KI-Regeln der EU: Kompromiss gegen biometrische Massenüberwachung fraglich

Grüne, Liberale und Linke werfen den Konservativen vor, das Verbot etwa von automatisierter Gesichtserkennung zu unterwandern und die Bürgerrechte zu gefährden.

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(Bild: Zapp2Photo / Shutterstock.com)

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Vor der Plenarabstimmung über die geplante Verordnung für Künstliche Intelligenz (KI) am Dienstag in Straßburg herrscht dicke Luft im EU-Parlament. Grüne, Liberale und Linke werfen der konservativen Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), der CDU und CSU angehören, einen Bruch der bisherigen Einigung auf eine gemeinsame Position der Volksvertreter vor. Knackpunkt sind die seit Langem besonders umkämpften Klauseln für oder gegen biometrische Massenüberwachung. Die EVP schere hier nun aus und lege ein "kindisches Verhalten" an den Tag, moniert der bei den Verhandlungen mit am Tisch sitzende grüne EU-Abgeordnete Sergey Lagodinsky.

Seine Kollegin Svenja Hahn von den Liberalen unterstellt der Mitte-Rechts-Fraktion, "zum Angriff auf unsere Bürgerrechte" zu blasen, "indem sie mit ihren Änderungsanträgen biometrische Massenüberwachung ermöglichen will". Techniken wie automatisierte Gesichtserkennung zum Ausmachen von Verdächtigen "kennen wir aus China". Sie hätten "in einer liberalen Demokratie nichts zu suchen". Lagodinsky bezeichnet es als "A und O, dass wir es geschafft haben, biometrische Massenüberwachung zu verbieten." Auf diesen "absolut essenziellen" Teil des Pakets hätten sich die EVP-Berichterstatter – im Gegensatz zur gesamten Fraktion – eingelassen.

"Es ist wichtig, dass wir ein Freiheitsraum bleiben", betont der Grüne mit Blick auf die EU. Diese sei "nicht China, nicht Russland". Die eingezogenen roten Linien müssten daher erhalten werden im Plenum. Damit würden etwa eine biometrische Kategorisierung nach sexueller Orientierung und Predictive Policing verboten. Auch Cornelia Ernst, datenschutzpolitische Sprecherin der Linken, bezeichnete den bislang vorgesehenen Bann biometrischer Erkennungsmethoden in Echtzeit und das bedingte Verbot der Gesichtserkennung zur nachträglichen Strafverfolgung als "historisch und richtig". Nicht zuletzt das Vorgehen der EVP konterkariere diese Erfolge.

Teil des Kompromisses, auf den sich federführende Ausschüsse für bürgerliche Freiheiten, Inneres und Justiz sowie für den Binnenmarkt und Verbraucherschutz einigten, ist die Wertung von biometrischer Massenüberwachung als "inakzeptabel". Der Einsatz KI-gestützter Erkennungstechniken soll laut der Empfehlung der beiden Gremien fürs Plenum auch im Nachgang zur Fahndung nach Tätern nur bei schweren Straftaten mit gerichtlicher Anordnung zulässig sein. Ein Verbot soll zudem gelten für "das wahllose und ungezielte Sammeln biometrischer Daten aus sozialen Medien oder Überwachungsvideos, um Datenbanken zur Gesichtserkennung zu erstellen oder zu erweitern".

Diese Vereinbarung stieß der EVP schon vor dem Ausschussvotum übel auf. Im Wesentlichen wollen die Konservativen im Plenum nun mit einem Antrag der gesamten Gruppe zurück zum ursprünglichen Entwurf der EU-Kommission, der die Echtzeitnutzung biometrischer Systeme in drei Fällen ermöglichen würde: um eine vermisste Person zu finden, terroristische Anschläge zu verhindern oder schwere Straftaten zu verfolgen.

Schattenberichterstatter Axel Voss (CDU) räumt ein, dass der Gruppenantrag seiner Fraktion ein "problematischer Punkt" sei. Er hätte diesen auch gern auf "Individualanträge" einzelner Abgeordneter zurückgedrängt, die meist wenig erfolgversprechend sind. Einen Verstoß gegen die bisherige Vereinbarung sieht er dennoch nicht, da die EVP immer deutlich gemacht habe, dass sie den Einsatz von KI-Verfahren zur Strafverfolgung grundsätzlich ermöglichen wolle. Der Gruppenantrag könne nun zu einer Eskalation führen. Er hoffe aber, dass die anderen Fraktionen damit "vernünftig" umgehen und nicht die gesamte KI-Verordnung am Ende ablehnen. Weitere "Verbesserungen" könnte das Parlament in den später anstehenden Verhandlungen mit dem EU-Ministerrat erreichen.

Mit dem EVP-Kurs würde das Verbot biometrischer Gesichtserkennung "durch Ausnahmen letztlich gegenstandslos" gemacht, fürchtet Patrick Breyer von der Piratenpartei. Der Parlamentarier hat daher mit Vertretern aus vier Fraktionen zusätzlich einen Antrag für ein Verbot automatisierter Verhaltensüberwachung in öffentlichen Räumen eingereicht. Zu den deutschen Unterstützern zählen Birgit Sippel und Tiemo Wölken (SPD) sowie Alexandra Geese (Grüne). "Im Gegensatz zu der konservativen Mär gibt es kein einziges Beispiel dafür, dass biometrische Echtzeit-Überwachung je einen Terroranschlag oder andere Ereignisse dieser Art verhindert hätte", wirbt Breyer für diese Initiative.

Die Linke macht sich derweil dafür stark, Techniken zur biometrischen Fernidentifizierung vollständig zu untersagen. Zudem will sie die Regulierung laut Ernst insgesamt hochfahren, damit KI-Systeme dem Menschen keinen Schaden zufügen können. Grüne und Liberale loben dagegen den Ansatz, wonach nur Hochrisiko-Anwendungen von KI sowie Basismodelle wie GTP – die Grundlage für ChatGPT – mehr oder weniger streng reguliert werden sollen. So müssten gerade Großkonzerne etwa eine Grundrechtsfolgenabschätzung durchführen, begrüßt Lagodinsky. Hahn hebt hervor, dass die Verordnung einen schlanken Grundrahmen für den Umgang mit KI schaffen werde und so offen bleibe für die technologische Entwicklung. Für Detailregeln etwa zum Urheberrecht oder Medizinprodukte seien Spezialgesetze nötig.

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Zumindest werde das Parlament hier voraussichtlich ein Signal setzen an KI-Firmen: "Ihr könnt nicht die ganze Rechtsordnung umwerfen, ihr müsst auch das Urheberrecht respektieren", erklärt Voss zum "Riesenproblem" Copyright. Dieses gehe mit den Trainingsdaten für KI-Modelle los. Hier müssten die Betreiber künftig kenntlich machen, dass sie geschützte Werke verwenden. Die zweite, noch zu beantwortende Frage sei dann, wie darauf ein "Vergütungssystem aufgebaut werden" könne. Andererseits seien die Refinanzierungsoptionen der Presse gefährdet, "die tagtäglich mit viel Geld Information und Meinung zur Verfügung stellt".

(bme)