Strafverfolger zeigen sich kompromissbereit bei der Netzüberwachung

Bei der Anhörung zur TK-Überwachung im Bundestag rückte die Bundesanwaltschaft ein Stück weit ab von ihren Abhörplänen.

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Von
  • Florian Rötzer

Die öffentliche Anhörung zum Thema Telekommunikationsüberwachung und Cybercrime im Unterausschuss für Neue Medien des Bundestags am heutigen Donnerstag geriet zu einem regelrechten "Verhör" der als Sachverständige geladenen Vertreter der Bundesanwaltschaft und des Bundesinnenministeriums. Die restlichen Experten – Abgesandte der Providerwirtschaft, des Chaos Computer Clubs, des Deutschen Industrie und Handelskammertags sowie Datenschützer – nahmen die Repräsentanten der Judikative und der Exekutive in die Mangel, während die Abgeordneten selbst nach einer Weile kaum noch in die Diskussion eingriffen.

Präsentiert wurden den Vertretern des Bundes teure Kostenvoranschläge für die Netzüberwachung genauso wie Konzepte rund um die Sicherheit im Internet. So legte Tobias Gramm, der Justiziar bei UUNet, nicht nur erneut in aller Deutlichkeit dar, dass die Umsetzung der geplanten Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) bei dem Provider mit 60 Millionen Mark allein für die Anschaffung der erforderlichen Geräte zu Buche schlage (s.a.: Rot-Grün will Telekommunikation lückenlos überwachen). Gramm erläuterte auch ausführlich, dass schon bei Nutzern, die sich über Internet-by-Call ins Netz einwählen, eine Überwachung überaus kompliziert und verfassungsmäßig bedenklich sei. Als Kennung stünden nur die beim Login anfallenden Informationen zur Verfügung, die sich nur mit erheblichen Aufwand und zeitlichen Verzögerungen sowohl beim Start wie beim Ende des Abhörens mit der dynamisch vergebenen IP-Adresse verbinden ließen. Bei dem Prozedere würde für einige Minuten auch der nächste Nutzer belauscht, dem die IP-Adresse nach der überwachten Person zugeteilt wird.

Wie die Mehrheit der versammelten Sachverständigen stellte Gramm dar, dass dem kostspieligen Mehraufwand für die Überwachung letztlich kein Plus an Erkenntnissen für die Strafverfolger gegenübersteht. Schützenhilfe erhielt der Rechtsexperte vom Dresdener Informatikprofessor Andreas Pfitzmann. Der Kryptoforscher führte aus, dass angesichts überall verfügbarer Verschlüsselungsprogramme und anderer "Techniken zum persönlichen Datenschutz" die Strafverfolger das Nachsehen haben. "Alle Überwachungsbefugnisse laufen völlig ins Leere gegenüber allen Leuten", so Pfitzmann, "die sich schützen wollen."

Andreas Bogk vom Chaos Computer Club warnte davor, dass mit der TKÜV "ein Instrumentarium zur Überwachung geschaffen wird, wo die Stasi feuchte Finger bekommen hätte". Die zu treffenden Abhörvorkehrungen können seiner Meinung nach "mit relativ geringem Aufwand benutzt werden, um ein totalitäres Regime aufzubauen." Gleichzeitig entstehe „nicht der geringste Nutzen für die Bevölkerung". Die Rechtsexpertin des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHKT), Ina Pernice, forderte ganz in diesem Sinne die Bundesregierung dazu auf, "folgenschwere Fehlentscheidungen vermeiden", den Entwurf für die TKÜV zurückzuziehen und die Gesetzesgrundlagen für den großen Lauschangriff auf die User zu überprüfen und gegebenenfalls zu novellieren.

Jürgen-Peter Graf von der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe versuchte die auf ihn einprasselnden Argumente zunächst zu entkräften. Die TKÜV schafft seiner Ansicht nach keinen Bereich, in dem "Milch und Honig" für Verfolger, Ermittler und Schlapphüte fließen. Die Aufwendungen für die Installation der Abhörschnittstellen seien gerechtfertigt, da von den Möglichkeiten der Verschlüsselung so gut wie nicht Gebrauch gemacht werde. Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass eine durchgehende "Sicherung" der Telekommunikation gegen Überwachungsmaßnahmen nicht stattfinde.

Doch was noch nicht ist, wird noch werden, prophezeite Pfitzmann. Kryptographie sei heute zwar tatsächlich noch kein "Massenphänomen". Noch müsse man für die Verschlüsselung der Netzkommunikation eben einen "extra Knopf" drücken. Doch der Informatiker ist sich ganz sicher, dass diese Mechanismen in den gängigen Softwareprogrammen in naher Zukunft kurzfristig umgestellt werden und Verschlüsselung mit einem Mal für die Mehrheit der Anwender zum Normalfall wird.

Die aufgeworfenen Fragen der Verhältnismäßigkeit gaben Graf kurz vor dem Ende der dreistündigen Anhörung schließlich denn doch "zu denken". Vor allem die Kostenschätzungen von UUNet beeindruckten den Staatsanwalt. Er habe noch nie konkrete Zahlen von den Providern gehört, entschuldigte sich Graf geradezu. UUNet hatte die Kostenrechnung allerdings bereits Mitte Juni beim Spitzengespräch zur "Partnerschaft sichere Internet-Wirtschaft" des Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin vorgelegt (Wirtschaftsminister lenkt im Streit um Abhörpläne ein). Die Zahlen waren damals auch in der Tagespresse mehrfach zitiert worden.

Graf kündigte angesichts der Schätzungen nun an, dass man "in der Tat über Modifizierungen der Technik reden" müsste. Als Kompromissvorschlag brachte er "mobile Anlagen" zur Netzüberwachung ins Spiel, die nur bei Bedarf an einzelnen Einwahlpunkten ins Netz installiert werden. (Stefan Krempl)

Dazu siehe auch in Telepolis: Netzüberwachung: Im Zweifel besser sein lassen. Interview mit Jörg Tauss, dem Vorsitzenden des Unterausschusses für Neue Medien und dem Netzexperten der SPD, anlässlich der Anhörung zum Thema Cybercrime. (fr)