MIT Technology Review 10/2019
S. 60
Horizonte
10 Technologien
Darmflora in Kapseln: Stuhltransplantation ohne Ekelfaktor. Foto: Shutterstock

Die Macht der Billionen

Das Mikrobiom mischt bei Demenz, Autismus und Herzinfarkten mit. Billionen Bewohner des Verdauungstrakts werden künftig zu Therapeuten.

von Susanne Donner

Sie leben in jedem, wiegen etwa zwei Kilogramm, und ohne sie können wir nicht existieren. Wer ist das? Richtig, das menschliche Mikrobiom, ein Verbund von bis zu einer Billion Bakterien. Sie hausen in dichten Biofilmen. Sie haften auf Schleimhäuten und der Haut, die meisten kleiden die Windungen des Darms aus. Trügen wir nicht diese Unzahl an Fremdlingen in uns, könnten wir beispielsweise keine Nährstoffe aus dem Essen aufnehmen.

„Das Mikrobiom des Darms ist so bedeutsam, dass wir von einem eigenen Organ sprechen“, sagt Marius Vital, Mikrobiologe an der Medizinischen Hochschule Hannover. Dieses Organ aus Bakterien steht mit den übrigen Organen in enger Verbindung. Mikrobiom und Gehirn kommunizieren über Blut und Nerven. Forscher sprechen gar von der „Darm-Hirn-Achse“. Die Kleinstlebewesen produzieren etwa das Hormon Serotonin, das uns durchströmt, wenn wir verliebt sind, und an dem es uns mangelt, wenn uns eine Depression befällt. Und sie kennen auch noch die „Darm-Herz-Achse“, weil das Mikrobiom sogar über Herz-Kreislauferkrankungen mitentscheidet. „Bei eigentlich allen ­Erkrankungen wird derzeit der Einfluss des Mikrobioms untersucht. Es wird künftig ein wichtiges Ziel medizinischer Behandlungen sein“, sagt Vital.