Datenschutzexperten für mehr Anonymität im Web

Der Kasseler Juraprofessor Alexander Roßnagel hat sich für eine Aufgabenteilung zwischen Staat und Internet-Usern beim Datenschutz ausgesprochen.

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Von
  • Monika Ermert

Gegen eine reine Herrschaft der Experten im Web hat sich der Juraprofessor Alexander Roßnagel von der Universität Kassel ausgesprochen. Viel zu unbekümmert diskutierten Techniker und Industrievertreter Dinge wie Datawarehousing und Datamining, die dem bestehenden Datenschutzrecht zuwiderlaufen. Schon mit rechtsverträglichen Default-Einstellungen wäre viel gewonnen, sagte Roßnagel auf einer Tagung des Europäischen Instituts für Medienrecht, der baden-württembergischen Landeszentrale für Politische Bildung und der Alcatel SEL Stiftung in Stuttgart. Auf der Veranstaltung diskutierten Fachleute mögliche technische Lösungen für juristische Probleme, die das Urheberrecht sowie der Jugend- und Datenschutz aufwerfen.

Möglicherweise, so Roßnagel, bleibe dem Staat allerdings nichts anderes übrig, als im Cyberspace einen Teil der Verantwortung an die User selbst abzugeben. Das Recht werde jedenfalls in einer technikgeprägten Welt völlig folgenlos bleiben, wenn es sich nicht um die frühzeitige Gestaltung und Regulierung von Technik bemühe. Er könne sich beispielsweise Einrichtungen wie die Reaktorsicherheitskommission, in der technische Fachleute ehrenamtlich der Politik zuarbeiten, auch im Bereich von Telekommunikation und Internet vorstellen.

"Ich habe meine Probleme damit, wenn schon vor einer Technikentwicklung die rechtlichen Regelungen festgelegt werden sollen," sagte demgegenüber Joachim Claus, zuständig fürs Innovationsmanagement der Deutschen Telekom. Bei der Entwicklung des Autos habe schließlich auch niemand an einen Führerschein oder Abgasprüfungen gedacht, erst heute sei das selbstverständlich. "Lassen Sie die Basistechnologien doch erst einmal kommen", forderte auch der Dresdner Informatikprofessor Andreas Pfitzmann. Statt auf Kommissionen, Regulierung und starke Marktkräfte zu setzen, sollte man darauf vertrauen, dass Entwickler sehr wohl bemüht seien, Ideale wie Fairness in ihren technischen Lösungen zu realisieren. Genau so sei schließlich das ganze Internet entstanden, das aus jedem Teilnehmer Sender und Empfänger zugleich gemacht hat.

Ganz auf die Ideale der Techniker und die Allianz zwischen Medienrecht und Informationstechnik wollte der Berliner Medienanstaltsdirektor Hans Hege jedoch nicht vertrauen. Wenn die politische Diskussion über technische und wirtschaftliche Entwicklungen im Telekommunikations- und Medienbereich ganz aufgegeben werde, müsse dies überhaupt nicht im Interesse der Endnutzer sein. Hege warnte so etwa vor den Konsequenzen der teuren UMTS-Lizenzverkäufe und dem Ausverkauf der für breitbandige Dienste prädestinierten bundesdeutschen Kabelnetze. "Es gibt", so beklagte Hege, "keine Kommunikationspolitik mehr."

Immerhin in einem Bereich haben sich "Techies" und "Bedenkenträger" schon besser zusammengerauft: beim Datenschutz. Der niedersächsische Datenschutzbeautragte Burckhard Nedden sagte, Datenschutz werde künftig nicht mehr ausschließlich normativ, sondern vielmehr durch die Nutzung technischer Möglichkeiten funktionieren. Mögliche Konzepte stellte Marit Köhntopp vor, Informatikerin im Unabhängigen Datenschutzzentrum in Kiel. Die Schleswig-Holsteiner bieten schon jetzt mehrere Möglicheiten für Nutzer, sich mit besseren Schutzmöglichkeiten für ihre Daten vertraut zu machen, etwa im virtuellen Datenschutzbüro und über den Anonymisierungsdienst An.ON (Anonymisierung Online, www.datenschutzzentrum.de/anon/). Neben der Förderung datenschutzgerechter Verfahren und Unternehmen durch Gütesiegel planen die Schleswig-Holsteiner als nächstes auch, selbst standardisierte Datenschutzlösungen für Unternehmen zu entwickeln. Gerade weil Investitionen in den Datenschutz teuer sind, sollen mit dem Projekt Datenschutz Service "schlüsselfertige" Lösungen für kleine und mittlere Unternehmen hergestellt werden. 2002 wolle man diese Lösungen anbieten, so Köhntopp.

Den einzelnen Nutzer soll künftig nach der Vorstellung von Köhntopp ein umfassendes "Identitätsmanagement" sichern, in dem die Verwaltung unterschiedlicher Pseudonyme für verschiedene Aktivitäten im Netz bedienerfreundlich möglich wird. Wer nur mal schnell zum Zeitschriftenhändler um die Ecke surft, soll das dann komplett anonym können. Wer will, kann sich für eine Transaktion mit voller Identität samt digitaler Signatur ausweisen. Dazwischen gibt es viele Stufen von Pseudonymität. Auch für den Einkauf beim Online-Händler, von dem man nicht will, dass er ein persönlich zuordbares Profil über die Nutzervorlieben anlegt, können Pseudonymisierungsverfahren oder Bezahldienste verwendet werden. "Sicherheitsgurte oder Airbags sollen künftig nicht mehr nur ein Mehrwert für Luxus-User sein, sondern allen Nutzern zur Verfügung stehen", so Köhntopp.

Gerade für den technischen Datenschutz, der Eingang auch ins neue Datenschutzgesetz finden wird, gilt laut Nedden allerdings auch, dass damit der Staat sich darauf beschränkt, dem Nutzer die Möglichkeiten zum Selbstschutz in die Hand zu geben. Wer sich selbst nicht schützt, verzichtet auf sein Recht. (Monika Ermert) (em)