iX 5/2022
S. 3
Editorial
Mai 2022

Zum Geburtstag nichts Gutes

Moritz Förster

Herzlichen Glückwunsch, Chrome – du hast in 100 Versionen das freie Web zermalmt. Will man Google bösen Willen unterstellen, so könnte man fast glauben, dass das so geplant war. Aber nein, allein das hohe Tempo sollte Surfer überzeugen. Und tat es auch, denn schnell schnappte sich Chrome den Spitzenplatz unter den beliebtesten Browsern. Kein Wunder, so schnarchtütig wie die versammelte Konkurrenz aus Internet Explorer, Firefox und Opera damals war.

Oder war da nicht noch mehr? Schnell machte Google den Webseiten nicht nur Feuer unterm Hintern, sondern auch den Nutzern das Leben leicht. Einmal angemeldet, steht die Welt mit Gmail, YouTube und Docs offen. Und schließlich folgte dank der omnipräsenten Respektabilität des Google-Kontos auch ein Großteil aller anderen Anbieter jeglicher Couleur. Warum einen eigenen Zugang einrichten? Einfach verknüpfen und gut ist. So viel schneller, so mühelos.

Wie praktisch, dass Google natürlich gar kein … also ein enormes Interesse an all den hier zusammenfließenden Daten hat. Warnungen vorm mangelnden Schutz dieser Informationen gabs von Beginn an. Und genauso wie sich die Situation mit jeder neuen Version verschlimmerte, genauso wuchs gleichzeitig die Nutzerbasis. Ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig dem gemeinen Surfer am Ende seine Privatsphäre ist. Lamentieren kann man das, die Fakten sind geschaffen.

Bekannt ist das alles, Google hielt selten mit den Datenkrakenambitionen hinterm Berg. Und wenn sich jemand beschwert, dann wars halt erst einmal ein Versuch in der Open-Source-Basis Chromium. Keine Sorge, wir benennen das um und schieben das den Meckerern dann in zwei Jahren unter – so Googles unverhohlen erfolgreiche Salamitaktik.

Und all das ist notwendig, denn die eigentlichen Kunden lechzen nach dem leckeren Datentopf. Egal, ob es sich nun um die Konsumindustrie oder um Staaten handelt, Google stupst uns als der perfekte Aufseher schon in die korrekte Richtung. Sollen ein paar Kaufanreize geschaffen werden, soll eine bestimmte Gruppe tendenziöse Werbung erhalten, sollen manche Informationen vielleicht ganz verschwinden? Ja, da hilft es, wenn fast alle Nutzer durchs selbe Fenster in die Web-Welt gucken.

Aber keine Sorge – Google steht ja auf der Seite des Guten und die Industrie weiß eh, was für uns am besten ist. Grundsatzfragen wie diese Sache mit den Monopolen und sich frei informierenden Menschen sind auch so letztes Jahrtausend.

Also auf, jetzt eine der Alternativen installieren! Dumm nur, dass die fast alle auf Chromium basieren. Firefox bleibt – und ist mit immer neu fehlgeschlagenen Experimenten auch kein Lichtblick. Trotzdem muss der Browser überleben, sonst wars das. In den saueren Apfel gebissen, besser lahm und frei statt geknechtet. Mozilla, bitte konzentriert euch auf den rasantesten, standardmäßig all den Mist blockenden Browser. Und liebe Entwickler, bitte lasst den Unfug, dass Webapplikationen Chrome als Basis voraussetzen.

Moritz Förster

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