iX 5/2017
S. 3
Editorial
Mai 2017
Moritz Förster

Ein Leben in der Box

Geht es nach IBM und Google, steht der PC im Büro, wie wir ihn kennen, vor seiner Ablösung. Und zwar nicht durch Smartphones, die Cloud oder die virtuelle Realität. Vielmehr bereiten sich beide Konzerne unabhängig voneinander auf eine Zukunft vor, in der die Wahl der Werkzeuge keine Rolle mehr spielen soll. Stattdessen sollen KI-Systeme E-Mails schreiben, Tabellen mit den richtigen Zahlen befüllen und Termine koordinieren. Jegliche im Grunde banale Tätigkeit übernimmt der digitale Assistent. Alle Nutzer befreien sich vom Trott des heutigen Büros, gehen als Entscheider in ihrem eigentlichen Element auf. Per natürlicher Spracherkennung übernimmt der neue Gehilfe selbst das Tippen und Lesen.

Klingt das nach Microsofts Bob? Ein Programm, das sich in den Vordergrund drängelt und dem Nutzer stumpfsinnige Vorschläge unterbreitet, gegen die er konstant ankämpfen muss? Mitnichten, denn Watson und Konsorten haben mit solchen Systemen nur wenig gemein. Nicht nur sind die assistierenden Algorithmen um Dimensionen mächtiger als Clippy, vor allem erkennen sie dank maschinellem Lernen ihre eigenen Fehler und die Vorlieben ihrer Anwender. Und der entscheidende Faktor: Sie reagieren nicht, sie delegieren.

Wie schon von Google Now bekannt, sollen die Assistenten nun ebenfalls den professionellen Alltag in vollem Umfang strukturieren. Hat der Nutzer seine erste Aufgabe abgearbeitet, bekommt er schon das nächste nötige Anliegen vorgelegt. Selbstverständlich nach Dringlichkeit sortiert, Doppelarbeit vermeidend und automatisch Kollegen bei Bedarf heranziehend.

Aber braucht das eigentlich jemand? Wenn Nutzer im Büro stundenlang in ihren E-Mails versinken, ist die Antwort ein klares Ja. Ein Werkzeug, das das digitale Tohuwabohu endlich überblickt und dem Anwender Platz für wirklich wichtige Entscheidungen einräumt, wäre ein Segen.

Nur – entscheidet er tatsächlich noch? IBM und Google präsentieren ein System, das den Anwender schnell in der Illusion von Arbeit fangen könnte. De facto reagiert er selbst, nur fühlt es sich für ihn nicht so an. Meetings sind angesetzt und protokolliert, Dokumente mit den richtigen Kollegen geteilt und Tickets abgehakt. Alle Knöpfe sind gedrückt. Ob das alles eigentlich notwendig war, ob das fein säuberlich aufgebaute Netzwerk noch Sinn ergibt – die Frage darf sich gar nicht erst stellen.

Noch gefährlicher: Mitarbeiter, die die Technik zum reinen Abnicken erzieht, denken sicher nicht mehr innovativ. Eine Bürokratie, auch eine digitale, füttert in erster Linie sich selbst. Daraus zu entfliehen, dürfte kaum zu schaffen sein. Querulanten stellen sofort die ganze Firma infrage.

Google und IBM stehen mit ihren KI-Entwicklungen stellvertretend für die Stärken und Schwächen des Silicon Valley. Beim Identifizieren von Problemen unserer Arbeitswelt brillieren sie. Der einzige für sie einschlagbare Weg ist mehr Technik, die die Stolpersteine beseitigt. Auf die Idee, dass ein falscher Einsatz des Digitalen womöglich der grundlegende Fehler ist, kommen sie nicht. Wer sich dem Posteingang nicht mehr entziehen kann, braucht keine allmächtige KI, sondern sollte sich dringend Gedanken zu seiner Arbeitsweise machen.

Unterschrift Moritz Förster Moritz Förster