Lob und Tadel für neue Patentrichtlinie aus Brüssel

Experten streiten darüber, ob der Vorstoß der Kommission die bisherige Patentpraxis nur bestätigt oder grenzenlos ausweitet.

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Der am gestrigen Mittwoch von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf für eine Richtlinie "über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen" stößt auf ein geteiltes Echo. Die meisten Patent-Experten sind der Auffassung, dass sich am Status quo wenig ändern wird: Der Vorschlag aus Brüssel macht nun zwar den Weg für Softwarepatente offiziell frei, doch Gerichte und Patentämter sind ohnehin bereits dazu übergegangen, auf Computern mit Hilfe von Software realisierte Verfahrenstechniken patentrechtlich zu schützen. Dass diese Gepflogenheit nun zumindest nicht ausgeweitet wird, ist für den Berliner Informatikprofessor Bernd Lutterbeck ein "Anfangserfolg". Auch Kathrin Bremer vom Medien- und Hightech-Verband Bitkom sieht das Patentwesen "nicht aufgeweicht" und die von den meisten Mitgliedsunternehmen begrüßte Praxis der Patentämter bestätigt. Der Open-Source-Szene nahe stehende Verbände warnen dagegen vor einer faktischen Beseitigung aller Grenzen der Patentierbarkeit nach amerikanischem Muster durch die EU.

Laut Lutterbeck, der wie die große Mehrheit der Volkswirtschaftler die gesamtökonomische Sinnhaftigkeit von Patenten bestreitet und in einem Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium vor anderthalb Jahren Ausnahmen vom Patentregime für freie Software gefordert hatte, lässt sich das seit etwa 100 Jahren errichtete System intellektuellen Eigentums "nicht von heute auf morgen umbilden". Die Weigerung der EU, auch Patentierungsmöglichkeiten für Geschäftsprozesse einzuführen und sich so politisch gegen die USA zu positionieren, sei daher ein Schritt in die richtige Richtung.

Als problematisch bezeichnet es der Informatiker aber, dass Brüssel den "technischen Beitrag" als wichtigstes Entscheidungskriterium für die Patentierbarkeit von Software und Algorithmen ins Feld führt. Der Faktor "Technizität" sei zu schwammig und beliebig interpretierbar. Auch Jürgen Siepmann, Justiziar des noch an einer ausführlichen Stellungnahme zum Richtlinienentwurf werkelnden Linux-Verbandes, fehlt eine Definition des Technikbegriffs im Papier aus Brüssel. In einer Pressemitteilung führt die Binnenmarkt-Direktion zwar Beispiele wie das eines Datenverarbeitungsprogramms an, durch das ein Röntgenapparat "optimal" gesteuert wird. In der Richtlinie selbst will Brüssel es aber den "Fachkundigen" überlassen, über den technischen Erfindungscharakter zu entscheiden.

Für Siepmann trägt der Vorschlag damit klar die Handschrift der großen, vom Patentwesen stark profitierenden US-Softwarekonzerne und ihres Verbands, der Business Software Alliance (BSA). Der Entwurf erkläre faktisch Computerprogramme als solche für technisch, kritisiert auch Hartmut Pilch vom Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur (FFII). "Alle abstrakten Ideen werden damit zu patentierbaren Erfindungen."

Um eine Patentinflation zu vermeiden, sieht Swantje Weber-Cludius, Referentin Patentfragen im Wirtschaftsministerium, auch im Hinblick des neuen EU-Entwurfs dringenden Handlungsbedarf: "Wir müssen trotz knapper Kassen die Patentämter in die Lage versetzen, dass sie Anmeldungen auf Neuheit und technischen Gehalt prüfen können." Momentan sind die meisten Patentbehörden angesichts steigender Anträge heillos überlastet. Die Kommission will mit der Richtlinie nun "europäische Unternehmen und ganz besonders die mittelständische Wirtschaft dazu bewegen", mit Hilfe von Patenten ihre "computerimplementierten Erfindungen in vollem Umfang zu verwerten". Paradoxerweise geht Binnenmarkt-Kommissar Frits Bolkestein aber gleichzeitig davon aus, dass die Zahl der in Europa vergebenen Patente zurückgehen wird. Falls sich die Prognose nicht bestätigen sollte, baut Weber-Cludius in Zukunft verstärkt auf Zwangslizenzierungen sowie stärkere Kontrollen über den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen.

Erstaunt hat die Berliner Ministerialbeamten vor allem, dass die EU ihre neuen Patentvorstellungen allein über die Änderung des nationalen Rechts der Mitgliedsstaaten durchsetzen will und eine Revision des Europäischen Patentübereinkommens nicht für dringlich erachtet. Um den umstrittenen Softwarepatenten freie Bahn zu schaffen, hält Brüssel nur geringe "Anpassungen" des Patentsystems für nötig. Der eigentliche Text des weit über die EU-Nationen hinaus akzeptierten Abkommens dürfte so unverändert bleiben, da die neuen Maßstäbe in die begleitenden Richtlinien für die ausführenden Beamten gepackt werden sollen. Damit will es sich Brüssel anscheinend ersparen, über die Mitgliedsstaaten hinaus eine politische Einigung erzielen und lange Diskussionen führen zu müssen. (Stefan Krempl) / (jk)