Gericht: Netzbetreiber sind mitverantwortlich an betrügerischer 0190-Werbung

Das Kammergericht Berlin hat die schriftliche Begründung zu einem wohl weit reichenden Urteil vorgelegt.

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Von
  • Holger Bleich

Das Kammergericht Berlin hat die schriftliche Begründung zu einem wohl weit reichenden Urteil vorgelegt. Der Berliner Telefonnetz-Anbieter Berlikomm hatte die Mutter eines 16-jährigen Jugendlichen verklagt, weil diese einen Posten auf der Telefonrechnung von 16.992 Mark (8688 Euro) nicht bezahlen wollte, der durch Einwahlen eines 0190-Dialers verursacht worden war. Der Zivilsenat des Kammergerichts hob in diesem Fall das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Berlin vom Juli 2001 in der Berufungsverhandlung (Az 26.U.205/01) auf.

Der damals 16-jährige Sohn hatte ohne Wissen der Mutter einen Dialer auf seinem per ISDN an Internet angeschlossenen PC installiert. Auf einer Website wurde ihm suggeriert, dass der Dialer eine Hochgeschwindigkeitszugang und eine schnellere Bildübertragung ermögliche, womit nach Ansicht des Gerichts eine fehlerhafte Bewerbung vorliegt. Nach der ersten Einwahl hatte der Junge mit der Deinstallations-Routine das Programm scheinbar wieder entfernt. Weil sich der Dialer aber außerdem als Standard-Verbindung ins DFÜ-Netzwerk von Windows installierte, surfte der Junge weiterhin unwissentlich über die teure 01908-Nummer. Hier lag laut Gericht eine "Manipulation am Betriebssystem" vor.

Berlikomm hatte für diese Verbindungen eine summierte Zahlung von 15.770.92 Mark (8063.54 Euro) von der Anschlussinhaberin gefordert. Tatsächlich muss die Mutter aber nun nur 173,77 Mark (88,85 Euro) bezahlen. Das entspricht der Summe, die auch angefallen wäre, wenn der Sohn den eigentlich voreingestellten Standard-Tarif für einen Internet-Zugang von Berlikomm genutzt hätte.

Berlikomm hatte sich in der Klage darauf berufen, lediglich das Inkasso für die Dienstleistung zu tätigen. Als Beleg reichte das Unternehmen seinen mit der Deutschen Telekom abgeschlossenen Interconnection-Vertrag ein, aus dem hervorgehe, dass Berlikomm für das weitergereichte Produkt bereits in Vorleistung gegangen sei. Sie sei vertraglich verpflichtet gewesen, die streitgegenständlichen Entgelte an die Telekom abzuführen.

Dieser Argumentation mochte das Gericht nicht folgen. Durch die gewählte Vertragsstruktur habe der Berliner Netzbetreiber "grundsätzlich das Risiko in Kauf genommen", sich Einwendungen seiner Anschlussinhaber auszusetzen. Schon im Jahre 1999 sei bekannt gewesen, "dass auch unseriöse Anbieter in nicht unerheblichem Umfang das System der Mehrwertdienste nutzen, um Gewinne ohne entsprechende Gegenleistung zu erzielen". Im vorliegenden Fall käme hinzu, dass der Diensteanbieter lediglich eine spanische Postfach-Adresse angegeben habe: "Ein erfolgreicher Rückgriff gegen den Mehrwertdiensteanbieter durch den Anschlusskunden wird hierdurch letztlich ausgeschlossen, da noch nicht einmal eine ladungsfähige Anschrift bekannt ist", begründete das Gericht sein Urteil.

Signalwirkung dürfte dem Urteil insbesondere zukommen, weil das Gericht dem Netzbetreiber ein "besonderes wirtschaftliches Interesse an der Anwahl von Mehrwertdiensten durch die jeweiligen Anschlussinhaber" attestiert. Immerhin verdiene er an jeder Anwahl mit, argumentierte das Gericht. Daher müsse sich der Netzbetreiber auch eine Mitverantwortung an der Werbung für den Dienst zurechnen lassen. An dieser Stelle ist die Begründung sehr allgemein gehalten und auch auf andere Netzbetreiber übertragbar: "Die jeweiligen Teilnehmernetzbetreiber gehen davon aus, dass die erforderliche Werbung durch den Mehrwertdiensteanbieter erfolgt und nehmen diese ohne zusätzliche Kontrolle der Seriosität in Kauf." Es sei anerkannt, dass der Geschäftsherr -- also in diesem Fall der Netzbetreiber -- für das Verschulden aller derjenigen Personen einstehen muss, denen er sich bei der Vertragsanbahnung bedient, auch wenn das vorher nicht abgestimmt ist.

Das Berliner Kammergericht hat in diesem Fall eine Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen. Die Rechtsfrage habe grundsätzliche Bedeutung, da die Zahl der Internet-Dialer "in den letzten Monaten zugenommen hat und sich das Problem der Haftung von Anschlussinhabern gegenüber ihren Teilnehmernetzbetreibern in erhöhtem Umfang stellt", begründete der Senat seine Entscheidung.

Gegenüber heise online bezeichnete Berlikomm-Sprecherin Bianca Ridwelski das Urteil als "nicht hinnehmbar". Der Berliner Netzbetreiber werde auf jeden Fall vor den BGH ziehen und in den nächsten 14 Tagen einen entsprechenden Antrag einreichen. Es handele sich hier um ein brisantes Thema, über das im Sinne von allen Netzbetreibern entschieden werden müsse. Christlieb Klages, Rechtsanwalt der beklagten Mutter, frohlockte: "Dieses Urteil dürfte sogar auf andere Sachverhalte, wie etwa Fax-Werbung, anwendbar sein." Er geht davon aus, dass auch Dialer-Einwahlen, die durch Hinweise in betrügerischem E-Mail-Spam erzeugt wurden, einen ähnlichen Sachverhalt darstellen. Allerdings müsse in einem solchen Fall wohl vor Gericht individuell nachgewiesen werden, dass der Spam-Versender genau wie der Netzbetreiber an den Einnahmen mit dem Dialer profitiert. (hob)