iX 9/2017
S. 86
Report
Digitalisierung
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Zukunft des Einkaufs: Automatisierte Beschaffungsprozesse

Da geht was

Auch die Einkaufsabteilung gerät in den Sog der digitalen Transformation. Überall, wo es irgendwie möglich erscheint, wird automatisiert. Das postulieren zumindest die Anbieter von B2B-Beschaffungsplattformen und weiten den Funktionsumfang ihrer Angebote entsprechend aus.

Es herrscht weithin Einigkeit darüber, dass die Automatisierung die Zukunft des Einkaufs bestimmt. Zu diesem unspektakulären Schluss kommt eine aktuelle, von SAP Ariba gesponserte Umfrage der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt unter mehr als 650 Einkaufs-, Finanz- und Supply-Chain-Managern aus europäischen und US-amerikanischen Firmen. Regions- und branchenübergreifend erwarten 73 Prozent der Teilnehmer, dass sich der operative Einkauf erheblich verändern wird: Er verliert seine taktische Ausrichtung und muss sich stärker strategisch orientieren.

Die Umfrage bestätigt die Ergebnisse der Studie „Digitalisierung des Einkaufs – Einkauf 4.0“, die das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML und der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME) vor rund einem Jahr veröffentlicht haben. Operative Einkaufsprozesse lassen sich nahezu komplett digitalisieren – bis hin zu vollständig autonomen Abläufen. Nur so sei es möglich, schnell auf veränderte Marktbedingungen zu reagieren. Gleichzeitig steigen die Erwartungen an den strategischen Einkauf, der künftig einen höheren Wertbeitrag liefern soll. Die Studienautoren sehen den Einkauf als Antrieb der externen Vernetzung und schreiben ihm daher bei der Umsetzung von Industrie 4.0 eine entscheidende Rolle zu.

Der Referenz-Einkaufsprozess des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. spiegelt operative und strategische Aufgaben im Einkauf wider (Abb. 1).

In einer arbeitsteilig organisierten, global agierenden Wirtschaft ist die Neuorientierung unumgänglich. Unstrittig ist, dass der Wunsch nach mehr Automatisierung ein weiterentwickeltes Instrumentarium bei der Prozesssteuerung erfordert. Ein Blick auf den Referenzprozess, den der BME in seinem Leitfaden „Prozesse und Systeme im Einkauf“ diskutiert, gibt Aufschluss über die Komplexität, die im betrieblichen Umfeld in einer vordergründig einfach klingenden Aufgabe wie dem Einkauf steckt (Abbildung 1).

Es zeigt sich außerdem, dass die Abdeckung des eigentlichen Kernprozesses zur Beschaffung mit den Schritten Bedarfs- und Lieferantenidentifikation sowie Bedarfsdeckung allein nicht mehr ausreicht. Die vorgelagerte Phase der Strategiedefinition, in deren Rahmen die aus der Zusammenstellung der Warengruppen abgeleitete Einkaufsstrategie festgezurrt wird, verlangt nach Werkzeugunterstützung. Das gilt ebenso für die begleitenden Prozesse Lieferantenmanagement, Einkaufscontrolling und Risikomanagement.

Viele manuelle Schritte werden wegfallen

Alle in diesem Umfeld angebotenen Softwareprodukte sollen Unternehmen dabei helfen, in Beschaffung und Einkauf durchgängige Abläufe zu etablieren. Dass dabei viele manuelle Arbeitsschritte wegfallen, steigert zumindest in der Theorie die Effizienz bei geringeren Kosten. Zu den klassischen Beispielen einer integrierten Prozessgestaltung zählt der Purchase-to-Pay-Prozess (P2P). Die Idee dahinter: Schon bei Bedarfsmeldungen aus den Fachabteilungen sollen Schritte wie Kontierung, Freigabelimits und Wareneingangsprüfung automatisiert ablaufen. Die eingehende Rechnung ließe sich so mit der Bestellung, den Vertragsregeln und den Zahlungszielen abgleichen und verbuchen. Mit flotteren Prozessen und einer schnelleren Rechnungsbegleichung könnte man beispielsweise mehr Skonti herausschlagen. Zugleich würde sich die Gefahr des unkontrollierten Einkaufs indirekter Güter etwa aus Fachabteilungen – das sogenannte Maverick Buying (wildes Kaufen) – reduzieren.

Eine fundierte Analyse und Kontrolle der P2P-Daten schafft zudem Übersicht in den Rahmenverträgen, dem Volumen pro Lieferant sowie der Termintreue und der Qualität. Daraus könnte sich mancher wertvolle Hinweis für die Vertragsverhandlungen über künftige Einkaufskonditionen ergeben. In jüngerer Zeit nutzen Hersteller hier gerne der Begriff Source-to-Settle (S2S), um die Notwendigkeit der P2P-Prozesserweiterung auf Bedarfsanmeldung und Analyse zu rechtfertigen. Vereinfacht formuliert geht es dabei um einen Prozesskreislauf, der bei der Analyse der Ausgabenströme im Einkauf beginnt, sich über Anforderungen, Genehmigungen, Beschaffung und Zahlungsabwicklung sowie Buchhaltung spannt, um wieder bei der Analyse zur neuerlichen Optimierung zu enden.

Als Einstieg in ein umfassendes Ausgaben- und Lieferantenmanagement dienen den Firmen laut dem US-amerikanischen Marktforschungsunternehmen Forrester häufig Software-Tools für Beschaffungsaufgaben (E-Procurement). Dabei haben sie eine große Auswahl bei den ergänzenden Komponenten ihrer Unternehmenssoftware-Lieferanten und den Anwendungen spezialisierter Anbieter.

Wenig überraschend dominierten in der Vergangenheit die Zusätze zu ERP-Paketen das Geschäft. Die Marktforscher schätzen diese Tools jedoch als kompliziert ein in der Handhabe und der Inbetriebnahme. Das liegt unter anderem daran, dass die Unternehmen bis zu fünf Anwendungen einschließlich Datenbanken (ERP/Einkauf, Lieferanten-/Katalogmanagement, Kontraktverwaltung, Zahlungsabwicklung, Controlling/Reporting) harmonisieren und pflegen müssen. Daher finden speziell für die Beschaffung konzipierte Mietangebote immer größeren Zuspruch. Der Marktanteil der Abo-Einnahmen soll sich Forrester zufolge 2017 bereits auf 35,3 Prozent des Gesamtvolumens (585 Mio. Dollar von 1,657 Mrd. Dollar) belaufen. Vor drei Jahren waren es erst knapp 23 Prozent.