ITExpo 2005: Pingu-Einhörner vorm Mare Nostrum

Linux und Open Source, auf der IT Expo als "drittes IT-Ökosystem" neben Mainframes und der Microsoft-Welt bezeichnet, soll das dominiere System für Unix-Landschaften und Server werden, auf dem Desktop gehöre es aber in den Bereich der Fabel.

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Von
  • Detlef Borchers

Unter dem Motto "Conquering Complexity" veranstaltete die Gartner Group ihre dreitägige ITExpo 2005 mit angeschlossenem Symposium in Barcelona. Etwa 1200 Teilnehmer, überwiegend Top-Manager und CIOs, reisten an, die Eroberung der Komplexität zu lernen. Denn das neue Lieblingswort der Techniker hat es in sich: Rund 750 Milliarden Dollar, so erklärte es jedenfalls die Gartner-Konkurrenz IDC aufgeregt, gehen jährlich durch die sagenhafte IT-Komplexität verloren. Dank der Vorstellung von Macromedias neuer Version Breeze 5 wurde die Eroberung aber immerhin ausschnittsweise im Internet übertragen.

Ein Schritt, die Komplexität zu bekämpfen, ist die Einführung einfacherer IT-Systeme. Frohe Kunde dabei, dass mit dieser Einführung die Ausgaben für die IT wieder wachsen werden. Nach Gartner wird für das gesamte Jahr 2005 weltweit ein Plus von 5,6% entsprechend 2,6 Milliarden Dollar bei den Ausgaben für IT-Systeme erwartet, in Europa jedoch nur 3,6%. Die aktuelle Talfahrt des Euro ist in den Gartner-Zahlen allerdings nicht berücksichtigt; sie könnte dazu führen, dass das Plus noch bescheidener ausfällt als angegeben.

Sind einfache IT-Systeme gefragt, kommt automatisch Linux ins Spiel. Ein Betriebssystem, das von ein paar auf der ganze Welt verstreuten Maintainern gewartet wird, erscheint den Kongressveranstaltern per definitionem antikomplex. Gleich mehrere Vorträge widmeten sich Linux, ganz besonders die Keynote dieser Konferenz, die als ein harmloses Interview von Gartner-Analysten mit CA-Chef John Swainson angelegt war. Der ehemalige IBM-Manager machte sich für Linux und Open Source stark, was er als drittes Ökosystem neben dem Mainframe und der Microsoft-Welt bezeichnete. Für alle Welten werde Computer Associates jedoch erstklassige Tools liefern, die den Support vereinfachen, erklärte Swainson.

Die Gartner-Analysten präsentierten ein etwas differenzierteres Urteil. Auf der einen Seite bescheinigten sie Linux, die Pubertät durchlaufen zu haben und erwachsen geworden zu sein. Bis 2008 werde Linux 80% der Unix-Funkionen enthalten und (in den Varianten Red Hat und Novell/SuSE) das dominierende Betriebssystem in diesem Bereich sein. Gegen diesen Trend steht gemäß Gartner allein Sun mit seinem Solaris 10 als Opteron-Killerapplikation. In jedem Falle werden Prozesse um das geistige Eigentum von Linux kein Hemmnis sein. Die aktuellen Anstrengungen von SCO wurden von Gartner klar als "insignifikant" gewertet.

Auf der anderen Seite kassierte der Linux-Desktop eine klare Absage. Er wurde in den Analysen von Gartner als "Penguicorn", als Pingu-Einhorn bezeichnet und in das Reich der Fabel verwiesen. Nach Ansicht von Gartner hat Microsoft hier die besseren Waffen: "1. die zuverlässigsten 'Must-Have'-Produkte des Planeten, 2. schnelle Innovationszyklen, 3. freundliche Lizenz- und Patentpolitik 4. Akzeptanz und Unterstützung von Open Source, wo dies Sinn macht." Bei allen Vorteilen für Microsoft auf dem Desktop werde Windows gegenüber Linux bis 2008 nur 10% Marktanteile verlieren und nach wie vor dominant sein. Die Zahlen könnten sich ändern, wenn Microsoft wie bisher Sicherheitslücken mit seinen Patches nur unzureichend schließe.

Einen anderen Schritt, die Komplexität zu bekämpfen, stellte Vanco in Barcelona vor. Die Firma ist ein Dienstleister, der für große Firmen wie Siemens, British Airways und Air Liquide die gesamte Telekommunikation übernimmt. Wo immer eine Firma eine Niederlassung gründet, schließt Vanco die Verträge mit den lokalen TK-Anbietern, zertifiziert ihre Dienste und überwacht die SLAs (Service Level Agreements). Die Komplexität an Dienstleister auslagern, das ist eine Rolle, die auch Computer Associates mit seinen Angeboten nur zu gerne übernehmen will.

Zwei Querstraßen vom mächtigen Betonverhau, der das katalanische Kongresszentrum bildet und die CIOs wirkungsvoll von der Sonne abschottet, liegt bergan ein Park in unmittelbarer Nachbarschaft der hiesigen Universität. Von ihm abgetrennt gibt es einen Privatpark mit einer Kirche. Einst diente sie dem größten Bankier von Barcelona zur Aussprache mit Gott, heute ist sie entkernt, nur die prächtigen Fenster künden noch von Hölle und Himmel. Im Innern arbeitet im Mare Nostrum die größte Linux-Installation der Welt, mit 4564 PowerPC-Prozessoren, 9 Terabyte Arbeitsspeicher und 230 Terabyte Festplattenkapazität, betrieben vom Centro Nacional de Supercomputación. Mit 40 Teraflops ist Mare Nostrum derzeit die Nummer 4 unter den Supercomputern.

Mit Mare Nostrum bezeichneten die Römer einstmals ihr Mittelmeer, er wurde gewählt, wie "Unser Meer" für die Gemeinschaft aller Wissenschaftler stehen soll, erklärt Felipe Lozano bei der Führung für kongressmüde Journalisten. Projekte aus ganz Europa bewerben sich um Rechenzeit an dem System. Linux, das einstmals auf dem Programmierer-Basar entstand und von seinen Jüngern gegen die Kathedrale Microsoft gesetzt wurde, ist in eine kleine Kirche gekommen. Ein Jahr wird Mare Nostrum auftragsweise beschäftigt sein, um 10 Sekunden in der Reaktion mehrerer Aminosäuren zu berechnen, die möglicherweise bei der Entstehung des Lebens eine wichtige Rolle spielen. Die Komplexität der Reaktion ist unvorstellbar. Wen erinnert das nicht an einen anderen Supercomputer, der rechnet und rechnet, heute am Towel Day. (Detlef Borchers) / (jk)