iX 1/2018
S. 94
Wissen
Ethernet
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Echtzeitfähigkeit durch Time-Sensitive Networking (TSN)

Keine Zeit verschwenden

Ethernet eignet sich nicht für Echtzeitanwendungen – Time-Sensitive Networking soll fehlende Funktionen nachrüsten. Für das ambitionierte Vorhaben sind ein Dutzend IEEE-Standards in Arbeit.

Als der erste Ethernet-Standard entwickelt wurde, war der Erfolg nicht abzusehen, gab es doch eine Reihe konkurrierender Techniken. Aber wer erinnert sich heute noch an FDDI oder Token Ring? Inzwischen beherrscht Ethernet alle Bereiche der lokalen Datenübertragung. Alle? Nein, denn überall wo Echtzeitfähigkeit gefordert ist, spielt Ethernet bisher nur eine untergeordnete Rolle.

Deshalb arbeitet die 802.1 Time-Sensitive Networking Task Group (TSN TG) der IEEE an der Entwicklung von Techniken, die Ethernet echtzeitfähig machen sollen (siehe ix.de/ix1801094). Interessanterweise hieß die Arbeitsgruppe vormals Audio Video Bridging Task Group, da man ursprünglich vor allem an die Übertragung von Audio- und Videodaten in Echtzeit gedacht hat. Wie wenig jedoch Videostreaming mit Echtzeitverarbeitung zu tun hat, zeigt sich daran, dass bei „Live“-Übertragungen von Fußballspielen der Torschrei je nach Übertragungsweg schon einmal 15 Sekunden auf sich warten lässt. Dahinter steckt eine einfache Methode für ruckelfreie Darstellung von Ton und Bild: das Zwischenspeichern in einem Datenpuffer vor Beginn der Wiedergabe (Buffering). Für IP-Telefonie haben sich in der Praxis Quality of Service und ausreichend dimensionierte Leitungskapazität bewährt. Und letztlich stören auch einzelne verworfene Pakete den Datenfluss nicht.

Eigener Standard für neue Anforderungen

Time-Sensitive Networking ist eine Evolution, die Ethernet zu immer mehr zeitkritischen Anwendungen befähigt (Abb. 1). Quelle: TTTech Computertechnik

Maschinensteuerungen oder Anwendungen in Fahrzeugen stellen jedoch ganz andere Anforderungen an Zeitverhalten und Verfügbarkeit. Entscheidend sind kurze und garantierte Übertragungszeiten sowie das Vermeiden von Datenverlusten durch Überlast. Die unter der Überschrift TSN erarbeiteten Standards lassen sich deshalb grob in zwei Gruppen einteilen: Scheduling und Traffic Shaping zur Regelung des Miteinanders von kritischem und nicht kritischem Traffic sowie Mechanismen zur Pfadsuche und Reservierung von Leitungskapazität, um Paketverluste zu vermeiden und die Latenz zu verringern. Hinzu kommt die Zeitsynchronisation als Grundlage für die gesamte zeitgesteuerte Datenübertragung (Abbildung 1).

Mit der Umbenennung in Time-Sensitive Networking Task Group dokumentiert die Arbeitsgruppe, dass Ethernet in Zukunft auch für Aufgaben in der Automatisierungstechnik und im Automobilbau ertüchtigt werden soll. Audio- und Videostreaming dürften jedoch ebenfalls davon profitieren.

Neue Aufgaben für Ethernet

Obwohl sich Ethernet vergleichsweise schlecht für Anforderungen der Industrie eignet, versucht man, das Einsatzgebiet auszuweiten. Denn längst liegen Switches in den Kabelsträngen der Werkhallen, Werkzeugmaschinen und Roboter verfügen über Ethernet-Ports für die Programmierung und Gabelstapler empfangen ihre Daten per WLAN. So liegt der Gedanke nahe, Ethernet noch mehr Aufgaben zu übertragen und parallele Netzinfrastrukturen zu konsolidieren. Nicht zuletzt die Entwicklung des Internet of Things (IoT) spricht dafür, weil viele Sensoren bereits Ethernet-Ports besitzen. Außerdem ist Ethernet ein wirklich offener Standard, den zahlreiche Hersteller implementiert haben. Demgegenüber sind Bussysteme für Steuerungen häufig auf bestimmte Einsatzszenarien und Hersteller begrenzt.

Die Idee, Ethernet in der Industrie einzusetzen, ist nicht neu. Bereits seit 20 Jahren gibt es technische Lösungen unter der Überschrift Industrial Ethernet. Hierbei handelt es sich aber insbesondere um Komponenten, die für raue Industrieumgebungen entwickelt wurden und mit extremen Temperaturen, Spritzwasser, Staub oder Erschütterungen zurechtkommen. Auch andere Formfaktoren sind in der Industrie üblich, beispielsweise zur Montage auf Hutschienen.

Die Entwicklung von Feldbus zu Ethernet TSN im OSI-Referenzmodell (Abb. 2) Quelle: Sercos

Etablierte Feldbussysteme wie Profinet IRT, EtherCAT oder Sercos III nutzen inzwischen Ethernet auf der physikalischen Ebene, legen darüber aber ihre proprietären Echtzeitprotokolle. Häufig wird die Netzinfrastruktur exklusiv genutzt, sodass andere Protokolle getunnelt werden müssen. Damit sind sie nicht kompatibel zu IEEE 802.1, was zu herstellerspezifischen Insellösungen führt. TSN hat deshalb das Ziel, Funktionen auf OSI-Layer 2 zu standardisieren, damit unterschiedliche Protokolle dieselbe Infrastruktur nutzen können. So ist TSN vollständig kompatibel zu herkömmlichen IT-Netzwerken und alle höheren Schichten können profitieren, wenn TSN-Funktionen zur Verfügung stehen (Abbildung 2). Die Herausforderung dabei ist, die Koexistenz von kritischem und nicht kritischem Traffic im selben Netz so zu organisieren, dass Echtzeitcharakteristik und Performance nicht beeinträchtigt werden. Ist das gewährleistet, können Produktions- und IT-Netze dieselbe Infrastruktur nutzen.