Hintergrund: Neue Internet-Domains? Ja schon, aber...

Eigentlich ist der Weg für neue generic Top Level Domains (gTLDs) ja frei. Die Diskussionen um das Ob, Wie und Wann nehmen aber kein Ende.

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Von
  • Jürgen Kuri

Eigentlich ist der Weg für neue generic Top Level Domains (gTLDs) in der Art von .com, .net oder .org ja frei. Mitte April empfahl das Names Council der Domain Name Supporting Organisation (DNSO) der Internetverwaltung ICANN, neue gTLDs einzuführen. Für das nächste Treffen des Direktoriums der Internet Corporation for Assignend Names and Numbers in Yokohama am 16. Juli dieses Jahres liegt seit Anfang letzter Woche auch ein Papier vor, das der Beschlussfassung behilflich sein soll.

Da es in der letzten Zeit keine Erfahrung mit der Einführung neuer gTLDs gebe, empfiehlt die DNSO auf jeden Fall, anfangs nur eine geringe Zahl neuer Namen zu ermöglichen – anschließend sollte genau überprüft werden, welche Auswirkung dies habe, um dann über eventuelle weitere gTLDs zu entscheiden. Grundsatz bei allen Aktionen müsse sein, dass die Stabilität des Internet und des Domain Name Service (DNS) nicht gefährdet werde. Warum allerdings die Einführung neuer gTLDs den DNS labil machen sollte, darüber lässt sich das Papier nicht aus. Ebenso wenig übrigens wie die ICANN-Vertreter auf der Konferenz der Bertelsmann-Stiftung über Internet Governance am Donnerstag letzter Woche. Prinzipiell, so meinten dagegen zumindest einige der Anwesenden, gebe es kein technisches Hindernis, beliebig viele neue gTLDs einzuführen. Michael Schneider, Gründer von EUnet Deutschland und inzwischen als Rechtsanwalt und eloquenter Vertreter von Provider-Interessen tätig, meinte sogar, Techniker bei der Internet Engineering Task Force (IETF) seien schon auf die Idee gekommen, eine so große Zahl neuer TLDs einzuführen, dass sich Markenrechtsstreitigkeiten von selbst erledigen – niemand könne bei sehr vielen neuen Domains wirklich in allen Bereichen seinen Namen registrieren lassen.

Marken- und Namensrechte spielen natürlich bei der ganzen Diskussion um neue gTLDs eine entscheidende Rolle. Schließlich sei selbst in der .com-Domain eigentlich kein Engpass für Namen vorhanden – allein die einfach zu merkenden, die "berühmten" sowie die Marken-Namen würden knapp. Ein Unternehmen aber, dass wert darauf legt, unter dem Firmen- oder Marken-Namen im Internet gefunden zu werden, werde sich in allen gTLDs entsprechende Domains registrieren lassen. Die Einführung weniger neuer gTLDs verschiebt das Problem der Knappheit also nur um kurze Zeit, so die einhellige Meinung der Teilnehmer an der Tagung der Bertelsmann-Stiftung.

Warum dann aber überhaupt neue gTLDs? Diese Frage stellte auf der Tagung auch Harald Tveit Alvestrand, unter anderem Mitglied des Internet Architecture Boards (IAB). Seiner Ansicht nach beruht die ganze Diskussion auf dem Missverständnis, der DNS ließe sich als Directory nutzen. Ein Verzeichnisdienst, der das einfache Auffinden von Ressourcen im Internet nach Kriterien wie Marken- oder Firmen-Namen oder gar auf Grund nur bruchstückhafter Informationen über die gewünschte Web-Seite ermögliche, sei der DNS aber definitiv nicht. Schließlich sei er nur als Hilfsmittel entstanden, um nicht ständig relativ kryptische IP-Adressen eintippen zu müssen – mehr könne und solle der DNS gar nicht leisten. Alles andere stelle seine Integrität und Stabilität in Frage. Auch Sabine Dolderer, Geschäftsführerin des DENIC, der Registrierungsstelle für .de-Domains, meinte, das Hauptproblem sei nicht ein Engpass an Namen, sondern der Versuch, den DNS als Ordnungskriterium zu nutzen. Die Einführung neuer gTLDs hält Alvestrand wohl eher für schädlich: Der DNS sollte so klein und effizient wie möglich gehalten werden. Notwendig sei ein richtiger Directory Service, der das Auffinden von Ressourcen ermögliche. Ob man dann den DNS überhaupt noch benötigt als zusätzlichen Layer zwischen Directory und IP-Adressen, dazu ließ sich Alvestrand nicht aus. Er betonte aber, das Problem sei nicht die technische Realisierung eines Directory, sondern wer dies bezahle und wer das Verzeichnis verwalte.

Interessanterweise teilte der Vertreter der Deutschen Telekom, Winfried Schüler, Leiter des Bereichs Internationale IP-Dienste beim rosa Riesen, auf der Tagung der Bertelsmann-Stiftung die Ansicht, für eine vernünftige Nutzung des Internet in der Zukunft müsse ein Directory her. Die Telekom habe bereits die Entwicklung eines entsprechenden Verzeichnisdienstes in Angriff genommen – der Konzern kann sich aber nach Aussagen von Schüler auch vorstellen, dieses Directory, wird es denn einmal Realität, nur kostenpflichtig oder nur für Telekom-Kunden anzubieten. Ob dies dann die Lösung aller rechtlichen und strukturellen Probleme des DNS ist, darf wohl mit Fug und Recht bezweifelt werden. Und darauf, ob überhaupt ein neues Directory notwendig ist, ging der Telekom-Vertreter leider nicht ein: Schließlich gibt es schon diverse Verzeichnisdienste. X.500 als internationaler Standard ist schon lange verfügbar und hat seine Stabilität bewiesen. Und Novell etwa versucht seit einiger Zeit, seine Novell Directory Services (NDS) als Verzeichnisdienst für Internet- und Telekomfirmen zu platzieren – unter anderem auch durch Abkommen mit der Deutschen Telekom.

