Ideen für eine Weltinformationsgesellschaft

Der Gipfel für die Weltinformationsgesellschaft müsse gegen den "Extremismus" des überzogenen Schutzes von Urheberrechten vorgehen -- andere Stimmen sahen eher das Problem der Wissensgesellschaft-Finanzierung für sich entwickelnde Länder.

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Von
  • Monika Ermert

Der Gipfel für die Weltinformationsgesellschaft (WSIS) muss gegen den "Extremismus" des überzogenen Schutzes von Urheberrechten im Internet vorgehen. Das forderte Stanford-Jurist und Netzrecht-Guru Lawrence Lessig in einer Rede während der zweiten Vorbereitungstagung des WSIS in Genf. Lessig beschwor als Teilnehmer einer "Diskussionsrunde der Visionäre" die Delegierten, den Gipfel zu nutzen, um den Wert von freier Information für die Gesellschaft und des Peer-to-Peer-Prinzips des Netzes auf die Agenda zu setzen. Noch ist nicht klar, in wieweit das Thema Rechteverwertung im Internet in einer geplanten "Charta" für die Informationsgesellschaft angegangen wird. Vertreter von Rechteindustrie und kritischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie einer Initiative der Heinrich-Böll-Stiftung haben allerdings bereits Stellungnahmen abgegeben.

"Ich stehe hier mit einer großen Schuld als Anwalt und als Amerikaner", sagte Lessig mit Blick auf die Verlängerung des Urheberrechts in den USA -- die vierte innerhalb von 40 Jahren -- und die Auswüchse des Digital Millennium Copyright Act (DMCA). In den USA, wo allzu oft vergessen werde, dass das World Wide Web in Europa, Hotmail von einem indischen Einwanderer in den USA und ICQ in Israel erfunden wurde, sei die Balance zwischen legitimer Rechteverwertung und dem freien Zugang zu Information einseitig zu Gunsten der Rechteinhaber verschoben worden.

Die aktuelle Entwicklung beurteilte Lessig pessimistisch. Um seine Vision der Informationsgesellschaft noch sehen zu können, müsse er die Augen vor den aktuellen Entwicklungen schließen. Die Möglichkeiten, die Entwickler durch die Verlagerung der Intelligenz an die Endpunkte der Netze, weg von den Besitzern der Netze und hin zu den Nutzern, geschaffen hätten, würden durch den übermäßigen Protektionismus gerade in den USA, aber auch die drohende Einführung von Softwarepatenten in Europa zerstört. Negativ beurteilte Lessig auch die zunehmende Nutzung des Netzes für Überwachung und Kontrolle, die im Klima nach dem 11. September ungezügelt voranschreite. "Das Netz kann in den kommenden Jahren zum besten Kontrollmechanismus werden."

Positivere Visionen stellten dagegen die beiden Staatsmänner in der Visionärs-Runde vor. Ion Iliescu, der amtierende Präsident von Rumänien, sagte, das Internet sei zwar "kein Allheilmittel für die Probleme der Welt." Aber auch wenn Regierungen als natürliche Partner der Zivilgesellschaft und Unternehmen auch weiterhin bestehen blieben, könnte der gleichberechtigte Zugang zu Information und Kommunikation doch für eine Verschiebung von repräsentativer Demokratie zu direkter Demokratie sorgen. Dabei müssten allerdings die zunehmende Abhängigkeit von den Netzen und die kulturelle Diversität Beachtung finden.

Abdoulaye Wade, Präsident des Senegal, würde gerne die kulturelle und sprachliche Vielfalt des afrikanischen Kontinents ebenso im Netz widerspiegeln wie westliche Inhalte. Wade grenzte sich explizit von Lessigs Pessimismus ab. "Ich denke nicht, dass die digitale Kluft so groß ist", sagte Wade. Der Zugang zu den Netzen für die Länder des Südens sei kein Technologie-Problem, wie viele mit geringem finanziellen Aufwand realisierte Projekte in afrikanischen Dörfern zeigten. Virtuelle Universitäten könnte für Bildung innerhalb der Länder des Südens sorgen und den "Brain Drain" verhindern. Letztlich gehe es vor allem um ein finanzielles Problem. Vorschläge waren ein zweckgebundener Schuldenerlass und die finanzielle Beteiligung von Internet-Providern im Stil von Rundfunkbetreibern an Stelle aufwendigen Rechtemanagements. Wade brachte auch die Tobin-Steuer auf Währungs-Spekulationsgewinne ins Gespräch.

Genau diese Themen hatten innerhalb der UNESCO anfangs den Anstoß zum WSIS gegeben. Im Verlauf des WSIS-Prozesses sind mehr und mehr Vorstellungen dazugekommen, was ein ursprünglich als "Charta der digitalen Solidarität" konzipiertes Dokument enthalten könnte. Der französische Autor und Politik-Berater Jacques Attali zum Beispiel warnte in seiner Netzvision vor dem Chaos, das ohne Klassifizierung und Hierarchisierung von Inhalten im Netz entstehe. Attali sieht die ordnende Hand demokratischer Staaten auch dabei gefragt. So etwas könnte allerdings extrem teuer werden.

Zum World Summit on the Information Society siehe auch:

(Monika Ermert) / (jk)