Social BPM: Fachanwender gestalten Geschäftsabläufe

Mitspracherecht

Achim Born

Jedes Unternehmen operiert auf Basis von Geschäftsprozessen. Nach neueren Erkenntnissen ist es klug, betroffene Personenkreise beim Gestalten der Abläufe zu beteiligen. Mittel zum Zweck ist das Integrieren von Techniken sozialer Netze in das Geschäftsprozessmanagement.

Der Schlüssel zu einer erfolgreichen digitalen Zukunft heißt Business Process Management (BPM): das aktive Gestalten, Steuern und Messen geschäftlicher Prozesse innerhalb einer Organisation. Das ist die Quintessenz einer Studie der Managementberatungen BearingPoint und BPM&O. „Ein intelligentes Prozessmanagement verbessert die Transparenz über die Abläufe im Unternehmen erheblich, sodass es sich an neue Herausforderungen schneller und besser anpassen kann“, betont BearingPoint-Mitarbeiter Matthias Höhne die Bedeutung für eine zunehmend digitalisierte Wirtschaft.

Agile und soziale Methoden kombiniert

Ayelt Komus hält es für einen Trugschluss zu glauben, dass beim Start eines Vorhabens alle Anforderungen vorliegen und sie sich im Prozessverlauf nicht ändern (Abb. 3).

Ayelt Komus hat Fragen zu den Chancen von Social BPM im betrieblichen Alltag beantwortet. Er ist Professor für Organisation und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Koblenz, leitet das BPM-Labor, ist Certified Scrum Master und Buchautor.

iX : Herr Komus, kennen Sie eine schlüssige Definition für Social BPM?

Komus: Social BPM ist für mich Business Process Management, das die Möglichkeiten von Social Media nutzt. Und das bezieht sich sowohl auf die Techniken als auch in noch stärkerem Maße auf die Organisationsansätze.

Müssen sich Firmen denn überhaupt damit befassen?

Jedes Unternehmen verfügt über Prozesse – unabhängig davon, ob es sie aktiv managt oder nicht. Außerdem sind Prozesse unsere Visitenkarte nach außen und Hebel für die Leistungsfähigkeit als Organisation. Nach meinem Verständnis sind Prozesse außerdem hochgradig sozial beeinflusst. Vor diesem Hintergrund ist es zunächst einmal sinnvoll, sie aktiv zu managen. Und Social-Media-Tools und -Organisationsprinzipien helfen dabei.

BPM hat in vielen Unternehmen gleichwohl nicht den besten Ruf. Es sind zwar häufig riesige akribisch erstellte Prozesslandkarten zu bestaunen. Die dort dokumentierten Abläufe haben dann allerdings nur bedingt Ähnlichkeit mit der Praxis.

Starrsinn führt zum Scheitern

Die Diskrepanz zwischen den Modellen und der tatsächlichen Realisierung ist in der Tat häufig zu beobachten. Ursachen sind erstens zu ambitionierte Aufgabenstellungen, die in einem Stück angegangen werden, und zweitens die Vorstellung, mit dem einmaligen Fertigstellen von Prozessmodellen sei die Arbeit getan. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass zum Start eines Vorhabens immer alle Anforderungen auf den Tisch kommen und sie im weiteren Verlauf keinem Wandel unterliegen. Wer trotzdem starr an einer Planung festhält und veränderte Anforderungen nicht offen diskutiert, wird scheitern. Inkrementelle, agile Ansätze steigern deshalb die Erfolgsaussichten. An diesem Punkt kommt auch wieder ein Bezug zu Social BPM ins Spiel.

Bei BPM unterscheidet man zwischen Business BPM – der fachlich orientierten Modellbeschreibung – und dem Technical BPM, der mit Blick auf die IT-Unterstützung vorgenommenen Prozessmodellierung. Zwischen beiden Welten existiert eine mehr oder minder große Verständnislücke. Schließen Social-Media-Techniken sie ein wenig?

Die Kombination agiler Methoden und sozialer Plattformen ist eine Riesenchance, die beiden BPM-Lager ins Gespräch zu bringen. Nach meiner Wahrnehmung gehen die Unternehmen das Thema allerdings stiefmütterlich an. Allem Anschein nach haben es sich beide Lager bequem gemacht und pflegen eine jeweils eigene Sicht auf Prozesse.

Widerspricht das nicht der Forderung nach einem Round Trip Engineering, bei dem Erkenntnisse aus der Prozessausführung wieder in die Analyse und Modellierung fließen?

Aus unseren Untersuchungen wissen wir, dass ein Round Trip – wenn überhaupt – nur innerhalb des technischen BPM anzutreffen ist. Dabei steht die Model-to-execute-Idee nach dem Vorbild der modellbasierten Programmentwicklung im Mittelpunkt. Die Verbindung zu den fachlichen Modellen, aber auch zu den operativ ausgeführten Prozessen ist meist nur rudimentär ausgebildet. Man trifft in Unternehmen also mindestens auf drei unterschiedliche Prozessdomänen. Zu beachten ist außerdem, dass selbst innerhalb eines Anwendungssystems Prozesse beziehungsweise deren Modelle an verschiedenen Stellen in Repositories verwaltet werden. Vom Idealbild eines Round Trip, der durchgängigen Verknüpfung sämtlicher Einzelmodelle, ist man nach wie vor weit entfernt.

Wie können Social-Media-Techniken hier helfen?

Ich propagiere die lose Kopplung zwischen einzelnen Modellebenen. In diesem Kontext spielen Social-Media-Techniken eine Schlüsselrolle, da sie unter anderem die aus dem Wissensmanagement bekannten Pointers-to-People oder Pointers-to-Communities bereitstellen. Anstelle der harten Verknüpfung der verschiedenen Ausprägungskopien der Modelle wird im Rahmen der losen Koppelung einfach nur auf eine Wiki-Seite referenziert, um beispielsweise Social-Objects-Gemeinsamkeiten hervorzuheben. Oder es werden Prozessstatus und Ansprechpartner für die Weiterentwicklungen über die bekannten Social-Media-Techniken bekanntgegeben.

Nicht unbedingt eine exklusive Erkenntnis, denn seit einem Vierteljahrhundert trabt das Prozessthema mit schöner Regelmäßigkeit wie die sprichwörtliche Sau durchs das Dorf, sobald neue IT- und Kommunikationskonzepte den Unternehmen einen besseren Marktauftritt versprechen. Schließlich soll BPM nach gängiger Definition helfen, die Effizienz und Effektivität einer Organisation durch strukturierte und automatisierte Prozesse und Workflows zu verbessern. Ein hehres Versprechen. Leider verfügt Prozessmanagement aufgrund der bisherigen Erfahrungen jedoch nicht über den besten Ruf. Eine Ursache: Häufig entwerfen Spezialisten im stillen Kämmerlein ausgefeilte Soll-Modelle, beteiligen die von der Ausführung betroffenen Kollegen aber nur unzureichend. Hinzu kommt, dass Prozesse aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten sind und die vollständige „Übersetzung“ des fachlichen Modells in technische Abläufe nur bedingt gelingen kann. Fehlen noch Feedback-Schleifen mit den Betroffenen, ist das Auseinanderdriften der mitunter auf wandgroße Poster gemalten Wunschvorstellung und der Realität unausweichlich (siehe Kasten „Agile und soziale Methoden kombiniert“).