Zahlen, bitte! VisiCalc – Tabellenkalkulation in 32 KByte

Vor 40 Jahren demonstrierte Dan Bricklin den Vorläufer der Tabellenkalkulation VisiCalc, eine der ersten "Killer-Anwendungen" für Microcomputer.

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32 KByte für VisiCalc
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Detlef Borchers
  • Volker Zota

Wer sich mit Zahlen und Berechnungen herumschlagen muss, kennt die Rechenblätter der Tabellenkalkulationen. Vor 40 Jahren zeigte ein junger Programmierer namens Dan Bricklin auf der West Coast Computer Fair am 12. Mai 1979, was man alles mit den rechnenden Reihen und Spalten an einem kleinen Rechner wie dem Apple II machen kann. Die elektronischen Kontenblätter, für die er verschiedene Szenarien demonstrierte, kamen bei den Besuchern außerordentlich gut an. Als im Oktober 1979 die neue Software unter dem Namen VisiCalc (für Visible Calculator) in den Handel kam, kauften viele nur deshalb einen Apple-Rechner, um mit VisiCalc arbeiten zu können. So wurde der Mythos der Killer-Anwendung geboren.

Dan Bricklin demonstriert seine Tabellenkalkulation auf der West Coast Computer Faire 1979.

(Bild: Dan Bricklin)

Ursprünglich wollte Dan Bricklin mit seinem Partner Bob Frankston seine Rechenblätter für DECs PDP-Rechner entwickeln, doch Dan Fylstra überzeugte ihn, den Apple II zu nehmen. Er gab den beiden seinen eigenen Apple-Rechner, den er direkt von Steve Jobs gekauft hatte. Bricklin zeichnete zunächst ein Übersichtsdiagramm und schrieb dann ein Basic-Programm als Demonstrator. Später wurde VisiCalc in Assembler für den 6502-Microprocessor entwickelt, der im Apple II steckte. Ursprünglich sollte VisiCalc in 16 KByte passen, um auch auf günstigen Computern zu laufen, doch die 10.000 Programmzeilen von VisiCalc sprengten sogar fast das Limit der 32 KByte, über die der Apple II verfügte.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Frankston und Bricklin gründeten eine Firma namens "Software Arts" für die Entwicklung, während Fylstras Firma "Personal Software" als Verleger den Vertrieb übernehmen sollte. Dieses damals gebräuchliche Vertriebsmodell trug dem Umstand Rechnung, dass die ersten Mikrocomputer sehr erklärungsbedürftig waren und Computerhändler so etwas wie den First Level Support mitlieferten. Fylstra verkaufte VisiCalc für 120 Dollar an die Händler, die ihrerseits einen Ladenpreis von 200 Dollar verlangen konnten. 37,5 Prozent vom Händlerverkaufspreis gingen an die Entwickler von Software Arts. Vom Start im Oktober an konnte Personal Software rund 500 Kopien pro Monat verkaufen und steigerte den Output bis zum Ende des Jahres 1980 auf 12.000 Kopien im Monat. Bis Ende 1983 konnte man 700.000 Kopien verkaufen, nicht nur für Apple, sondern auch für Tandy- und Atari-Rechner und schließlich für den IBM-PC. Software Arts hatte 130 Mitarbeiter und einen Umsatz von 12 Millionen US-Dollar, Personal Software 235 Mitarbeiter und einen Umsatz von 60 Millionen Dollar.

Doch bald begann der Abstieg: Personal Software nannte sich in VisiCorp um und man plante, unter dem Visi-Markenzeichen eine ganze Reihe von Programmen zu vermarkten, etwas VisiPlan und VisiWriter. Das wollte Software Arts nicht zulassen. Hinzu kam, das man sich ordentlich verzettelte: Software Arts entwickelte die nächste Version von Visicalc für den floppenden Computer Apple Lisa und ignorierte den Markt der CP/M-Rechner von Intel, der von der Firma Sorcim mit Supercalc erobert wurde. Folgenreich auch der Absprung von Mitch Kapor bei Personal Software/VisiCorp. Kapor gründete mit Unterstützung von Venture-Kapitalisten und den technischen Verbesserungstipps von Bricklin und Frankston die Firma Lotus, die bald mit 1-2-3 den PC-Markt dominierte. Kapor bekam von seinen Geldgebern 4 Millionen Dollar, von denen er über die Hälfte in die Werbung steckte.

VisiCalc verwandelte den Microcomputer in ein Arbeitsmittel. Doch das taten seinerzeit viele Programme, die heute in Museen bestaunt werden können. Bleibt die Frage nach der Killer-Anwendung. Nach dem Oxford English Dictionary wurde VisiCalc dieser Ehrentitel im Jahre 1987 durch die Zeitschrift PC-Week verliehen. Der Technikhistoriker Martin Campbell-Kelly sieht das in seiner Geschichte der Software-Industrie allerdings anders: "Obwohl VisiCalc unzweifelhaft einen der Vorteile ausmachte, die Personal Computer boten, war es kein entscheidendes Programm. Ab einem gewissen Punkt hätte das Gewicht der anderen Anwendungsprogramme (etwa Textverarbeitung und persönliche Datenbanken), kombiniert mit fallenden Hardware-Preisen den Personal Computer mit dem Business-Nutzer zusammengebracht. Es ist freilich möglich, dass VisiCalc diesen Prozess um einige Monate beschleunigte."

Erwähnt sei darum ein Ritterschlag der anderen Art. Als im Zuge der "Reaganomics" mit dem Tax Reform Act von 1986 umfangreiche Steuersenkungen von US-Präsident Ronald Reagan durchgesetzt werden sollten, kommentierte dies das Wall Street Journal Ende 1985: "Wir glauben, das nun überall Menschen dabei sind, VisiCalc Spreadsheets mit Zahlen zu füllen, um zu sehen, was sie mit den Vorschlägen des Präsidenten erwartet." Die fehlende Erklärung verdeutlich, dass VisiCalc offenbar ein Allerweltsbegriff geworden war – jedenfalls für Leser des Wall Street Journals.

Eine kleine Beschleunigung sei dem geneigten Leser von "Zahlen, bitte" zugemutet: Im Jahr 2017 sollte Dan Bricklin im Rahmen eines TEDx-Talks über VisiCalc sprechen. Dort war Bricklin gezwungen, seine Geschichte in – für ihn unüblich kurzen – 12 Minuten zu erzählen. Nach einigen Schwierigkeiten, über die Bricklin hier berichtet, ist die von ihm gefundene Kurzfassung der beste Weg, die die Idee hinter VisiCalc kennenzulernen. (vza)