Next: Die "neue Datenwelt" zwischen Überwachung und Selbstvermessung

Sicherheitsfachmann Mikko Hypponen plädierte auf der Netzkonferenz "Next" in Berlin dafür, dass sich mehr Startups in Europa ansiedeln und dadurch die NSA-Datensammlung erschweren sollten. Fraunhofer will mit einer Datenbrille punkten.

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Die "neue Normalität" der digitalen Wirtschaft möchte die Tagung Next erkunden, die am Montag den Auftakt zum Konferenzmarathon der Berlin Web Week bildete. Teil davon soll eine "neue Datenwelt" bilden, in die Unternehmer und Forscher am Montag Einblicke gaben. Mikko Hypponen, Forschungschef der finnischen Sicherheitsfirma F-Secure, warb im Lichte des NSA-Skandals dafür, möglichst viele Informationen dem direkten Zugriff des US-Geheimdienstes zu entziehen: "Wir sollten die US-Massenüberwachung schlagen, indem wir größere europäische Internetfirmen gründen".

Die Enthüllungen Edward Snowdens hätten einen negativen Effekt auf US-Firmen gehabt, sagte der Security-Experte und ermunterte Startups, vom Silicon Valley auf den alten Kontinent umzuziehen. Europäische Unternehmen hätten es leichter: Es helfe bei Verkaufsgesprächen ungemein, aus einem neutralen Land wie Finnland zu kommen und dort seine Datencenter zu betreiben. Gesetzliche Vorgaben zum Einsatz von Verschlüsselungssoftware und die Entwicklung zugehöriger Standards hält Hypponen nicht für nötig.

Eine Datenbrille aus Deutschland.

(Bild: heise online/Stefan Krempl)

Uwe Vogel vom Fraunhofer-Institut für Organik, Materialien und Elektronische Bauelemente (COMEDD) lüftete den Vorhang vor einer Datenbrille, die ein deutlich weiteres Blickfeld als Google Glass abdecken und per Augenkontrolle Befehle ausführen können soll. "Germany's Next Top Glasses" sei bidirektional angelegt, zeichne also nicht nur Bilder von außen auf, sondern erfasse auch die Bewegungen der Pupille und nutze diese zur Interaktion und Steuerung eingebundener Apps. Vogel rechnet damit, dass über Partner in "zwei bis vier Jahren" solche Produkte auf den Markt kommen und zunächst etwa in der Mikro-Chirurgie, Wartung oder im Sicherheitsbereich Abnehmer finden.

Einen Blick auf die Wurzeln der kommerziellen Datenauswertung warf der US-Futurologe Scott Smith. Angefangen habe alles mit dem 40 Jahre alten Barcode, der Informationen über Millionen Produkte und Verkaufspunkten zugänglich gemacht habe. Mittel der Bonuskarten hätten Firmen später auf das Kaufverhalten einzelner Personen schließen können. Im Netz generierten Nutzer von Smartphones und Wearables heute viel mehr Informationen über sich. Das "qualifizierte Selbst" werde Teil von Arbeits- und Versicherungsverträgen mit enormen Kontrollmöglichkeiten.

Firmen installierten Videokameras mit Fähigkeiten zur Gesichtserkennung in Regalen und einzelnen Waren, sodass Produkte, Datenbanken und Kunden künftig stärker "interagieren" könnten. Militärtechnik zum Messen der Hitzeabstrahlen von Körpern oder zum Durchleuchten von Personen dränge über Firmen wie Flir oder Vermarkter von Lidar in den Massenmarkt. Staubsaugroboter begännen, ihre Erkenntnisse über eine Wohnung in die Cloud hochzuladen, was Verkäufer von Inneneinrichtung, Vermietdienste oder Einbrecher interessierten dürfte.

Die zusammengetragenen Daten entwickelten dabei eine eigene Intelligenz, sodass es immer schwieriger werde, persönliche Eigenschaften oder Zustände wie eine Schwangerschaft geheim zu halten. Der Zukunftsforscher warf dazu Fragen auf, wie machtvolle Instanzen diese Modelle nutzen könnten, wie das Leben in einer Welt aussehe, in der es keine Wahlmöglichkeiten mehr gebe ("Post-Choice World") oder ob ein Recht auf Vergessen dann noch durchsetzbar sei. Statt über "Big Data" sprach er von "Long Data", über deren Auswirkungen noch zu wenig bekannt sei.

Alex Oelling will Online- und Offline-Welt direkt verbinden.

(Bild: heise online/Stefan Krempl)

Geht es nach Alex Oelling von Sensorberg, wird künftig die iBeacon-Technik die Online- und die Offline-Welt direkt miteinander verbinden. Damit werde die Lokalisierung von Nutzern deutlich genauer, was wiederum das Anbieten standortbezogener Dienste etwa zur Navigation in Gebäuden oder zur Verkaufsförderung erleichtere.

Oelling stellte auf dem Kongress eine Management-Plattform für iBeacon in Form einer Programmierschnittstelle vor. Diese arbeite mit der einzigartigen ID der Funktechnik, über die Webinhalte gezielt abgerufen werden können. Ob nutzerbezogene Daten abgerufen würden, sei Sache des eigentlichen App-Anbieters. "Geschichten über Produkte" offenbaren soll bald das ebenfalls vorgeführte Provenance Project, das in Kooperation mit der Open Knowledge Foundation offene Daten über Waren anbieten und so etwa Herkunft und verwendete Bestandteile transparent zu machen sucht. (mho)