Mögliche Regierungsbeteiligung an ICANN

Eine radikale Reorganisation der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) hat am Wochenende der Präsident und CEO der Organisation, Stuart Lynn, bei einem Treffen mit den Direktoren in Washington gefordert.

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Von
  • Monika Ermert

Eine radikale Reorganisation der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) hat am Wochenende der Präsident und CEO der Organisation, Stuart Lynn, bei einem Treffen mit den Direktoren in Washington gefordert. Ein Drittel der Direktoren soll künftig von internationalen Regierungen ernannt werden. Die fünf Regierungsvertreter -- nach Lynns Vorschlägen möglichst keine aktiven Staatsbeamten -- sollen künftig innerhalb der ICANN für die Nutzer in aller Welt sprechen. Weltweite Wahlen soll es dann nicht mehr geben.

"Ich gebe zu, dass eine größere Rolle für Regierungen innerhalb der ICANN ein Abschied von der ursprünglichen ICANN-Idee, nämlich einer rein privaten Organisation ist, aber ich bin überzeugt, dass diese größere Regierungsbeteiligung wesentlich für den Erfolg von ICANN ist", begründete Lynn sein ausführliches Reorganisationskonzept. "Wenn der ICANN-Prozess gelingen soll, muss diese Reform ICANNs wackelige institutionelle Basis ersetzen durch eine effektive Partnerschaft von öffentlicher Hand und privatem Sektor." Regierungen seien letztlich auch bessere Repräsentanten der Öffentlichkeit als "ein paar tausend selbsternannte Wähler", sagte Lynn. Zudem warb Lynn mit der Aussicht auf ein Ende der Sonderrolle der USA.

Lynns Konzept, über das bereits nach einer Konsultation mit der Europäischen Kommission spekuliert worden war, schlägt statt des bestehenden 19-köpfigen Vorstands ein so genanntes Board of Trustees mit 15 Mitgliedern vor. Neben fünf Regierungsvertretern aus allen ICANN-Regionen sollen fünf Personen von einem ICANN-Nominierungskomitee ausgewählt werden. Nur noch fünf Mitglieder sollen direkt aus dem ICANN-Untergremien kommen: abgesehen von Lynn als Präsidenten sind dies Vertreter von drei "Policy Councils" für die Bereiche IP-Nummern, Top Level Domains, Länderdomains und einem Vertreter eines Technik-Komitees. Nicht-stimmberechtigte Mitglieder sollen außerdem sowohl das Internet Architecture Board (IAB) und der bestehende ICANN-Regierungsbeirat stellen.

Die drei bisher für die Besetzung von neun Direktorensitzen verantwortlichen "Supporting Organisationen" kommen in Lynns Konzept nicht mehr vor, die in der ersten weltweit abgehaltenen Abstimmung gewählten Nutzer-Repräsentanten wird es nicht mehr geben. Statt Zeit und ohnehin viel zu knappe finanzielle Ressourcen auf weltweite Demokratie zu verschwenden, soll sich ICANN nach Ansicht Lynns um seine eigentlichen Aufgaben kümmern. In diesem Sinn soll es künftig auch ein eigenes Sicherheitskomitee geben und außerdem ein Gremium, in dem die Betreiber der 13 zentralen Root Server (Root Server Advisory Committee) eingebunden sind.

"Alle Albträume scheinen tatsächlich wahr zu werden," urteilte in einer ersten Reaktion der für Europa gewählte Nutzervertreter Andy Müller-Maguhn. Lynns Vorschlag, über den letztlich die amtierenden Direktoren zu entscheiden haben, mache Internetnutzern klar, dass sie im ICANN-Prozess nichts verloren hätten, während es auf der anderen Seite eine Einladung an die Regierungen sei. Gegenüber heise online zeigte sich Müller-Maguhn nicht zuletzt darüber empört, dass ein Teil der Direktoren offensichtlich vorab von den Vorschlägen Lynns informiert worden war. "Es gab erstaunlich wenig Protest," so Müller-Maguhn. Bei der bevorstehenden Sitzung in Accra werden vorerst allerdings wohl erst einmal weitere Wahlvorbereitungen für den Herbst gestoppt, schätzt Müller-Maguhn. Seine Amtszeit läuft im November aus. Die aktuell laufenden Umfragen und Anstrengungen für die Wahlen -- rund 300 deutsche Nutzer hatten sich dabei bislang zurückgemeldet -- wirken angesichts der Entwicklung nun etwas unzeitgemäß.

Mit der Forderung nach der Neuorganisation geht Lynn in einem Moment in die Offensive, in dem ICANNs Legitimation von verschiedenen Seiten infrage gestellt wird. Auf einer Konferenz der International Telecommunications Union Ende vergangenen Jahres wurde eine Dezentralisierung der Root-Verwaltung vor allem von Vertretern aus Asien gefordert. Organisationen wie die ITU eigneten sich aber nicht dafür, ICANNs Aufgabe zu übernehmen, warnte Lynn.

Ein ganz praktisches Problem hat ICANN außerdem mit den Managern der über 240 Länderdomains, sie weigern sich eine weitgehende Aufsichtsfunktion der ICANN anzuerkennen. Mit Hilfe der Regierungsvertreter würde Lynn diese nun gerne auf Linie bringen und zur Finanzierung der ICANN-Arbeit bewegen. Auch direkte finanzielle Unterstützung von den Regierungen ist laut Lynn notwendig, da man derzeit bei ohnehin deutlich zu knapper Ausstattung rund 500.000 US-Dollar Minus pro Jahr mache.

Eine der besonders spannenden Fragen bei Lynns Konzept wird nun sein, ob und unter welchen Voraussetzungen das US Department of Commerce zustimmen wird. Immerhin -- so ein Kritiker -- kann das Neukonzept bedeuten, dass auch von der US-Politik wenig geliebte Nationen im neuen Board of Trustees vertreten sein werden. Unklar ist auch, ob die USA einen Stammplatz in der ICANN-Führung erhalten sollen. Sicher ist vorerst nur eines: "Die aktuelle Struktur der ICANN", ließ sich ICANNS Vorsitzender Vint Cerf zitieren, "war ein Experiment, als sie vor drei Jahren gegründet wurde." Dieses Experiment wollen Lynn und sein hauptamtliches Team in Kalifornien jetzt beenden. (Monika Ermert) / (wst)