US-Wirtschaftsministerium sichert sich direkte DNS-Aufsicht

ICANNs Frist wurde noch einmal verlängert -- aber die Frage wer das Internet "regiert", stellt sich erneut.

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Von
  • Monika Ermert

Mehr direkte Aufsicht über das Domain Name System sichert sich das US-Wirtschaftsministerium in der Neufassung des Memorandum of Understanding (MoU) mit der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). "Das Ministerium und ICANN sind übereingekommen, die Laufzeit des MoU um ein weiteres Jahr bis 30. September 2003 zu verlängern," heißt es im Bericht der ICANN. Das Ministerium sei ehrlich enttäuscht darüber, wie schleppend ICANN seinen Aufgaben nachkomme, erklärte Nancy Victory, Assistant Secretary.

Als letzte Chance bezeichnete daher US-Jurist und ICANN-Watch-Herausgeber Michael Froomkin die nur um ein Jahr verlängerte Frist. Innerhalb dieser Zeit könnten diejenigen, die eine Aufspaltung ICANNs favorisierten, ein Bündel aus mehreren, dezentralisierten Organisationen zu schnüren. "Zentralisierung und damit ein single point of failure widerspricht der Idee des Internet", sagte Froomkin gegenüber heise online. Mehrere Kongressabgeordnete hatten in den vergangenen Monaten ICANNs Machtgelüste kritisiert und sich für eine Neuordnung ausgesprochen.

Der neue Vertragstext straft diese Überlegungen freilich erst einmal Lügen, er gibt ICANN mehr Aufgaben -- etwa im Bereich Root-Server-Sicherheit -- und Rückendeckung durch die US-Regierung beim "Regieren" der verschiedenen Selbstregulierungsorganisationen. Die US-Verwaltung sitzt künftig etwa bei ICANN-Verhandlungen mit den Root-Server-Betreibern in den USA mit am Tisch. Auch bei Vertragsverhandlungen mit den IP-Adress-Vergabestellen (Regional Internet Registries, RIRs) und den ccTLD-Managern will die USA, allerdings gemeinsam mit den in ICANNs Regierungsbeirat vertretenen Regerungen, ICANN beispringen. RIRs und ccTLDs hatten sich bislang heftig gegen einen "globalen Regulator" ICANN gewehrt.

Trotz Victorys Hinweis, dass ICANN trotz zusätzlicher Aufgaben im MoU lediglich ein technisches Koordinationsgremium bleiben solle, stellt die Frage, wer das Internet "regiert", jetzt noch einmal neu. Die Sozialwissenschaftlerin und deutsche ICANN-Kennerin Jeanette Hofmann sagte in einer ersten Reaktion, neben der ICANN attestierten Inkompetenz verrate das MoU einen Trend zu mehr Regierungseinfluss in der Netzverwaltung. "Würden die US-Behörden versuchen, ihren Einfluss auf die Rootserver einseitig weiter auszubauen, können sie sich entsprechender internationaler Gegenreaktionen sicher sein." Hofmann, selbst vor zwei Jahren Kandidatin bei der ICANN-Wahl war, glaubt inzwischen allerdings auch, dass nur starke Nichtregierungsorganisationen und Vertreter internationaler Regierungen die Interessen der Nutzer gegen kalifornische Gerichte, US-Behörden und das ICANN-Büro durchsetzen können.

Auf eine stärkere Beteiligung von NGOs in Sachen Meinungsfreiheit versus Markenrecht und Datenschutz versus kommerzieller Interessen der Domainbranche setzt auch ICANN-Direktor Andy Müller-Maguhn seine letzte Hoffnung. Nutzerwahlen oder die direkte Beteiligung der Nutzer sind jedenfalls im neuen MoU kein Thema, sagt der von europäischen Nutzern gewählte ICANN-Direktor. Seine Amtszeit läuft bei der Sitzung in Shanghai aus. Wie sich ICANN danach weiterentwickle sei derzeit sehr offen. "Die weiteren Entscheidungen über ICANNs Reform werden dann von dem sehr kleinen Rest-Direktorium getroffen, ohne Rücksicht auf benutzergewählte Direktoren." (Monika Ermert)/ (tol)