Zahlen, bitte! Patent 22244: Wie die Autotypie den Holzschnittdruck verdrängte

Autotypie machte es möglich, detaillierte Fotos in Zeitungen und Büchern zu reproduzieren. Sie blieb bis zum Aufkommen des Digitaldrucks maßgeblich.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Am 9. Mai 1882 erhielt der Kupferstecher und Graphiker Georg Meisenbach ein Patent auf das von ihm Autotypie (griechisch: Selbstschrift) genannte Verfahren, welches die Drucktechnik von Fotos und Illustrationen entscheidend verbesserte und bis zur digitalen Revolution hinein für Bilddarstellungen in Druckwerken maßgeblich war.

Bei diesem Druckverfahren für den Hochdruck wird ein Rasternegativ auf eine mit lichtempfindlicher Schicht überzogene Metallplatte kopiert und dann geätzt. Zusammen mit dem Architekten Joseph von Schmaedel gründete Meisenbach die Autotype Company in München. Von Schmaedel steuerte zu Meisenbachs Erfindung eine Liniermaschine bei, die mit Prazisionsdiamanten die Rasterlinien ritzte.

Georg Meisenbach (* 27. Mai 1841 in Nürnberg; † 24. September 1912 in Emmering) in einer Darstellung um 1905. Er gilt als Erfinder von Glasgravurraster sowie Autotypie.

Die Halbtonvorlage mit Autotype ersetzte mit großer Geschwindigkeit die Praxis, Fotos durch Holzdrucke umzusetzen. Was Georg Meisenbach mit zahlreichen Experimenten erreichen wollte, war ebenfalls vom Geiste geprägt, die Handarbeit zu reduzieren. Denn die junge Fotografie erzeugte zwar bereits gut auflösende Negative und Abzüge von diesen, es gab aber keine Möglichkeit, sie automatisiert in die Buch- und Zeitungsproduktion zu übernehmen.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Der Zwischenschritt beschäftigte einen Holzdruckmeister und brauchte Zeit. Die 1882 mit als DRP 22244 patentierte Rasterätzung von Halbtonvorlagen mit 36, später 43 Linien pro Zentimeter ersetzte diesen Zwischenschritt.

Als erste Illustration mit dem meisenbachschen Verfahren gilt die Abbildung einer Statuette in der Leipziger "Illustrirten Zeitung" vom 10. März 1883, die Ehrengabe an das 2. bairische Infanterieregiment Kronprinz. Dafür war von Schmaedel verantwortlich, der im Deutsch-Französischen Krieg als bairischer Offizier des Regiments verwundet worden war. Auch anderswo stand das Militär im Vordergrund: In England erforschte Henry Fox Talbot die Halbtontechnik, auf die sich Georg Meisenbach stützte.

Dort beziehungsweise in der kanadischen Provinz erschien der britische Statthalter Prinz Arthur am 30. Oktober 1869 auf dem Titelblatt einer Zeitung in einer Technik, die sich Leggotype nannte. Die damals amtierende Queen Victoria soll sich aufgeregt haben, dass sie als Oberhaupt des Commonwealth nicht im Bilde war.

Ottomar Anschütz: Photographische Momentbilder vom Kaisermanöver bei Homburg

(Bild: Illustrirte Zeitung (Leipzig), 15. März 1884, Nr. 2124, S. 225)

Für die weitere Verbreitung der Fotografie in der Berichterstattung der Presse waren zwei Fotografen verantwortlich: In Deutschland Ottomar Anschütz mit seinen Bildern mit "Blitz-Belichtungen"von militärischen Übungen, in denen er mit kurzen Belichtungszeiten experimentierte, in Österreich David Ludwig, ein Offizier, der wie Anschütz selbst Kameras konstruierte. In beiden Fällen war das Militär an den Aufnahmen sehr interessiert, aber auch die Wissenschaft: 1884 publizierte der Prager Philosoph und Physik-Professor Ernst Mach in der österreichischen "Photographischen Correspondenz" das Bild einer Flintenkugel im Flug.

Das hatte wenig später Folgen. Denn Mach gelang es 1888 mithilfe der Schlieren-Fotografie von August Toepler der entscheidende Nachweis, dass sich vor der Kugel ein Verdichtungskegel und hinter ihr ein Schwanzkegel bildet. Damit begann die Erforschung der Gasdynamik und die Messung der Geschwindigkeit auf Basis der Schallgeschwindigkeit. Aus der "Photographischen Correspondenz" entwickelte sich unterdessen die erste Lehranstalt für die Drucktechnik von Meisenbach, die 1888 gegründete staatliche "K.K. Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproduktionsverfahren".

Der Schlieren-Effekt wird noch heute bei der NASA verwendet – hier ein Foto eines Düsenflugzeugs bei Überschallversuchen.

(Bild: NASA)

Die fotografische Rastertechnik hatte noch einen anderen, bemerkenswerten Anwender. In Großbritannien teilte der Eugeniker Francis Galton ab 1878 für Gesichtsaufnahmen das Abbildungsfeld vor einer Kamera vor einer Aufnahme in ein kleinteiliges Raster auf, damit die Köpfe exakt positioniert werden konnten. Dann ließ er verurteilte Menschen fotografieren und verfuhr streng proportional: Wenn acht verurteilte Mörder fotografiert werden sollten und die Bildplatte achtzig Sekunden Belichtungszeit zuließ, wurde jede Person streng nach den Rasterlinien ausgerichtet und jeweils 10 Sekunden abgelichtet. Die übereinander gelegten Fotos aller Beteiligten sollten den Mördertyp ermitteln, das "Ähnlichkeit mit allen, aber keinem keinen davon ähnlicher als einem haben sollte", beschreiben Lorraine Daston und Peter Galiston in ihrem Buch "Objektivität" diese Geburtsstunde der Biometrie und der Gesichtserkennung. Am Ende dieses Verfahrens stand freilich ein Holzschnittmeister, der das zusammenfotografierte Ergebnis noch einmal "wissenschaftlich" zusammenfassen sollte. Die so erzeugten Bildertypen von Verbrechern erwiesen sich im Polizeialltag als völlig unbrauchbar bei der Entdeckung von "typischen Mördern".

Brauchbar erwies sich indes die Autotypie für eine Erklärung, wie das menschliche Auge funktioniert. In dem einflussreichen Werk "Das Leben des Menschen" vom Gynäkologen Fritz Kahn zeichnete der Illustrator Roman Rechn 1923, wie das Raster im Augenhintergrund der Netzhaut genau wie eine Autotypie (PDF-Datei, Seite 10) funktioniert. Als sich Computer an die Rastertechnik machten und Bilder digitalisiert wurden, gab es lustige Ergebnisse. Mit großem Aufwand (angeblich wurden dabei mehrere Calcomp-Plotter verschlissen) digitalisierte Philip Paterson im Jahre 1964 die Mona Lisa von "Len de Vinci" basierend auf der Zeilen/Halbtontechnik an einem Superrechner von CDC und nannte es Digital Mona Lisa.

Daraus machten sich dann die Hacker am MIT einen Spaß und produzierten ASCII-Art auf einer PDP-8 mit dem Titel "Lizzy of the Lineprinter (S. 14). Mit dem Aufkommen von Lichtsatz und später DTP und Digitaldruck verschwand neben Bleisetzkästen auch die Autotypie weitgehend aus dem täglichen Druckgeschehen.

(mawi)