Abmahnungen gegen Online-Archive

Promi-Anwalt Matthias Prinz und seine Kollegen haben verstärkt Verlagsarchive im Visier, was bereits zu ersten Abschaltungen geführt hat.

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Auf Medien- und Persönlichkeitsrecht spezialisierte Juristen wie der Hamburger Promi-Anwalt Matthias Prinz haben nach spektakulären Prozessen gegen Klatschmagazine jetzt das Internet als Betätigungsfeld entdeckt. Grund für ihr Einschreiten: Zahlreiche Zeitungen oder Newsticker lagern in ihren offen zugänglichen Online-Archiven Texte, gegen die sich Prominente oder Unternehmen im Printbereich erfolgreich mit Hilfe ihrer Rechtserstreiter gewehrt haben. Viele Verlage unterschreiben bislang relativ rasch Unterlassungserklärungen der Anwälte, um sich Gerichtsauseinandersetzungen zu ersparen und die Fälle zu den Akten zu legen. Dass die streitigen Aussagen online weiter abrufbar sind, entpuppt sich nun als Zeitbombe.

Der Ullstein-Verlag, eine hundertprozentige Tochter des Axel Springer Konzerns, hat bereits die Notbremse gezogen: Die gesamten Archivfunktionen seiner Zeitungen Berliner Morgenpost und B.Z. sind seit über einer Woche außer Betrieb. "Leider steht Ihnen das gewünschte Angebot zurzeit nicht zur Verfügung", wird der Surfer beim Versuch, auf "Altbestände" zurückzugreifen, begrüßt. Die Suchfunktionen sind blockiert. Offiziell spricht der Verlag von "notwendigen technischen Veränderungen". Doch in den Online-Redaktionen der Blätter lassen die Mitarbeiter keinen Zweifel daran, dass das Abschalten der Webdatenbanken Prinz und anderen eifrigen Rechtsanwälten geschuldet ist. Wie lange es dauert, bis die Gesamtbestände von allen Texten befreit sind, für die Unterlassungserklärungen abgesegnet wurden, wagt dort momentan keiner zu prognostizieren.

Betroffen sind neben Springer zahlreiche andere Groß- und Kleinverlage sowie Presseagenturen. In der Online-Redaktion des Berliner Tagesspiegels etwa, bei dem bis zu drei Abmahnungen pro Woche eingehen, ist ebenfalls Fleißarbeit angesagt. Wie bei den Ullstein-Zeitungen gab es auch hier jüngst Probleme mit der Erreichbarkeit des Online-Archivs, das inzwischen aber wieder funktioniert. Eine ganze Kettenreaktion löste jüngst gar eine Meldung der Wirtschaftswoche mit Mutmaßungen über die Gründe der Trennung des Axa-Konzerns von seinem Finanzvorstand aus: Die primär betroffene Verlagsgruppe Handelsblatt nahm den Artikel zwar rasch wieder aus dem Netz und unterzeichnete eine Unterlassungserklärung. Doch andere Redaktionen wie von Spiegel Online oder dem Nachrichtendienst VWD hatten die Meldung bereits übernommen und erhielten prompt blaue Briefe aus der Kanzlei Prinz.

Das Durchsetzen von "Unterlassungstiteln" im Online-Bereich gehört inzwischen zum Alltagsjob des streithaften Hamburger Anwalts, wie sein Sozius Dirk Dünnwald gegenüber heise online bestätigte. Die Mandanten der Kanzlei, zu denen neben Schönheiten wie Claudia Schiffer oder Adlige wie der Welfe Ernst August von Hannover auch Unternehmen zählen, würden verstärkt Internet-Ausgaben von Printmedien nutzen und dabei so manches Unpassendes entdecken. Kollektive Abmahnwellen gegen Online-Publikationen solle es aber nicht geben, erklärte Dünnwald. Generell seien Webarchive "super" und würden auch im Hause Prinz eifrig genutzt. Aber die Verlage müssten sie "im Griff haben".

Online-Redaktionen dürften so noch einige schlaflose Nächte bevorstehen. Datenbanken wie das von der Verlagsgruppe Handelsblatt betriebene Pressearchiv Genios hat Prinz bislang nicht auf seiner Liste, sodass sich noch weitere reiche Betätigungsfelder in diesem Bereich bieten. Vielleicht verzichten Verlage auch ganz darauf, ihre Archive online öffentlich zur Verfügung zu stellen, um Löschorgien aus dem Weg zu gehen. Dass das Web einmal als "Wissensarchiv" gedacht war, könnte dabei schnell vergessen werden. Das erfuhren kürzlich auch rund 15 Prozent der Nutzer der E-Mail-Community Domeus: Ihnen flatterte die Nachricht in die Inbox, dass ihre Mailinglisten in Bälde wegen "Inaktivität" gelöscht würden. Andererseits könnte sich durch die Anwaltsinitiative aber die Recherchequalität bei Nachrichtenagenturen verbessern: So gibt es bei VWD inzwischen die Auflage, bei Meldungen mit persönlichen Anschuldigungen nicht mehr einfach nur eine andere Medienquelle zu zitieren. (Stefan Krempl) / (jk)