lieferanten hier kaum eine Rolle.

Als "kritisch" wird in der Studie die Importabhängigkeit von Gallium, Germanium, Graphit, Indium, Kobalt, Lithium, Magnesium, Niob, Seltene Erden, Strontium und Titan eingeschätzt. Momentan beziehe Deutsche diese Rohstoffe aus wenigen, vielfach autokratisch regierten Ländern wie China. Es gebe aber eine breitere Palette mit Ländern mit Vorkommen solcher Rohstoffe. Diese könnten durch die erwartete hohe Nachfrage zum Zuge kommen. "Zudem bestehen Möglichkeiten der Importsubstitution durch die vermehrte Ausbeutung europäischer Lagerstätten, verstärktes Recycling oder die Substitution durch andere Materialien", schreibt das IfW.

Als weniger kritische Rohstoffe werden Fluor und Silizium eingestuft. Die Lieferantenstruktur der deutschen Importe sei vergleichsweise hoch diversifiziert, die geopolitischen Risiken der Lieferländer seien insgesamt moderat.

Das IfW hat aber nicht nur Rohstoffe im Blick. "Auch viele Vor- und Endprodukte, die für Energietechnologien benötigt werden, werden zunehmend in wenigen Ländern hergestellt und nach Deutschland exportiert", erläutert Ortwin Renn, Mitglied des Lenkungskreises der Wissenschaftsplattform Klimaschutz. "Hier sind wir etwa bei den für Photovoltaikanlagen benötigten Wafern zu mehr als 95 Prozent von einem Land abhängig."

"Wir sollten aus der Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg die richtigen Schlüsse ziehen. Diversifizierung, Kreislaufwirtschaft und internationale Kooperation sind Schlüsselelemente einer resilienten Rohstoffversorgung", sagt Karen Pittel aus dem Lenkungskreis. "Die Gefahr von Rohstoff- und Energiehandelsstreitigkeiten, in denen der wirtschaftlich Stärkere seine Interessen durchsetzt, nimmt zu und wird auch in Zukunft den Transformationsprozess gefährden", ergänzt Sabine Schlacke, Co-Vorsitzende des Lenkungskreises.

(anw)