Vorstandswahlen bei Digitalcourage sorgen für Streit bei Mitgliederversammlung

Ein im Fediverse erschienenes Gedächtnisprotokoll berichtet von lautstarken Auseinandersetzungen zwischen Vereinsmitgliedern und Vorstand von Digitalcourage.

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(Bild: pixinoo / Shutterstock.com)

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Bei einer Mitgliederversammlung des Vereins Digitalcourage e.V. kam es zum offenen Streit über die Vorstandswahl. Laut einem anonym veröffentlichten Gedächtnisprotokoll der Versammlung hat der Vereinsgründer padeluun seine knappe Niederlage gegen einen Kandidaten aus den Reihen des Vereins nicht akzeptiert und unter Androhung von Konsequenzen für die Mitarbeiter eine Wiederholung des Wahlgangs erreicht. Personen aus dem Vereinsumfeld haben die Vorgänge gegenüber heise online bestätigt. Der Verein war kurzfristig nicht für eine Stellungnahme erreichbar.

Bei der Versammlung im November 2023 sollte unter anderem der Vorstand des eingetragenen Vereins neu gewählt werden. Dabei unterlag padeluun überraschend einem Gegenkandidaten. Darüber kam es laut übereinstimmenden Schilderungen von Beteiligten zum Eklat. Den anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – Digitalcourage hat derzeit etwa 20 Beschäftigte – soll er zugerufen haben, alle verlören ihre Arbeitsplätze, würde er aus dem Vorstand gewählt. Im Verlauf der hitzigen Diskussion habe auch die Arbeitsfähigkeit des Vereins infrage gestanden, bis sich die Gemüter in einer spontan anberaumten Pause abkühlen sollten.

Während der knapp dreißigminütigen Unterbrechung sollen dann verschiedene Vereins- und Vorstandsmitglieder den Gegenkandidaten überredet haben, die Wahl nicht anzunehmen. Er äußerte sich später im sozialen Netzwerk Mastodon zu seinen Beweggründen: "Vereinsmeierei darf aber nie über der inhaltlichen Arbeit und den gemeinsamen Zielen stehen. Das habe ich an dem Abend der MV (Mitgliederversammlung, d.Red.) kippen sehen, und deswegen habe ich die Wahl nicht angenommen."

Die Wahl zum zweiten Vereinsvorsitzenden (gemäß Vereinssatzung agieren alle drei Vorsitzenden gleichberechtigt) sei nach der Pause wiederholt worden – einziger verbleibender Kandidat und Gewinner der Wahl war padeluun.

Auch die Wahl zum dritten Vorsitzenden verlief dem Protokoll zufolge nicht reibungslos. Nachdem sich der ehemalige Geschäftsführer des Vereins auf padeluuns Bitten zur Wahl gestellt hatte, habe anders als bei den vorangegangenen Wahlgängen eine Aussprache stattgefunden. In dieser machte der Ex-Geschäftsführer offenbar keinen Hehl aus seinem Ansinnen, den Verein nur weiter zu unterstützen, wenn er in den Vorstand gewählt würde. Zudem habe padeluun den Wunsch geäußert, dass ein Gegenkandidat seine Kandidatur zurückzieht.

Die Vorgänge rund um die Wahlen werfen kein gutes Licht auf die Führungsebene des Vereins. So ist es zumindest unklar, warum ein Wechsel im Vorstand zur Kündigung aller Mitarbeiter des Vereins führen könnte. Es entsteht der Eindruck, die Vereinsführung sperre sich gegen missliebige Kandidaten. Auch ist die Posse offenbar eine Kulmination lange schwelender Konflikte zwischen Vorstand und Mitarbeitenden: So gab es in den vergangenen Jahren mehrfach Kritik am Führungsstil des Gründers, die auch in Kündigungen mündete.

Der Verein streute zunächst in einem Statement auf seinem offiziellen Mastodon-Konto Zweifel an der Authentizität des Protokolls. So sei es "aus diversen Gründen nicht vertrauenswürdig, grob verzerrt" und enthielte "viele falsche Behauptungen". Auch sei niemand bedroht worden.

Zwar ist das Gedächtnisprotokoll anonym, aber gemäß übereinstimmender Stimmen aus dem Vereinsumfeld inhaltlich richtig. heise online liegt die schriftliche Bestätigung einer anwesenden Person vor, die den Ablauf und die getätigten Äußerungen untermauert. Der Verein selbst stand kurzfristig nicht für eine Stellungnahme zur Verfügung. Eine Sprecherin hat gegenüber der "Neuen Westfälischen" betont, es handele sich um ein "nicht-offizielles Gedächtnisprotokoll", das "andere Perspektiven völlig außer Acht lässt". Die darin geschilderten Vorgänge stellt das nicht infrage.

Einig sind sich alle Beteiligten, dass die inhaltliche Arbeit des Vereins wichtig sei und man sich daher zusammenraufen müsse. Der Verein selber sowie das Beinahe-Vorstandsmitglied betonten, dass man gemeinsam auf dem 37C3 für Digitalcourage gearbeitet habe. Zudem habe der Verein einen Mediationsprozess angestoßen, um in einem geschützten Raum die vorhandenen Konflikte aufzuarbeiten.

Der Verein Digitalcourage e.V., älteren Netzbürgern noch unter seinem ursprünglichen Namen FoeBuD bekannt, gehört zu den Urgesteinen des deutschen Netzaktivismus. 1987 in Bielefeld gegründet, hat Digitalcourage von Mailboxen bis zum Fediverse alle Netz-Entwicklungen in Deutschland kritisch begleitet. Bundesweite Bekanntheit genießt Digitalcourage auch wegen der jährlich verliehenen Negativpreise "Big Brother Awards", mit denen der Verein Unternehmen und Institutionen für besonders eklatante Verstöße gegen den Datenschutz bedenkt. Im vergangenen Jahr haben unter anderem das Bundesfinanzministerium und die Videoplattform Zoom "gewonnen".

(cku)