ICANN-Streit: Wer entscheidet über neue Top Level Domains?

Vier Beschwerden und eine Klage hat die ICANN schon jetzt auf dem Tisch, noch bevor in Marina del Rey über die Erweiterung des Namensraumes diskutiert wird.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 8 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Monika Ermert

Vier Beschwerden und eine Klage hat die ICANN schon jetzt auf dem Tisch, noch bevor in Marina del Rey über die Erweiterung des Namensraumes diskutiert wird. Über 150 Namensvorschläge von 45 Bewerbern läßt die Non-Profit-Organisation derzeit unter Hochdruck von eigens engagierten externen Juristen prüfen, für Ende der Woche haben die Hauptamtlichen einen Zwischenbericht zugesagt. Auf der Agenda der bevorstehenden Jahresversammlung (13. bis 16. November) erscheint das Thema derzeit als Haupt-Tagesordnungspunkt.

"Wir verwenden die erhobene Bewerbungsgebühr zu großen Teilen für Rechtsberatung im Vorfeld unserer Entscheidung", sagt ICANN-Board-Direktor Rob Blokzijl. Man sei daher zuversichtlich, dass man damit die Entscheidungen juristisch so wasserdicht mache, dass man anschließende Prozesse durchstehen könne. Blokzijl gehört im übrigen zu den vier Direktoren, die sich eigentlich gemütlich zurücklehnen könnten. Er wird nicht mit über die Auswahl der Bewerber abstimmen, mit denen die ICANN bis Jahresende Vertragsverhandlungen für die Einführung der von ihnen vorgeschlagenen Domains aufnimmt. "Ich weiß nicht einmal, an welchem Bewerbungsvorschlag das britische CentralNic beteiligt ist und es handelt sich auch nur um einen sehr geringfügigen technischen Support. Trotzdem habe ich immer klar gesagt, dass ich meine eigene Beratertätigkeit für CentralNic und mein Amt als ICANN-Direktor klar trennen will. Daher werde ich nicht mitentscheiden."

Zuerst hatte sich der spanische Jurist Amadeu Abril i Abril aufgrund seiner Tätigkeit für das CORE-Mitglied Nominalia für befangen erklärt. Seinem Beispiel haben sich inzwischen neben Blokzjil auch Greg Crew, Vorsitzender einer Melbourne-IT-Tochter und British Telecom-Vertreter Phil Davidson angeschlossen. "Es wäre ein Wunder gewesen, wenn sich bei diesem Board niemand für befangen erklärt hätte", so Blokzijl, immerhin handele es sich um Fachleute aus der Branche. Er glaube aber nicht, dass weitere Direktoren nicht an der Abstimmung teilnehmen würden: "Inzwischen hatten alle genug Zeit, zu prüfen, ob sie befangen sind."

Blokzijl zählt wie sein niederländischer Kollege Hans Kraaijenbrink zu den Direktoren, die fest davon ausgehen, dass noch während der Board-Sitzung eine Entscheidung zu den neuen Top Level Domains fällt. Offiziell hatte die ICANN bei ihrer Sitzung in Yokohama beschlossen, am 20. November die "Gewinner" bekanntzugeben. Das ICANN-Büro gab allerdings kurz später folgenden Zeitplan aus: man werde "Mitte November 2000, während oder kurz nach der ICANN-Jahrestagung" ankündigen, mit wem man weiter verhandeln wolle. Natürlich werde man bei der Jahrestagung entscheiden, sagt dazu Blokzijl, da man solche wichtigen Entscheidungen nicht in Telefonkonferenzen fälle.

Statt der neuen At-large-Direktoren würden damit ein von den Interims-Direktoren dominiertes Gremium entscheiden, denn Andy Müller-Maguhn und seine vier Kollegen sollen erst am Ende der Sitzung die Interimsdirektoren ablösen. Angesichts der anhaltenden Diskussionen um den Status der Interims-Direktoren, vor allem derjenigen, die für weitere zwei Jahre amtieren sollen, keine glückliche Lösung, die für Diskussionen beim ersten Treffen des At Large Member Forums im Vorfeld der ICANN-Tagung sorgen wird.

"Umstrittene Entscheidungen müssen zurückgestellt werden, bis die neuen Direktoren ihren Sitz im Vorstand eingenommen haben", fordern beispielsweise Jeanette Hofmann und Thomas Roessler in einem jetzt eigens für das At large Forum vorbereiteten Papier. "Eine Entscheidung ließe sich in Marina Del Rey in transparenter Weise vorbereiten, auch ohne daß die neu gewählten Direktoren bereits im Amt wären. Sie könnte dann ohne weiteres erst zu einem späteren Zeitpunkt formal angenommen werden", meint Fitug-Mitglied Roessler dazu.

Eine Hauptforderung des vorbereiteten Grundsatzpapiers besteht außerdem darin, dass künftig Änderungen der Satzung nicht mehr durch einfache Beschlüsse des Vorstands möglich sein sollen. Eine solche Satzungsänderung hat die Wahl aller neun At-large-Direktoren im Oktober verhindert und die Verlängerung der Amtszeit der Interim-Direktoren festgeschrieben. Die beiden Aktivisten fordern, dass solche Änderungen künftig einem Veto der Supporting Organisations und der noch zu schaffenden Vertretung der At-Large-Mitglieder unterliegen.

Die noch zu schaffende At-large-Vertretung soll im übrigen, so das Papier, weitere Kompetenzen erhalten. Zunächst sollen die At-large-Vertreter innerhalb regulärer Wahlperionden freiwerdende Direktorenposten besetzen dürfen. Grundsätzlich gehörten Entscheidungen über die Auswahl neuer At-large-Direktoren ohnehin in die Hand der At-large-Direktoren und der At-large-Vertretung, die übrigen Direktoren sollten keinen Einfluß darauf haben. Wichtig erscheint Hofmann und Roessler schließlich, dass die At-large-Direktoren an allen Personalfragen, wie der anstehenden Besetzung der Stelle des CEO, beteiligt werden. (Monika Ermert)/ (cp)