ICANN: Regierungen vor, Nutzerbeteiligung am Ende

Bitter enttäuschte Aktivisten, entnervte Technikergremien und ein offen auf mehr Einfluss bedachter Regierungsbeirat streiten um die Zukunft der Internet-Verwaltung und DNS-Aufsicht ICANN.

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Von
  • Monika Ermert

Bitter enttäuschte Aktivisten, entnervte oder sogar mit dem ICANN-Austritt drohende Technikergremien und ein offen auf mehr Einfluss bedachter Regierungsbeirat (GAC) kommentierten heute in Shanghai die Reformpläne der Internet-Verwaltung Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Mit einer neuen Struktur bemüht sich die Organisation um ihren Erhalt. Die Regierungen pochen nun wie erwartet verstärkt auf ihre Autorität in allen Belangen "von öffentlichem Interesse".

Laut den heute vorgelegten Änderungsvorschlägen für die neue ICANN-Satzung wollen die Regierungen in allen ICANN-Gremien Beobachterstatus haben und selbst Änderungen der ICANN-Politik initiieren können. "Es sieht nach dem Ende der Idee von ICANN als einem privaten Gremium aus", sagte ICANNs Direktoriumsrebell Karl Auerbach. Vertreter des Regierungsbeirates beeilten sich, diesem Eindruck zu widersprechen. "Am Ende liegen Entscheidungen nach wie vor beim ICANN-Vorstand," sagte Nancy Victory von der US-amerikanischen National Telecommunications and Information Association (NTIA) gegenüber heise online.

Es gehe mehr darum, ICANN-Entscheidungen rechtzeitig zu sehen und einen Anspruch auf die Begründung von Entscheidungen zu haben, sagte der scheidende GAC-Chef Paul Twomey. "Das sind Fragen der Berechenbarkeit und Transparenz", meinte Twomey, es gehe nicht um ein Vetorecht. Doch im vorgelegten Dokument heißt es: "Der GAC kann dem Vorstand alle Angelegenheiten vorlegen, sei es in Form einer Vorabempfehlung oder dadurch, dass er spezielle Maßnahmen oder die Entwicklung neuer oder die Überarbeitung bestehender Regelungen empfiehlt."

Das ist zumindest auslegungsfähig, ebenso, wie der spanische ICANN-Direktor Amadeu Abril i Abril bemerkte, der Begriff "öffentliche Belange". Als Beispiele dafür nannte Deutschlands GAC-Vertreter Michael Leibrandt die im vergangenen Jahr vom Regierungsbeirat durchgesetzte Forderung der Regierungen, Ländernamen in der neuen info-TLD zu sperren. ICANN-Ceo Stuart Lynn nannte heute gleich einen weiteren Bereich, der seiner Meinung nach von öffentlichem Interesse sei: Die Frage, wie der Namensraum im Netz erweitert werden solle, nach Marktangebot oder durch Ausschreibung von für wichtig befundenen Adressen durch ICANN. Nicht zuletzt wollen die GAC-Mitglieder ein schlagkräftigeres Sekretariat -- ab November residiert es in Brüssel und wird wesentlich von der Europäischen Kommission finanziert. Insgesamt soll die mit den Vorsitzenden voraussichtlich fünfköpfige GAC-Truppe möglichst international zusammengesetzt sein. Denn zuviel Macht wollen die GAC-Mitglieder, nicht zuletzt die USA, den Europäern auch wieder nicht geben.

Während die Regierungen auf dem Vormarsch sind, beklagten die wenigen Vertreter der Nutzer-Gemeinde, die den Weg nach Shanghai angetreten haben, deren völlige Marginalisierung bei ICANN. Tief enttäuscht vom Umgang mit den erst langsam im Internet einziehenden Entwicklungsländern zeigte sich Norbert Klein, Vertreter einer Nichtregierungsorganisation, die sich um den Aufbau des Internet in Kambodscha bemüht. Auch das Versprechen echter Vielsprachigkeit habe die Organisation nie eingelöst, sagte At-large-Aktivist Izumi Aizu. Mit dem Ausscheiden der ICANN-Direktoren, die in einem mühsamen Prozess von den Internet-Nutzern, die sich als ICANN-Mitglieder eintragen ließen, gewählt wurden , verlieren sie auch ihre Stimme im Direktorium. Voraussichtlich zur Jahrestagung im Dezember verlieren diese so genannten At-large-Direktoren ihren Sitz; das neue vom Board gewählte, nicht stimmberechtigte At-large-Gremium ist ein schwacher Ersatz. Ob sich die von Thomas Rössler, Chef der General Assembly der DNSO, vertretene Vorstellung durchsetzt, nicht stimmberechtigte Vertreter in alle Komitees entsenden können, ist ungewiss.

In der vorgeschlagenen neuen ICANN hat die gTLD- und ccTLD-Szene jeweils eigene Fachgruppen. Der Vertreter der Länderdomain-Manager, Peter Dengate-Thrush, warnte die Direktoren heute nochmals mit dem Austritt der ccTLDs aus der ICANN. Ganz ruhig verhielten sich dagegen die Vertreter der nordamerikanischen IP-Registry ARIN, die Anfang der Woche zusammen mit den Regional Internet Registries (RIR) ihre Pläne auf den Tisch gelegt hatte, alle technischen Aufgaben der IANA im Bereich IP-Adressen selbst zu übernehmen. Man habe konstruktive Gespräch mit dem Reformkomitee geführt, sagte Paul Wilson, Generaldirektor der asiatischen IP-Registry APNIC. Gegenüber den RIRs hatte ICANN-Reformdirektor Alejandro Pisanty Versäumnisse in der Kommunikation eingeräumt. Die Regierungen hatten sich in ihrem Kommunique allerdings klar für eine einheitliche Netzverwaltung -- "one entity" -- ausgesprochen. Um ICANN an das alte Versprechen der neun gewählten Direktoren zu erinnern, sei sie nach Shanghai gekommen, sagte die US-Juristin Kathryn Kleiman. Sie wolle die Direktoren an die vielen Organisationen erinnern, die ICANN hinter sich gelassen und die interessanten Stimmen, die die Netzverwaltung verloren habe. "Ich representiere sozusagen deren Schweigen," sagte Kleiman. (Monika Ermert) / (jk)