Francis Gurry, Assistant Director General und Rechtsberater bei der World Intellectual Property Organization (WIPO), bezweifelte zudem, dass ein Directory die Schwierigkeiten mit dem Namensrecht im Internet lösen könne. Auf die Frage, ob ein Verzeichnisdienst juristische Auseinandersetzungen um Marken- und Firmen-Namen verhindern könne, meinte er lapidar: "Nein". Die WIPO sieht grundsätzlich wohl zwei Möglichkeiten, Namensstreitigkeiten im Internet zu lösen, die beide nicht auf der technischen Ebene angesiedelt sind. So könnte eine internationale Organisation wie die UNO damit beauftragt werden, über Namensrechte an Domain-Namen zu entscheiden. Gurry sieht aber dabei gravierende juristische Probleme auf die UNO zukommen; zudem dürfte es nach Gurrys Ansicht einige Schwierigkeiten geben, solch einen Mechanismus auch international durchzusetzen. Eine weitere Methode wäre eine Art Ausschlussliste. In ihr würden allgemeine und "berühmte" Namen festgehalten, die nicht im DNS registriert werden dürften: Eine Art Anti-DNS also. Aber auch diese Methode hat ihre Macken – im Prinzip müsste ebenso wie der DNS selbst dieser Anti-DNS als dynamische, verteilte Datenbank aufgebaut werden. Und es treten gleich dieselben Fragen wie beim DNS auf: Wer verwaltet die Ausschlussliste, wer entscheidet, welche Namen aufgenommen werden? Die ICANN jedenfalls sieht in ihrem Vorbereitungspapier für die Direktoriums-Sitzung über neue TLDs die Notwendigkeit einer Ausschlussliste nicht.

Eines bleibt zu dem Vorschlag eines Internet-Verzeichnisdienstes festzuhalten: Wer schon einmal versucht hat, über X.500 oder NDS eine Ressource direkt mit ihrem Directory-Namen anzusprechen, freut sich, wenn er mit IP-Adressen arbeiten darf. Ohne ein benutzerfreundliches Interface, das nicht nur das Suchen, sondern auch das direkte Anspringen von Ressourcen und Web-Sites ermöglicht, dürfte kein Surfer einen Internet-Verzeichnisdienst akzeptieren.

Bevor das ICANN-Direktorium die Einführung neuer gTLDs beschließen kann, haben die Mitglieder darüber hinaus noch ein weiteres Problem: Die Verfechter zweier unterschiedlicher Typen von gTLDs müssen sich einigen. So könnten unbeschränkte, allgemeine TLDs (unrestricted TLDs) eingeführt werden, getreu dem Vorbild der .com-Domain. Die andere Variante: So genannte chartered TLDs, die schon im Namen einen bestimmten Zweck der entsprechenden Server oder Web-Seiten andeuten sollen – etwa .firm für Auftritte von Unternehmen im Web, .sex für Porno-Sites oder .medical für Gesundheits-Angebote. Solche chartered Domains gibt es bislang auch schon: .edu für Universitäten und Bildungseinrichtungen könnte als Vorbild dienen. Die Einführung von .union für Internet-Auftritte von Gewerkschaften beispielsweise wurde aber erst vor kurzem abgelehnt – zu politisch, hieß es lapidar.

Andrew McLaughlin, Berkman Fellow an der Harvard Law School und Chief Policy Officer sowie Chief Financial Officer der ICANN, lehnte jedenfalls während der Diskussion bei der Bertelsmann-Stiftung chartered Domains rundweg ab. Die ICANN als oberste Instanz für die DNS-Aufsicht käme sonst in eine Situation, bei der sie nicht-technische Kriterien für die Registrierung innerhalb einer bestimmten Domain anlegen müsse: Wie könne die ICANN entscheiden, ob etwa Geistheiler innerhalb einer eventuellen Domain .medical zu akzeptieren seien oder nicht? Die ICANN sei nicht dafür da zu entscheiden, ob eine Registrierung für eine bestimmte chartered Domain zugelassen werde oder nicht. Auch Dolderer äußerte Bedenken gegen chartered Domains: Sie könnten sich schnell zu einer Art Gütesiegel für einen bestimmten Bereich entwickeln.

Trotz dieser Einwände erklärte Michael Leibrandt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und Vertreter der Bundesregierung im Governmental Advisory Committee (GAC) der ICANN, er bevorzuge die Einführung von chartered Domains. Die Bundesregierung wolle auf keinen Fall, dass nur allgemeine unrestricted TLDs eingeführt würden. Man müsse neue Domains aus der User-Perspektive beurteilen und danach, welche Nutzen TLDs den Surfern brächten – dabei hätten chartered Domains eindeutige Vorteile. Er könne sich aber vorstellen, dass eine Mischform gewählt werde, mit einigen chartered und nur wenigen unrestricted Domains, meinte Leibrandt gegenüber c't.

Angesichts all dieser offenen Fragen zum DNS und der technischen wie politischen Auseinandersetzungen um die Einführung neuer gTLDs darf man also gespannt erwarten, was die ICANN auf dem Direktoriumstreffen im Juli in Yokohama beschließt – wenn die Direktoren sich überhaupt schon zu einer endgültigen Entscheidung durchringen können. (jk)