Fuzzy Logic erobert das Internet

Der 84-jährige Erfinder der "Unschärfetheorie" der Logik, Lotfi Zadeh, sieht nach Unterhaltungselektronik Suchmaschinen als wichtigstes künftiges Einsatzgebiet von Fuzzy Logic.

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"In den kommenden Jahren wird das Internet das wichtigste Anwendungsgebiet von Fuzzy Logic sein", erklärte Lotfi Zadeh in einem Vortrag an der TU Berlin. Der emeritierte Informatikprofessor der University of California in Berkeley geht davon aus, dass sich die teilweise noch recht "dummen" Suchmaschinen in hilfreiche Diener verwandeln, die fix auf alle erdenklichen Fragen eine passende Antwort finden. Dazu müssten sie aber erst die natürliche Sprache der Menschen "verstehen", was am besten mit Fuzzy Logic zu bewerkstelligen sei.

Der im damals noch zur Sowjetunion gehörenden Aserbaidschan geborene und größtenteils im Iran aufgewachsene 84-jährige Weltenbürger umschreibt seine "Unschärfetheorie" der Logik, zu der er 1965 mit dem Aufsatz Fuzzy Sets den Grundstein gelegt hat, in diesem Sinne als "Rechnen nicht mit Zahlen, sondern mit Worten". Die bivalente und die digitale Logik, die am liebsten mit zwei genauen Maßstäben beziehungsweise nur mit 0 und 1 operiert, ist Zadeh dagegen ein Grauen: "Sie befindet sich in einem Dauerkonflikt mit der Realität".

Fuzzy Logic versöhnt den Menschen nach Ansicht des 23-fachen Ehrendoktors nicht nur mit der Wirklichkeit. Sie widerspreche auch -- richtig verstanden -- nicht einmal der klassischen, einen dritten Wert ausschließenden und in der Regel auf Aristoteles zurückgeführten Logik. "Fuzzy Logic ist präzise", wehrte sich Zadeh vor dem gut gefüllten Auditorium gegen den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit. Ganz so einfach ist es mit seiner "Systemtheorie" allerdings nicht. Denn bei Fuzzy Logic geht es keineswegs um die Präzision des Wertes, sondern um die genaue Beschreibung der Bedeutung. "Sie beschäftigt sich mit präzisen Modellen dessen, was unpräzise ist", führte der Vordenker aus. Die "unscharfe" Logik ist für ihn eine Form der "Generalisierung der bivalenten Logik, in der alles eine Sache der Abstufung ist -- oder es sein darf."

Der studierte Elektrotechniker, der schon in seiner Kindheit vier Sprachen lernte, hält es so lieber mit der Linguistik als mit der Mathematik. "Wenn ich etwas sage, enge ich damit etwas auf einige Variablen ein", hält Zadeh fest. "Ich bin dabei nicht sehr präzise. Ich nutze ein 'Fuzzy Set' um das zu beschreiben, was wir mit 'nicht sehr lange' meinen." Derlei Gleichsetzungen mit Hilfe gradueller Abstufungen würden die Tür öffnen für "Frage- und Antwort-Systeme". Sie könnten eine Brücke bauen zwischen den natürlichen Sprachen und der Mathematik, aber letztlich auch zwischen der menschlichen und der künstlichen Intelligenz, ist Zadeh überzeugt. Es komme nur auf die schrittweise Beschreibung von Wahrnehmungen an. Diese könne als eine Art Übersetzung zwischen Mensch- und Maschinenempfinden dienen.

So sei ein Roboter an sich momentan nicht imstande, ein Auto zu fahren, brachte Zadeh ein Beispiel im Gespräch mit heise online. Der Mensch mache dies ganz intuitiv, ohne ständig exakt den Abstand zum Vordermann oder die Geschwindigkeit zu messen. Es sei aber möglich, dem Fahrer die Augen zu verbinden und ihn über den Beifahrer zu steuern, wenn dieser ganz genaue deskriptive Befehle wie: 'Jetzt langsam bremsen und nach links abbiegen' gebe. Mit solchen Beschreibungen könnten Fuzzy Sets erstellt und damit auch Maschinen einen Wagen steuern. Dank dieser Erkenntnis stehe die Künstliche Intelligenz vor einer ganz neuen Ausrichtung.

Zadeh gibt manchmal doch einmal seine Abscheu vor exakten Zahlenwerten auf: Der Begriff 'Fuzzy Logic' taucht seit den 1970ern im Titel von 40.352 Forschungspapieren auf. Überrascht hat den einflussreichen Wissenschaftler, dass seine Theorie momentan vor allem in der Unterhaltungs- und in der Steuerungselektronik eingesetzt wird. Kameras etwa arbeiten mit bewusst ungenauen Sensoren besser als mit möglichst hoher Präzision, wie die Japaner längst erkannt haben, sagt Zadeh. Aber auch Automatikgetriebe von Autos würden heutzutage anhand von Beschreibungen wie 'bei niedriger Geschwindigkeit und hohem Gang drei Stufen herunterschalten' arbeiten. Ferner habe Fuzzy Logic in Waschmaschinen oder Mikrowellen Einzug gehalten.

Noch aus stehe die Übernahme seiner Erkenntnisse in den Humanwissenschaften, zeigte sich Zadeh enttäuscht. Doch der Optimist ist sich sicher, dass dies nur noch eine Frage der Zeit ist: Immer mehr Forscher würden einsehen, dass sich gewisse Probleme nicht mit den bisherigen operativen Methoden lösen ließen. Schon im Alltag könne man nie die Wahrscheinlichkeit berechnen, inwieweit man etwa bei einer zeitlich engen Umsteigeverbindung an einem Verkehrsknotenpunkt den Anschluss verpasse. Fuzzy Logic liefere hier die bessere "Annäherung an die Wahrheit". In der Quantenmechanik und anderen naturwissenschaftlichen Gebieten habe man dies auch bereits erkannt. (Stefan Krempl) / (jk)